mal über die Schultern zu den fremden Herren hinübergeblickt. Dann
wurde drüben ein Sessel gerückt, in seiner ganzen Größe stand der
Herr Amtsrichter aus und schritt so fest, daß ein Glas aufklirrte, zu
den beiden Schweden und verneigte sich vor ihnen. Da erhob sich auch
der Professor und dessen Sohn beeilte sich, es dem Vater gleichzutun.
Die Herren vom Stammtisch blickten gespannt herüber.
Der Herr Amtsrichter aber sprach, laut und vernehmlich, die
freundlichen Worte der Einladung an die beiden Fremdlinge und der
Herr Professor, der die Größe solcher Auszeichnung ermaß, bedankte
sich, ergriff sein Glas und auch der Sohn ergriff das seine, und dann
schritten die beiden, während sich die ganze Korona des Stammtisches
erhob, feierlich zu ihnen hinüber. Der Wirt zeigte sich unter der Tür,
der Kellner hielt im Bierzutragen inne, alle fühlten, daß sich hier
etwas Erhabenes vollzog, dessen Zeugen sie sein durften.
Die Vorstellung erfolgte unter gemessenen Verbeugungen und festen
Händedrücken. Christian beobachtete mit raschen Blicken seinen Vater
und versuchte eS ihm in allem gleichzutun. Auch er verbeugte sich, auch
er schüttelte die Hand, auch er bog dabei ein wenig den Ellbogen her-
aus und auch ihn überkam die Feierlichkeit des großen Augenblickes.
Dann ließen sich die beiden schwedischen Stolpes an dem pommerschen
Stammtisch nieder und daS Gespräch begann wohltuend leise zu flackern
wie das Holzfeuer an einem Herbstabend im Kamin. Erst knackten die
frühen, tastenden Fragen nach woher und wohin, dann knisterten Jena
und Halle auf, dann wurden ein paar Namen von Lehrern an diesen
blniversitäten erfaßt. Als man aber auf den Namen. Stolpe zu sprechen
kam, brannte der Apotheker lichterloh und er mußte dieses Feuer mit
so manchem seine Zunge noch mehr lösendein Glase Bier dämpfen. Die
Zeit verging, die Sperrstunde nahte, der OrtSpolizist erschien, um die
Herren daran zu erinnern, wie weit sie schon in den nächsten Tag hin-
eingeraten waren. Aber da erhob sich gebieterisch die Person deS Amts-
richters, machte den Hüter der Ordnung mit nicht mehr ganz treff-
sicheren Worten aus daS seltsame Ereignis aufmerksam und die beiden
schwedischen StolpeS bestellten für den wackeren OrtSpolizisten, der
ihretwegen nicht seines Amtes walten durste, ein Bier.
Endlich mußte auch dieser Abend ein Ende nehmen, und er durste
mit ruhigem Gewissen beschlossen werden, da die beiden Schweden ver-
sprochen hatten, nicht sobald auS dem Städtchen mehr fortzugehen.
In der Nähe der kleinen Stadt war ein See, dorthin gingen
Vater und Sohn, deren Tage doch ganz frei von Arbeit waren, manch-
mal baden.
Eines Tages nun, da es regnete, mahnte der Sohn den Vater, doch
endlich einmal auf den Kalender zu sehen, denn man werde für die
geplante Rheinreise kaum mehr ein paar Tage zur Verfügung haben.
Der Herr Professor erschrak: so tief in die Zeit hinein war inan also
schon geraten, bind da eS ein Regentag war, las nach langer, langer
Zeit der Herr Professor auch wieder einmal eine Zeitung, klnd als er
seinen Blick vom Papier aushob und nach dem verhängten Himmel
blickte, da schien eS ihm, daß er dort oben, in diesem Grau und in den
tiefhängenden Wolken, ein Widerspiel von dein erkenne, waS er soeben
gelesen hatte.
„Es ist wirklich spät geworden", sagte er zu seinem Sohn, „wir
müssen uns beeilen, an den Rhein zu kommen. Denn das, waS ich hier
lese, kündet nichts Gutes an. Die Schüsse von Sarajewo werden, wenn
nicht noch in letzter Stunde ein Wunder geschieht, ein böseö Echo finden.
Aber man wird wohl alles so lange hinauSschieben, bis überall die
Ernte unter Dach und Fach gebracht ist. Nach Greifswald können wir
nicht mehr fahren, ich glaube auch kaum, daß wir uns in Jena und
in Halle lange aufhalten können. Aber das kann ich dir sagen: eS ist
ein Jammer, daß wir Schweden Pommern verloren haben, denn hier
wollte ich noch lieber leben als bei uns daheim in Schonen."
