WILHELM AUFFERMANN:
DER NEUE OFEN
Da der Himmel wie von einem Schleier des
TrübsirmS überzogen war, brachte der Schul-
meister eines Tages einen neuen D)cn nach
Hause, und Frauchen war wie geblendet. Auch
der Hund wedelte mit dem Schwänze. Alle
hatten daS Gesühl, als würde die Familie
nochmals gegründet, und erhofften Wärme,
großes Glück und Zufriedenheit von der Zu-
kunft. Aber es liegt am Menschen allein, seine
Handlungen in die Bahn deS Erfreulichen zu
lenken, zu arbeiten und mit sich und den andern
in Frieden zu leben. Das kann ein jeder
Mensch tun, wenn er will. Aber kein Ofen.
Auch dann nicht, wenn er neu ist, gut brennt
und nicht qualmt.
An dem Ofen war nichts Besonderes zu
sehen, er glich tausend andern. WaS aber des
Schulmeisters Aufmerksamkeit erregt hatte,
war die gepriesene angebliche Güte.
„Weißt du, daS ist ein verflixt guter Ofen",
sagte er zu seinem Frauchen. „Fünf Liter
Wasser bringt er in sieben Minuten zum Sie-
den und heizt in derselben Zeit einen Raum
von fünfundsiebzig Kubikmeter, ^ch schenke
dir den Ofen. Er gehört nun uns."
Sie entfernten den schmutzigen, alten Ofen
und stellten den neuen in der Ecke auf. Frau-
chen brachte den größten Topf mit Wasser,
um die Siedeprobe abzuhalten, indes der
Schulmeister dem Beispiel des Fleißes fvlgte
und den Ofen mit Kohle und Hvlz fütterte.
Würdevoll legte er brennendes Papier unter
und wurde ganz verwirrt vor Freude, als sich
das Täfelchen Marienglas in der Heiztür wie
mit dem Gold der Abendröte färbte.
Der Ofen brannte augenblicklich mit Feuer
und Flamme. Während der Schulmeister aber
noch zwischen dem einen und dem anderen
Händereiben fröhlich von kommenden Winter-
abenden philosophierte, verfinsterte sich plötz-
lich wieder die Herrlichkeit. Die Flamme
wurde zum Flämmchen, und auch dieses ließ
nach, als ob es Angst hätte.
„Es geht aus", sagte Frauchen mit schnei-
dender Stimme, „lllnser alter brannte immer
sofort an." 2n Erkenntnis des Ereignisses
stieg dein Schulmeister stürmisch das Blut zu
Kopf. „Vielleicht habe ich feuchtes Holz unter-
gelegt", heuchelte er entschuldigend und räumte
den Ofen wieder aus.
Er hatte Glück. „Logisch", meinte seine
Frau, „dann kann er freilich nicht brennen."
— „So ist daS Leben", dachte fünf Minuten
später der Schulmeister, als auch das trockene
Holz nicht helfen wollte. „Wenn man anderen
Menschen Gutes tun will, fügt man sich
meistens selbst BöseS zu." Er erinnerte sich
jedoch der Garantie der Firma, daß der Ofen
keine Laster habe, und diesmal wurde dessen
Röhre die Säule, auf die sich deS Mannes
ganze Welt stürzte, während ihm Frauchen
mit funkelnden Augen schweigsam zusah.
„Schrei doch nicht so! Die Röhre ist schuld.
Er wird sicher brennen", sagte er mit gemacht
ruhiger Stimme, denn er wußte, daß die
Sprache das wirksamste Mittel ist, um einer
bösen Frau Luft zu machen. „Schrei doch nicht
Der Vogelhändler Gumppenberg
sv! Alles wird gut. Ich werde ihm das schon
klarmachen. Wasch dir etwas die Arme!
Brauchst du nicht ein Paar neue Strümpfe?
Handschuhe? Es hat keinen Zweck, so p
schreien." Aber Frauchen war nicht wie andere
Frauen, sondern schwieg und starrte weiterhin
mit wilden Augen den Schulmeister und den
Ofen an. Dem armen Mann wurde ange-
sichts dieses Schweigens fürchterlich Angst, und
er vermeinte, aus dem schwarzen Ofenrohr,
das er in der Hand hielt, höhnisch das Echo
seiner Stimme zu hören: „Es hat keinen Zweck
so zu schreien!"
