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VON KARL LEUCHS

OSZIK

AmtSrat Kroszik hatte die Altersgrenze er-
reicht. Dagegen war nun einmal nicht zu
rechten. Das Alter war da. Man mußte
dankbar sein, daß einem eine gütige Vorsehung
ein so langes, gesundes und arbeitsreiches Leben
schenkte. WaS ihn aber ehrlich enttäuschte,
war der Umstand, daß man ihn jetzt so einfach
mit ein paar Dankesworten aus dem Büro
und dem staatlichen MinisterumSgebäude, das
er seit ZO Jahren als ein Bevorzugter täglich
mit Stolz und einer seinem Amte entsprechen-
den Würde betreten hatte, hinauskomplimen-
tierte. Er verstand das nicht. Bisher hatte
man ihn immer in dem Selbstbewußtem seiner
Unentbehrlichkeit und Unersetzlichkeit bestärkt.
Besonders dann, wenn er sich aufraffte um
Urlaubsbewilligungen einzukommen. Meist zog
er sein Gesuch wieder zurück, weil dringende
Arbeiten nach Meinung seines Ministerialdirek-
tors und sehr nach seiner eigenen, seine An-
wesenheit gerade jetzt erforderlich machten.

In seinen Händen lag die schwierige Etat-
aufsicht, von deren peinlich genauen Durch-
führung nach seiner auS der Erfahrung ge-
sammelten Überzeugung das Wohl des Staates
in erster Linie abhing. Die Arbeit war zwar
trocken und durfte von keinerlei Gefühlsregun-
gen beeinflußt werden, aber sie machte ob der
Machtfülle stolz und das Veto, das ihm sogar
gegenüber dem Herrn Minister zu stand, hob
ihn im Ansehen über alle Kollegen. Ihm stand
die Tür zum Minister jederzeit offen und ohne
ihn vermochte der Minister nichts. Solange
er den Etat überwachte, mochten die Minister
ohne Schaden für den Staat kommen und
gehen.

„Exzellenz", pflegte er zu sagen,

„meine Erhebungen lassen diese Aus-
gaben leider nicht zu. Das Kapitel 7
ist erschöpft. DaS Kapitel l\ hat zwar
einen Überschuß in der auSgoworfenen
Höhe, aber das Kapitel 4 nicht
deckungsfähig!"

Uni) jetzt sollte eS von heute auf mor-
gen ohne ihn gehen? AmtSrat Kroszik
war zum ersten Male um daS Schick-
sal des Staates besorgt.

WaS sollte er nun mit der vielen freien
Zeit anfangen, ohne Uhr, ohne Zahlen
leben, ohne Etatsorgen? Da erinnerte
er sich seiner nunmehr verringerten Ge-
bührnisse. Es war klar, damit war nur
auszukommen, wenn ein genauer Etat
aufgestellt würde, an den man sich ge-
wissenhaft zu halten hätte. Schon in
Gedanken an die zu errichtenden Kapitel
befangen, vergaß er schnell seinen Groll,
sein altes Amt und das Wohl des
Staates. Er steuerte schnurstracks in
das Geschäft des Ministeriumslieferan-
ten und erstand daS altvertraute, große,
amtlich gebräuchliche Hauptbuch, das

in einer Flächenform von fast einem Quadrat-
meter 25 Kapitelkonten auf einer Seite neben-
einander aufnehmen konnte.

Das häusliche Herrenzimmer, das sonst
traulicher Erholung diente, ward sofort zum
Büro umgeräumt. Die Schreibtischnippes
machten zwei Aktenkörben für „Eingang" und
„Ausgang" Platz, der Rauchtisch verwandelte
sich in einen Aktenständer, der Fernsprecher
wechselte von der rechten Schreibtischecke auf
die linke und der Papierkorb, der bisher einer-
langen Pfeife als Ständer gedient hatte, wan-
derte von der Schnarchecke unter den Schreib-
tisch zwischen die amtörätlichen Füße.

Nach einigen Wochen angestrengter Über-
legung waren die Pensionsgebühren in 2\ Ka-
pitel aufgeteilt. 24 Namen standen in feierlicher
Zierschrift über jedem Konto. Der Etat des
eigenen Haushaltes war somit festgelegt. Der
alte Lebensinhalt, die „Etatsorgen", war wie-
der da und die Registrierung der Belege, die
auch für kleinste Beträge der Ordnung halber
eingeführt wurden, gab auch hinreichend Arbeit.
Kroszik lebte wieder zufrieden wie vordem.