Am Abend raffte sich also der Professor endlich auf, um Abschied
zu nehmen. Die Herren am Stammtisch standen auf, drückten den
beiden Schweden die Hände und waren vom ganzen Herzen tief be-
trübt, denn dieser eine Regentag hatte auch so manchen von ihnen
nachdenklich gemacht und gezeigt, wohin die Zeit geschritten war,
während sie hier um ihren Stammtisch gesessen und von den unwieder-
bringlich schönen Tagen der Jugend gesprochen hatten. Der Herr Pro-
fessor lud alle die Herren für den nächsten Sommer nach Lund und
dann weiter auf sein kleines Sommerhaus im nördlichen Schweden am
Strande des Meeres ein. Alle Herren sagten zu und erkundigten sich
noch einmal recht angelegentlich über die Art deS schwedischen Punsches
und über die dortigen Trink- und Tafelsitten. Dann gab man den
beiden Schweden die besten Wünsche für die Rheinreise mit und am
nächsten Tage geleitete man sie zur Bahn, die nun die beiden Gäste
nach Süden entführen sollte. Als der Zug schon fuhr, schwenkten auf
einmal die Herren kleine blau-gelbe schwedische Fähnchen und eS fehlte
nicht viel, daß der Herr Professor geweint hätte.
An den Rhein, von dem der Vater dem Sohn so viel erzählt hatte,
kamen aber die beiden Schweden nicht mehr, denn in Hannover selbst
ereilte sie der gewaltige Donnerschlag, der den Ausbruch des großen
Krieges verkündete. Sie eilten nach Schweden zurück, vorbei an den
Zügen mit singenden und blumengeschmückten Soldaten.
Als aber der Herr Professor nach fünf endlosen, schweren Jahren
die erste Gelegenheit ergriff und mit seinem Sohne nach jenem Orte
der Sehnsucht ausbrach, da war von all den Herren der damaligen
Runde nur mehr der Apotheker noch unter den lebenden Menschen,
denn die andern hatte der Krieg verschlungen. Aber auch dem Apotheker
war- nicht mehr so recht zum Erzählen zumute, denn ihm waren zwei
Söhne gefallen. DaS Bild der kleinen Stadt war von Spinnweben
umgeben, der Stammtisch war von anderen Menschen besetzt. Der
Professor kehrte am nächsten Tage um. In Saßnitz verschenkte er sein
ganzes eingewechseltes Geld an jene armen blassen Kinder, die dort
beim Zugang der Fähre standen und wortlos aus hungrigen Augen
jenen Fremden nachblickten, die in ein Land fahren konnten, wo eS
Fleisch und Butter und reichliches Essen gab.
Der Hundefänger Machek
37
wurde drüben ein Sessel gerückt, in seiner ganzen Größe stand der
Herr Amtsrichter aus und schritt so fest, daß ein Glas aufklirrte, zu
den beiden Schweden und verneigte sich vor ihnen. Da erhob sich auch
der Professor und dessen Sohn beeilte sich, es dem Vater gleichzutun.
Die Herren vom Stammtisch blickten gespannt herüber.
Der Herr Amtsrichter aber sprach, laut und vernehmlich, die
freundlichen Worte der Einladung an die beiden Fremdlinge und der
Herr Professor, der die Größe solcher Auszeichnung ermaß, bedankte
sich, ergriff sein Glas und auch der Sohn ergriff das seine, und dann
schritten die beiden, während sich die ganze Korona des Stammtisches
erhob, feierlich zu ihnen hinüber. Der Wirt zeigte sich unter der Tür,
der Kellner hielt im Bierzutragen inne, alle fühlten, daß sich hier
etwas Erhabenes vollzog, dessen Zeugen sie sein durften.
Die Vorstellung erfolgte unter gemessenen Verbeugungen und festen
Händedrücken. Christian beobachtete mit raschen Blicken seinen Vater
und versuchte eS ihm in allem gleichzutun. Auch er verbeugte sich, auch
er schüttelte die Hand, auch er bog dabei ein wenig den Ellbogen her-
aus und auch ihn überkam die Feierlichkeit des großen Augenblickes.
Dann ließen sich die beiden schwedischen Stolpes an dem pommerschen
Stammtisch nieder und daS Gespräch begann wohltuend leise zu flackern
wie das Holzfeuer an einem Herbstabend im Kamin. Erst knackten die
frühen, tastenden Fragen nach woher und wohin, dann knisterten Jena
und Halle auf, dann wurden ein paar Namen von Lehrern an diesen
blniversitäten erfaßt. Als man aber auf den Namen. Stolpe zu sprechen
kam, brannte der Apotheker lichterloh und er mußte dieses Feuer mit
so manchem seine Zunge noch mehr lösendein Glase Bier dämpfen. Die
Zeit verging, die Sperrstunde nahte, der OrtSpolizist erschien, um die
Herren daran zu erinnern, wie weit sie schon in den nächsten Tag hin-
eingeraten waren. Aber da erhob sich gebieterisch die Person deS Amts-
richters, machte den Hüter der Ordnung mit nicht mehr ganz treff-
sicheren Worten aus daS seltsame Ereignis aufmerksam und die beiden
schwedischen StolpeS bestellten für den wackeren OrtSpolizisten, der
ihretwegen nicht seines Amtes walten durste, ein Bier.
