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J u G E

4 0. JAHRGANG

N D

1 9 3 5 / N R. 4

VON RUDOLF KREUTZER

Nun aber knirscht mit er deinen Schritten der Schnee
Und cs friert dir der Atem wie Rauch vor dem Mund,.

Nun gürte dich fester und birg unterm Hut das braune Gelock,
Denn nimmer streift es der Sommerwind, noch die tändelnde

Hand der süßen Gespielin.

Längst brach nach Süden auf Pan und es folgte dem schellen-
klingenden Zuge

Mit Pardelfeilen behängt die trunkene Schar der Mänaden.

Voll Nebel hängen die Wälder, in denen kalt und bös ein

Geschlecht haust;

Abhold den Gesängen vergrub es in Farnen und Moos die

zerbrochene Laute.

Wo — wenn Schnee fällt auf dem erschrockenes Herz —, wo

nimmst du

Die Sonne und wo die Blumen her und die Lüfte des Sommers
Duft und Purpur der Gärten? Denn sprachlos steht und verlassen

der Hain

Und ohne Antwort verhallt dein Ruf. Es klirrt der Wind in den

frierenden Zweigen

Und nur mehr des Krähenvolks Flug schwingt überm Land wie

Gelächter.

iE II IN MAIL K Ö1NIGITN

VON EMMY HENNINGS

Daß ich mich einmal als Königin fühlen durfte, allenfalls dafür
gegolten habe, daran ist lediglich mein kleiner Spirituskocher schuld.
Ich hatte ihn — Gott weiß warum — in Neapel vergessen. Im Koch-
Lopf steckt ein Feldblumenstrauß, und das Pfännlem dient als Aschen-
becher, während ich selbst am zweiten Tag meines Aufenthaltes in
Lugano Hunger bekomme, einen unbeschreiblichen Hunger. Es nützt
alles nichts, ich muß etwas essen. Wild bin' ich vor Hunger und eS
ist fraglich, ob eS in Lugano überhaupt ein Restaurant gibt, das fähig
ist, meinen Hunger zu stillen.

Da sehe ich mit ausgebreiteten Armen einen Mann auf mich zu-
schreiten. Es ist Flamingo, der Zauberer. Flamingo, der Entsesselungs-
künstler. Flamingo, der König aller Ausbrecher. Flamingo, der In-
dianerhäuptling, der Letzte von dem Stamm der Delavaten. Ja, also
das ist mein Vrotgeber von einst, als ich noch kunstoptische Darstellung
im Zirkus war. Flamingo, noch immer ein Mann in den besten fahren,
groß, breit und kühn, begrüßt mich wie einst.

Er gibt mir die Hand. Die, Perlen an seinen Fingerringen glitzern
in allen Regenbogenfarben. Wie großartig sich doch die Perlen machen
in der halben Dämmerung! Ach, die schönen Diamanten. Benommen
und verloren starre ich aus den Reichtum und Flamingo bemerkt: „Alles
Simili. Alles Gold, was glänzt. Du aber, meine Taube. Ja sieh,
wenn man mir jetzt einen köstlichen Edelstein schenken würde, ich könnte
darüber nicht glücklicher sein, als ich es in diesem Augenblick bin. Doch
was machen wir jetzt? Hast du Hunger? Habe selbst noch nicht gegessen.
Komm mit mir inS Grütli. Man ißt dort ausgezeichnet. Du lächelst
so seltsam. Du müßtest auch immer im Grütli essen. Wenn ich eS dir
doch sage. Wer sich daran gewöhnt, läßt ungern davon."

Wer sich daran gewöhnt, läßt ungern davon? Offenbar meint er
das Leben selbst.

*

Im Grütli sitzt allerlei Fremden- und Bergvolk. An den Wänden
betrachte ich die helvetischen Wappen. Über der Tür leuchtet in sonnig
bunten Farben der Rütlischwur, die drei Männer in den hohen Bergen.
Vor unS steht je ein Teller Schübli mit Sauerkraut und ein paar

Gläser blonden Bieres. Zum essen komme ich nicht. Ein wenig Brot,
ein Schluck Bier, und ich bin vollkommen gesättigt. Vielleicht lebe ich
von diesem bunten Bild über der Tür. Weiß nicht recht, wie das mit
mir ist.

„Hör mal, Emmy, steht dir nicht die Zeitung zur Verfügung?"

„Olein, es ist wohl mehr umgekehrt der Fall. Warum?"

„Es wäre nämlich sehr nett von dir, wenn du mich gelegentlich
lobend als Zauberer erwähnen möchtest. Es hilft doch nicht, wenn man
für sich allein weiß, was man kann und bedeutet. DaS Publikum muß
wissen, wer wir sind, sonst sind wir nichts. Nach der Reklame richtet
sich der Künstler. Sieh, was wäre zum Beispiel die Nachtigall, wenn
nicht der Dichter unentwegt Propaganda für sie machen würde? Aber
du ißt ja gar nicht, mein Kind. Iß doch, du hast Hunger und weißt
eS nicht."

„Ich glaube, der Nachtigall ist eö gleichgültig, ob sie besungen wird
oder nicht. Sie braucht keine Anerkennung. Sie ist ohne allen Ehrgeiz.
Sie singt, und das ist ihre kleine, heilige Arbeit. Selbstlos... Aber
bitte, haben Sie deswegen das Gesicht nicht betrübt, oder machen Sie
eS so, daS Gesicht? Wir Nrenschen sind keine Nachtigallen. Wir müsten
ja auch unser Schübli mit Sauerkraut zahlen. Selbstverständlich will
ich gern über den Zauberkünstler schreiben. Ich kenne ja den -tritf,
daS Geheimnis, den hübschen Schwindel, und darum kann ich die Illu-
sion schildern. Sie werden sehen."

„Sehr lieb von dir. Bitte, komm doch morgen wieder zum Ejjen.
Aber du hast ja gar nichts zu dir genommen . .. Ja, wenn du keinen
Appetit hast ... Es ist schade, wenn eS umkommt... Gut. Aho dann
esse ich eS ... Nein, nein, zahlen tue ich ... Hab dich doch eingeladen.

Indessen zahlen wir beide nicht. Entweder hat Flamingo hier Kredit,
oder die Rechnung wird im Himmel beglichen. Ich weiß eS nicht.

Am nächsten Nuttag jedoch sitze ich mit einem grundehrlichen Hunger
wieder im vollbesetzten Grütli. Ties glücklich bin ich, als ein warmes
Süpplein vor mir steht. Die Bouillon mit Einlage macht mich geradezu
trunken. Obwohl ich keinen Wein bestellt habe, steht ein viertel Liter

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Rudolf Kreutzer: Winter
Emmy Hennings: Einmal Königin
 
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