Als nach drei Jahren daS Kapitel 7:
„Reisen" auf eine erkleckliche Höhe aufge-
laufen war, gönnte sich Kroszik den dringend
gewordenen Erholungsurlaub und fuhr nach
Norderney. Der Sturm aber fegte ganz gegen
die faifonmäßige Gewohnheit über die Insel
und warf den Amtsrat mit einer Bronchitis
zu Bett. Es ließ sich schon wegen deS OuälenS
der freundlichen Ouartierwirtin nicht umgehen,
einen Arzt zu Rate zu ziehen. Dieser, mehr
beschwert von der Aussicht auf eigenen Nutzen
und den Interessen deS Kurortes, als von den

Etatsorgen deS AmtSrateS, verordnete eindring-
lich eine Nachkur von vier Wochen. Kroszik
dachte mit Schrecken an die Überschreitung der
Ausgaben aus Kapitel s, fügte sich aber, wenn
auch widerwillig, den furchtbaren Drohungen
des Arztes.

Es war nicht zu leugnen, der Etat war aus
dem Gleichgewicht geraten. Es waren Vor-
schüsse entnommen worden, für die Deckung
nicht vorhanden war. Zwar hatten einige
Kapitel Überschüsse, die den Fehlbetrag durch
Übertragung hätten aucheben können, wie das
Kapitel 6 „Bekleidung", Kapitel 17 „Allge-
meine Wohlfahrt" und das Kapitel 24 „Be-
erdigung", sie waren aber für Kapitel 7 nach
den eigenen Richtlinien nicht deckungsfähig.

DaS Loch im Etat blieb. Der einzig mög-
liche Ausweg zur Etatbereinigung war der
eines Gesuches. Er war ihm so zuwider wie
nur etwas, weil er in seiner Amtszeit nie von
einem solchen Gesuche Gebrauch gemacht hatte.
Wo wäre der Staatshaushalt hingekommen,
wenn jedes Ressort auf die Möglichkeit eines
Gesuches hin hätte sündigen können! Schließ-
lich setzte sich Kroszik aber doch an den Schreib-
tisch und fertigte, um endlich sein Gewissen zu
entlasten, ein formvollendetes Gesuch an den
Finanzminister „Abteilung II Etat". Mit über-
zeugenden Worten bat er um die Erlaubnis,
die aus wichtigen Gründen unvermeidlich ge-
wesene Überschreitung in Kapitel 7 aus den
Überschüssen der Kapitel 6, 17 und 24 decken
zu dürfen. In sauberem Umschlag wohlver-
wahrt legte er daS Gesuch auf seinen Schreib-
tisch und begab sich, endlich von einer schweren
Sorge erleichtert zur Ruhe.

Zur gewohnten Morgenstunde nahm
er seinen Arbeitsplatz wieder ein. Sein
Blick fiel auf den Brief.

„Aha, Abteilung II Etat", dachte
er, das bin ich." Dienstliche Falten
zogen über sein Gesicht. Behutsam ließ
er den Brieföffner durch den Umschlag
gleiten, nahm den Inhalt heraus, ent-
faltete ihn und las mit bedächtiger Ruhe
das Gesuch. Dann nahm er das große
Hauptbuch zur Hand und prüfte die
Angaben d es Gesuch sie llerö auf ihre
Richtigkeit. Nach einem kurzen, nach-
denklichen Blick durchs Fenster auf die
draußen im Sonnenlicht sich wohlig
räkelnden Bäume, drehte er den Kanzlei-
bogen um unfc schrieb auf die leere
Seite:

„Urschriftlich zurück. 2:0’

Abgelehnt. Die Notwend gkeit der
Etatüberschreitur.g in Kapitel 7 kann
nicht anerkannt werden, weil die Reise
nach Norderney ursprüng.ich nicht
zwingend geboten war.

I. A. Kroszik/

Vignette R. Mathi

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Register
Ruth Mathi: Vignette
Karl Leuchs: Amtsrat Kroszik
 
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