Auch diesmal brannte der Ofen nicht, blnd
während der Schulmeister nach heftiger Szene
ganz geknickt hinter Frauchen her zum Ofen-
lieferanten lief, trat der Hund eine kleine For-
schungsreise um den Ofen an, um nach etwas
zu sehen, daS ihn mit größter Verwunderung
erfüllte.
„Was sollen wir tun? Raten Sie uns!"
sagte der Schulmeister zum Verkäufer. Der
verstand sich schwer dazu, einen Rat zu geben.
Frauchen schleppte den Mann vielmehr mit,
die blntersuchung selbst an Ort und Stelle zu
halten.
„So ein Ferkel!" murmelten alle drei, als
sie, in die Wohnung zurückkommend, den
schweifwedelnden Hund beim Ofen von einem
Kreis kleiner Lachen umgeben sah. „So ein
Ferkel!" Sie meinten den Hund. Der mit-
genommene Verkäufer aber lüftete neugierig
den Deckel vom Topf, der auf dem Ofen
stand. „Wasser ist darin", sagte ärgerlich
Frauchen. — „Kein Wasser", gab der Mann
zur Antwort, „sondern — ein kleines Loch."
Frauchen hatte plötzlich in der Küche zu
tun. Rumorte. Der Schulmeister aber schaute
glücklich auf die kleinen Lachen am Boden,
und die Freude, die er heimlich fühlte, hätte
er um kein Gold der Erde dem Verkäufer
abgetreten. Auch der Hund beschaute wieder
und wieder die Lachen und ging wütend noch-
mals um den Ofen herum. Als er^en anderen
Hund auch diesmal nicht fand, biß er jich
heulend in den Schwanz.
In drei Minuten brannte der Ofen.
Philosoph und Fährmann
Ein Philosoph bestieg einst ein Boot, um über einen Strom zu fahren.
Während der Fahrt fragte er den Fährmann, ob er Arithmetik verstünde.
„Arithmetik?'— Rein, davon habe ich noch gar nichts gehört", war die
Antwort. Der Philosoph entgegnete: „Es tut mir leid um Euch, denn
ein Viertel Eures Lebens ist verloren." Wenige Augenblicke später fragte
er wieder: „Versteht 2hl-' denn etwas von der Mathematik?" — Der
Fährmann verneinte lachend. „Ach", rief der Philosoph, „dann ist ein
zweites Viertel Eures Lebens verloren." — „Astronomie aber versteht
2hr doch wenigstens?" — „Rein, Herr", entgegnete der Fährmann. —
„Run, so ist ein drittes Viertel Eures Lebens verloren!" Gerade in
diesem Augenblick stieß das Boot auf eine Felsspitze und begann zu
sinken. Der Fährmann warf seinen Rock ab und fragte den Philosophen:
„Können Sie schwimmen?" „Rein", rief dieser in großer Angst. —
„Run, so setzen Sie sich schnell auf meinen Rücken", sagte der Fähr-
mann, „sonst sind alle vier Viertel 2^'es Lebens verloren."
vis R e d e
Bei einer 2ufpektionSre.se deS Königs Friedrich Wilhelm I. durch seine
rheinischen Landesteile wurde der Kong von einem Dorfbürgermeister mit
einer nicht endenwollenden, in faden Lobpreisungen gipfelnden Rede be-
grüßt. Der Monarch hörte geduldig bis zum Ende zu und fragte dann
den neben ihm stehenden Generäl Buddenbrock leise: „Ra, waS sagt Er
zu der Rede?" Buddenbrock, der annahm, der König habe sich über d:e
Schmeicheleien des Bürgermeisters gefreut, glaubte erwidern zu mögen:
„Die Rede war bewundernswert, Majestät." — „2ch dächte", wendet
Friedrich Wilhelm lachend ein, „nicht die Rede, sondern wir wären be-
wundernSwert gewesen!" — „Wieso, Majestät", fragte der General.
„Run", lautete die Antwort, „ist eS denn kein Wunder, daß ein Menjh,
der Füße zum Davonlaufen hat, so viel Geduld haben kann, bei einem
solchen Geschwätz ruhig stehen zu bleiben?"