Endlich mußte auch dieser Abend ein Ende nehmen, und er durste
mit ruhigem Gewissen beschlossen werden, da die beiden Schweden ver-
sprochen hatten, nicht sobald auS dem Städtchen mehr fortzugehen.
In der Nähe der kleinen Stadt war ein See, dorthin gingen
Vater und Sohn, deren Tage doch ganz frei von Arbeit waren, manch-
mal baden.
Eines Tages nun, da es regnete, mahnte der Sohn den Vater, doch
endlich einmal auf den Kalender zu sehen, denn man werde für die
geplante Rheinreise kaum mehr ein paar Tage zur Verfügung haben.
Der Herr Professor erschrak: so tief in die Zeit hinein war inan also
schon geraten, bind da eS ein Regentag war, las nach langer, langer
Zeit der Herr Professor auch wieder einmal eine Zeitung, klnd als er
seinen Blick vom Papier aushob und nach dem verhängten Himmel
blickte, da schien eS ihm, daß er dort oben, in diesem Grau und in den
tiefhängenden Wolken, ein Widerspiel von dein erkenne, waS er soeben
gelesen hatte.
„Es ist wirklich spät geworden", sagte er zu seinem Sohn, „wir
müssen uns beeilen, an den Rhein zu kommen. Denn das, waS ich hier
lese, kündet nichts Gutes an. Die Schüsse von Sarajewo werden, wenn
nicht noch in letzter Stunde ein Wunder geschieht, ein böseö Echo finden.
Aber man wird wohl alles so lange hinauSschieben, bis überall die
Ernte unter Dach und Fach gebracht ist. Nach Greifswald können wir
nicht mehr fahren, ich glaube auch kaum, daß wir uns in Jena und
in Halle lange aufhalten können. Aber das kann ich dir sagen: eS ist
ein Jammer, daß wir Schweden Pommern verloren haben, denn hier
wollte ich noch lieber leben als bei uns daheim in Schonen."
Am Abend raffte sich also der Professor endlich auf, um Abschied
zu nehmen. Die Herren am Stammtisch standen auf, drückten den
beiden Schweden die Hände und waren vom ganzen Herzen tief be-
trübt, denn dieser eine Regentag hatte auch so manchen von ihnen
nachdenklich gemacht und gezeigt, wohin die Zeit geschritten war,
während sie hier um ihren Stammtisch gesessen und von den unwieder-
bringlich schönen Tagen der Jugend gesprochen hatten. Der Herr Pro-
fessor lud alle die Herren für den nächsten Sommer nach Lund und
dann weiter auf sein kleines Sommerhaus im nördlichen Schweden am
Strande des Meeres ein. Alle Herren sagten zu und erkundigten sich
noch einmal recht angelegentlich über die Art deS schwedischen Punsches
und über die dortigen Trink- und Tafelsitten. Dann gab man den
beiden Schweden die besten Wünsche für die Rheinreise mit und am
nächsten Tage geleitete man sie zur Bahn, die nun die beiden Gäste
nach Süden entführen sollte. Als der Zug schon fuhr, schwenkten auf
einmal die Herren kleine blau-gelbe schwedische Fähnchen und eS fehlte
nicht viel, daß der Herr Professor geweint hätte.
An den Rhein, von dem der Vater dem Sohn so viel erzählt hatte,
kamen aber die beiden Schweden nicht mehr, denn in Hannover selbst
ereilte sie der gewaltige Donnerschlag, der den Ausbruch des großen
Krieges verkündete. Sie eilten nach Schweden zurück, vorbei an den
Zügen mit singenden und blumengeschmückten Soldaten.
Als aber der Herr Professor nach fünf endlosen, schweren Jahren
die erste Gelegenheit ergriff und mit seinem Sohne nach jenem Orte
der Sehnsucht ausbrach, da war von all den Herren der damaligen
Runde nur mehr der Apotheker noch unter den lebenden Menschen,
denn die andern hatte der Krieg verschlungen. Aber auch dem Apotheker
war- nicht mehr so recht zum Erzählen zumute, denn ihm waren zwei
Söhne gefallen. DaS Bild der kleinen Stadt war von Spinnweben
umgeben, der Stammtisch war von anderen Menschen besetzt. Der
Professor kehrte am nächsten Tage um. In Saßnitz verschenkte er sein
ganzes eingewechseltes Geld an jene armen blassen Kinder, die dort
beim Zugang der Fähre standen und wortlos aus hungrigen Augen
jenen Fremden nachblickten, die in ein Land fahren konnten, wo eS
Fleisch und Butter und reichliches Essen gab.
Der Hundefänger Machek
37