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Wasserburg am Inn

R. G. Böninger

Sie gingen also über die Holzstiege, begleitet vorn Wirte, dem Haus-
diener und dem Stubenmädchen hinauf Ln ihre beiden Zimmer, wuschen
den Reisestaub ab und standen beim Fenster. Der Herr Professor zog
ein Fernglas heraus und blickte über den Markt hin. „Siehst du",
sagte er zu seinem Sohne, „dort drüben ist richtig ein Christian Stolpe
und er steht hinter der Tür seiner Apotheke und schaut zu uns herüber."

„Willst du ihm auch einen Besuch machen?" fragte der Sohn, dem
ein wenig bange vor dem Vater wurde, weil dieser sich nun bald mit
allen Pommern verwandt zu fühlen begann.

„Wir werden ihn heute abend sicher kennenlernen", sagte der Herr
Professor, „denn die Honorationen haben bestimmt ihren Stammtisch
hier im »Goldenen Schwan'."

Als Vater und Sohn nun am Abend in die Gaststube traten, war
noch niemand von den Bürgern der kleinen Stadt zugegen. Nach und
nach fanden sie sich mit kurzen Blicken auf die beiden Fremdlinge ein
und ließen sich schweigend um den großen Stammtisch nieder.

Die Begrüßung der einzelnen Herren untereinander und durch den
Wirt war so deutlich mit Nennung aller Titel, daß die beiden schwe-
dischen StolpeS alsbald wußten, wer der Apocheker, der Oberlehrer,
der Arzt, der Richter und der Rechtsanwalt waren.

Aber es war auch nicht zu verkennen, daß dieser ernste und gemessene
Stammtisch sich durch die Anwesenheit der beiden Fremden (denn auch
die Herren dort drüben wußten schon, daß diese Gäste aus Schweden
hierhergekommen waren, wohin doch sich sonst niemals, außer Ge-

schäftsreisenden, ein Fremder verirrte) ein wenig befangen fühlte. Doch
auch über den Professor, der doch wahrlich bei Kongressen weit in der
Welt herumgekommen und sogar schon in Amerika gewesen war, legte
sich eine eigentümliche Feierlichkeit.

„Das ist ein Stammtisch", sagte er zu seinem Sohne leise, „und die
Deutschen lachen selbst viel über diese Stammtischphilisterei! Aber du
kannst weit in der Welt herumreisen, bis du wieder einmal einen Ort
finden wirst, wo einer den andern so ehrt, wie die das hier unterein-
ander tun. bind Schweden kannst du von einem Ende zum andern
absuchen und du wirst keinen solchen erhabenen Stammtisch finden,
denn wir haben weder Wirtshäuser in unserem Lande noch Stamm-
tische, wir trinken unseren Punsch allein oder wir sind soviele beisam-
men, daß es ohne die rechte Weihe ist."

Noch verstand der junge Stolp nicht, was der Vater meinte, aber
er fühlte wohl auch ganz deutlich die Spannung, die in der Luft lag.
Hier gab es, das sah er, eine erhabene Runde, in die man entweder
ausgenommen wurde oder nicht. Wurde man ausgenommen, dann
konnte man wie ein Fürst dort im Kreise der Großen thronen. Wurde
man nicht ausgenommen, dann war man weniger als der Kleider-
ständer dort in der Ecke. Dann zerging einem der Schaum auf dem
Bier, dann war alles, was man sich zu sprechen unterfing, leeres
Geschwätz.

Nun, die beiden Schweden wurden ausgenommen. Die Herren hatten
sich wohl untereinander erst ein wenig beraten. Man hatte ein paar-

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Robert Gerhard Böninger: Wasserburg am Inn
 
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