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DER NEUE OFEN
Da der Himmel wie von einem Schleier des
TrübsirmS überzogen war, brachte der Schul-
meister eines Tages einen neuen D)cn nach
Hause, und Frauchen war wie geblendet. Auch
der Hund wedelte mit dem Schwänze. Alle
hatten daS Gesühl, als würde die Familie
nochmals gegründet, und erhofften Wärme,
großes Glück und Zufriedenheit von der Zu-
kunft. Aber es liegt am Menschen allein, seine
Handlungen in die Bahn deS Erfreulichen zu
lenken, zu arbeiten und mit sich und den andern
in Frieden zu leben. Das kann ein jeder
Mensch tun, wenn er will. Aber kein Ofen.
Auch dann nicht, wenn er neu ist, gut brennt
und nicht qualmt.
An dem Ofen war nichts Besonderes zu
sehen, er glich tausend andern. WaS aber des
Schulmeisters Aufmerksamkeit erregt hatte,
war die gepriesene angebliche Güte.
„Weißt du, daS ist ein verflixt guter Ofen",
sagte er zu seinem Frauchen. „Fünf Liter
Wasser bringt er in sieben Minuten zum Sie-
den und heizt in derselben Zeit einen Raum
von fünfundsiebzig Kubikmeter, ^ch schenke
dir den Ofen. Er gehört nun uns."
Sie entfernten den schmutzigen, alten Ofen
und stellten den neuen in der Ecke auf. Frau-
chen brachte den größten Topf mit Wasser,
um die Siedeprobe abzuhalten, indes der
Schulmeister dem Beispiel des Fleißes fvlgte
und den Ofen mit Kohle und Hvlz fütterte.
Würdevoll legte er brennendes Papier unter
und wurde ganz verwirrt vor Freude, als sich
das Täfelchen Marienglas in der Heiztür wie
mit dem Gold der Abendröte färbte.
Der Ofen brannte augenblicklich mit Feuer
und Flamme. Während der Schulmeister aber
noch zwischen dem einen und dem anderen
Händereiben fröhlich von kommenden Winter-
abenden philosophierte, verfinsterte sich plötz-
lich wieder die Herrlichkeit. Die Flamme
wurde zum Flämmchen, und auch dieses ließ
nach, als ob es Angst hätte.
„Es geht aus", sagte Frauchen mit schnei-
dender Stimme, „lllnser alter brannte immer
sofort an." 2n Erkenntnis des Ereignisses
stieg dein Schulmeister stürmisch das Blut zu
Kopf. „Vielleicht habe ich feuchtes Holz unter-
gelegt", heuchelte er entschuldigend und räumte
den Ofen wieder aus.
Er hatte Glück. „Logisch", meinte seine
Frau, „dann kann er freilich nicht brennen."
— „So ist daS Leben", dachte fünf Minuten
später der Schulmeister, als auch das trockene
Holz nicht helfen wollte. „Wenn man anderen
Menschen Gutes tun will, fügt man sich
meistens selbst BöseS zu." Er erinnerte sich
jedoch der Garantie der Firma, daß der Ofen
keine Laster habe, und diesmal wurde dessen
Röhre die Säule, auf die sich deS Mannes
ganze Welt stürzte, während ihm Frauchen
mit funkelnden Augen schweigsam zusah.
„Schrei doch nicht so! Die Röhre ist schuld.
Er wird sicher brennen", sagte er mit gemacht
ruhiger Stimme, denn er wußte, daß die
Sprache das wirksamste Mittel ist, um einer
bösen Frau Luft zu machen. „Schrei doch nicht
Der Vogelhändler Gumppenberg
sv! Alles wird gut. Ich werde ihm das schon
klarmachen. Wasch dir etwas die Arme!
Brauchst du nicht ein Paar neue Strümpfe?
Handschuhe? Es hat keinen Zweck, so p
schreien." Aber Frauchen war nicht wie andere
Frauen, sondern schwieg und starrte weiterhin
mit wilden Augen den Schulmeister und den
Ofen an. Dem armen Mann wurde ange-
sichts dieses Schweigens fürchterlich Angst, und
er vermeinte, aus dem schwarzen Ofenrohr,
das er in der Hand hielt, höhnisch das Echo
seiner Stimme zu hören: „Es hat keinen Zweck
so zu schreien!"
