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ANTON HAINDL:

HEIMLICHE €. MUS SIE

Illustriert von Rubey

DaS Landstädtchen hatte seine Sensation:
ein Zirkus war angekommen. Einer von den
wenigen ganz kleinen, wie sie zuweilen noch
von Stadt zu Stadt ziehen.

Am Mittag hatten muntere Pferdchen die
Wägen über den Marktplatz gezogen, die breite
Birkenallee hinaus zur großen Wiese, die von
der Behörde dem fahrenden Volk jeweils als
Lagerplatz angewiesen wurde. Bald darauf
ritten zwei als Herolde gekleidete Artisten durch
die Straßen, schmetterten mit Fanfaren, und
kündigten an, daß abends acht Uhr die „Er-
öffnungS-Gala-Vorstellung" siattfinden werde.

Um sechs Uhr war auf der Wiese bereits
das hohe Seil gespannt und eine kleine Ma-
nege errichtet.

Der Kanzleirat Pankraz Einsorg, ein altern-
der Junggeselle, ging jeden Tag nach Dienst-
schluß den gleichen Weg: über den Markt-
platz, die Birkenallee entlang, dann über die
große Wiese, und ein Stückchen die Straße
hinaus. So auch heute.

Bei den fahrenden Leuten blieb er stehen.
Eine alte Erinnerung überkam ihn. Als kleiner
Bub hatte er eine einzige Sehnsucht: in so
einem Wagen durch das Land zu ziehen.

Lange sah der Kanzleirat zu. Die Artisten
bauten gerade die Sitzreihen aus. In der
Manege stand eine junge, schlanke Frau mit
einem ärmellosen, engen Kleid, und streute
Sägmehl in den kleinen Kreis. Wenn das
übermütig wallende helle Haar immer wieder
in die Stirn fiel, warf sie mit leichter Be-
wegung den Kops in den Nacken. Als Einsorg
sich unwillkürlich durch die zahlreichen müßi-
gen Zuschauer drängte, sah ihn die Frau mit

großen Augen an. Beinahe unwillig wandte
er sich um und ging den altgewohnten Weg
weiter. Sonderbare Gedanken waren in ihm.

Abends saß der Kanzleirat auf einem der
besten Plätze im Zirkus, klngeduldig wartete
er, bis sich die üblichen Darbietungen abge-
spielt hatten. Als vorletzte Nummer — den
Abschluß der Vorstellung sollte das Besteigen
des hohen Seiles bilden — hieß es: „Frau
Direktor reitet die hohe Schule." blnd dann
kam die junge, schlanke Frau, im schwarzen
hacket und mit steifem Hut, und ritt, daß die
zahlreichen Zuschauer sie gebührlich bewun-
derten. Als die Frau vor dem klatschenden
Publikum lächelnd den Hut zog und ihr Haar
in dem flimmernden Licht wie reifer Gold-
regen aussah, da klatschte sogar der Kanzleirat
Einsorg und schrie laut „Bravo!"

Nach kurzer Pause erschien die Frau noch-
mal, gewissermaßen als Zugabe. Nun trug
sie eine schmucke Kosakenunifovm und ritt ein
kleines, wildes Pferd. Mit angehaltenem Atem
sah die Menge zu, wie die Reiterin sich im
Galopp rücklings an der Seite des Pferdes
herunterließ und, mit einem Fuß im Bügel
hängend, rund um die Manege geschleift wurde.

Als Einsorg sah, daß die Frau bei den
Künsten am hohen Seil unbeteiligt war, ent-
fernte er sich noch vor Schluß der Vorstellung
von dein erleuchteten Platz.

Es war eine warme, schöne Nacht. Der
Flieder hing vollblühend in den Büschen.

Hinter der Wiese gingS bald hügelan. Von
der Anhöhe aus hatte man am Tage einen
schönen Blick über daS Städtchen, Jetzt, in der
Dunkelheit, wars recht einsam hier oben.
Spärlich leuchteten die Lichter der Stadt
herüber. Der Kanzleirat setzte sich aus eine
Bank und sah lange in das Lager der Artisten
hinab. Die Vorstellung war mittlerweile zu
Ende gegangen; die Zuschauer hatten sich zer-
streut. Es wurde ganz still.

In zwei Wägen brannte noch Licht. ,Jn
dem Wagen schlafen die Artisten', dachte Ein-
sorg, ,und dort wohnt wohl der Besitzer mit
seiner Frau. Jetzt werden sie ihre Einnahme
zählen, noch ein wenig plaudern, dann wer-
den sie sich schlafen legen ...*

gelbe Schein in der Artisienwohnung
erlosch plötzlich.

Einsorg starrte immerzu in das einsame
Licht des großen Wohnwagens. Er, der
Kanzleirat Pankraz Einsorg, der selbst in
seiner Jugend nichts für Frauen übrig gehabt
hatte, dachte an die junge Reiterin, er sah ihre
federnden Bewegungen, ihr übermütiges Haar,
ihre großen, dunklen Augen . ..

Ein warmer Wind strich über die Höhe hin
und brachte einen Hauch Flieder mit. Lang-
sam erhob sich der Alte und ging bergab. Als
er in die Birkenallee einbog, blieb er nochmal
stehen und sah sich um. DaS Licht brannte und
brannte.-

Auch am nächsten Abend war der Kanzlei-
rat im ZirkuS. Die blonde Frau ritt und wir-
belte wieder durch die Manege und beantwor-
tete den Beifall der Zuschauer mit Lächeln
und zierlichen Handbewegungen.

Nach der Vorstellung geht Einsorg wieder
aus die Anhöhe und sieht in daS gelbe Licht.
Diesmal verlischt eS bald. Müde macht sich
der Kanzleirat auf den Heimweg. Als er an
einem Fliederstrauch vorbeikommt, reißt er
mit hastigen Händen die blühende Pracht ab,
geht in der Dunkelheit vor die Tür des großen
Wohnwagens, und legt den Busch leiö auf die
Treppe. Dann sieht er sich um wie ein Dieb
und läuft weg.

TagS darauf kündigen die Herolde an, daß
abends die Abschiedsvorstellung stattfinden
müsse, weil die Truppe Ende der Woche schon
in der Nachbarstadt auftreten werde.

blnd wieder saß der Alte nach der Vor-
stellung aus der einsamen Höhe und sah zu
den Wägen hinab, bis das letzte Licht erlosch.
Dann stand er auf und ging lange über die
schweigenden Felder. Drüben, jenseits der an-
deren Hügelkette, waren große Pachtgärten.
Einsorg wußte, daß in einem davon ein früher
Goldregen ausgeblüht war. — Zwei Stunden
später legt der Alte heimlich mit zitternden
Händen einen riesigen Strauß vor die Tür
des Wagens. Ein unendlich schönes, niegekann-
tes Gefühl ist in ihm.

Am nächsten Morgen, stundenweit vor der
gewohnten Zeit, verließ Einsorg seine Woh-
nung und ging langsam durch die noch schla-
fende Stadt hinaus zur Wiese. Dort war man

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Rubey: Illustrationen zum Text "Heimliche Grüsse"
Anton Haindl: Heimliche Grüsse
 
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