Auch diesmal brannte der Ofen nicht, blnd
während der Schulmeister nach heftiger Szene
ganz geknickt hinter Frauchen her zum Ofen-
lieferanten lief, trat der Hund eine kleine For-
schungsreise um den Ofen an, um nach etwas
zu sehen, daS ihn mit größter Verwunderung
erfüllte.
„Was sollen wir tun? Raten Sie uns!"
sagte der Schulmeister zum Verkäufer. Der
verstand sich schwer dazu, einen Rat zu geben.
Frauchen schleppte den Mann vielmehr mit,
die blntersuchung selbst an Ort und Stelle zu
halten.
„So ein Ferkel!" murmelten alle drei, als
sie, in die Wohnung zurückkommend, den
schweifwedelnden Hund beim Ofen von einem
Kreis kleiner Lachen umgeben sah. „So ein
Ferkel!" Sie meinten den Hund. Der mit-
genommene Verkäufer aber lüftete neugierig
den Deckel vom Topf, der auf dem Ofen
stand. „Wasser ist darin", sagte ärgerlich
Frauchen. — „Kein Wasser", gab der Mann
zur Antwort, „sondern — ein kleines Loch."
Frauchen hatte plötzlich in der Küche zu
tun. Rumorte. Der Schulmeister aber schaute
glücklich auf die kleinen Lachen am Boden,
und die Freude, die er heimlich fühlte, hätte
er um kein Gold der Erde dem Verkäufer
abgetreten. Auch der Hund beschaute wieder
und wieder die Lachen und ging wütend noch-
mals um den Ofen herum. Als er^en anderen
Hund auch diesmal nicht fand, biß er jich
heulend in den Schwanz.
In drei Minuten brannte der Ofen.
Philosoph und Fährmann
Ein Philosoph bestieg einst ein Boot, um über einen Strom zu fahren.
Während der Fahrt fragte er den Fährmann, ob er Arithmetik verstünde.
„Arithmetik?'— Rein, davon habe ich noch gar nichts gehört", war die
Antwort. Der Philosoph entgegnete: „Es tut mir leid um Euch, denn
ein Viertel Eures Lebens ist verloren." Wenige Augenblicke später fragte
er wieder: „Versteht 2hl-' denn etwas von der Mathematik?" — Der
Fährmann verneinte lachend. „Ach", rief der Philosoph, „dann ist ein
zweites Viertel Eures Lebens verloren." — „Astronomie aber versteht
2hr doch wenigstens?" — „Rein, Herr", entgegnete der Fährmann. —
„Run, so ist ein drittes Viertel Eures Lebens verloren!" Gerade in
diesem Augenblick stieß das Boot auf eine Felsspitze und begann zu
sinken. Der Fährmann warf seinen Rock ab und fragte den Philosophen:
„Können Sie schwimmen?" „Rein", rief dieser in großer Angst. —
„Run, so setzen Sie sich schnell auf meinen Rücken", sagte der Fähr-
mann, „sonst sind alle vier Viertel 2^'es Lebens verloren."
vis R e d e
Bei einer 2ufpektionSre.se deS Königs Friedrich Wilhelm I. durch seine
rheinischen Landesteile wurde der Kong von einem Dorfbürgermeister mit
einer nicht endenwollenden, in faden Lobpreisungen gipfelnden Rede be-
grüßt. Der Monarch hörte geduldig bis zum Ende zu und fragte dann
den neben ihm stehenden Generäl Buddenbrock leise: „Ra, waS sagt Er
zu der Rede?" Buddenbrock, der annahm, der König habe sich über d:e
Schmeicheleien des Bürgermeisters gefreut, glaubte erwidern zu mögen:
„Die Rede war bewundernswert, Majestät." — „2ch dächte", wendet
Friedrich Wilhelm lachend ein, „nicht die Rede, sondern wir wären be-
wundernSwert gewesen!" — „Wieso, Majestät", fragte der General.
„Run", lautete die Antwort, „ist eS denn kein Wunder, daß ein Menjh,
der Füße zum Davonlaufen hat, so viel Geduld haben kann, bei einem
solchen Geschwätz ruhig stehen zu bleiben?"
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