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J U G E N

4 0. JAHRGANG

D

N R. 6

1F AS C H «TM €. S PH II ILO S O P HII )E

VON GEORG SCHWARZ

lm bunten, larvenfrohen Satyrspiel,

Sei lachend Schütze und zugleich das Ziel!

Wenn du s nicht weißt, ich stecke dir ein Licht:

Die Maske ist dein echtestes Gesicht.

Ein hübsches Tier, das dich beherrscht und lenkt,

Und manchmal besser als du selber denkt,

Gehörnt, geschwänzt, geohrlappt und behuft,

Steckt’s längst in dir — und zeigt sich, wenn man s ruft.

Wach’ auf, Bock, Affe, Stier, Pfau, Kakadu,

Und du vergnügtes, rosiges Ferkel, du!

Tanzt euern Affe?i-, Bock-, Stier-, Pfauentanz,

Blökt, wiehert, grunzt und wedelt mit dem Schwanz!

Die Nacht ist da, wo ihr euch zeigen dürft,

Mit ganzer Lust, genießt und lacht und schlürft,

Bis in den aschegrauen Tag hinein,

Dann fällt’s euch wieder leichter — Mensch zu sein!

EINE MARK - KOSTET DER KARNEVAL

EIN MÜNCHENER FA S C HI N G S E R L E B N I S

.. 's Geld allein macht's Überhaupts nicht,
wenn man in der Münchener Stadt a echte
Faschingsfreud' erleb'n will!" sprach der Ge-
mischtwarenhändler Benno Holzinger auf
seinem Küchenbalkon ins gegenüberliegende
Fenster hinein.

„Wollen S' a bißerl was mitmachen, Herr
Holzinger..

„Freilich ... sogar an ßal pare, der unter
den Bällen dös iS, was die Rollfetten unter
der Margarine bedeutet", redete er zurück und
rieb dazu aus den Schößen seines Fracks mit
Benzin und Salmiakgeist die zurückgebliebenen
Fettflecken vom letzten Preiskegelscheiben.

„Aber a Loch fetzt's halt hinein in d' Brief-
tasch'n, döS Vergnügen ..

„Zahlt werd' bei mir soviel wie nix... I
geh mit einem einzigen Mark! auf an Bai
pare... DöS woll'n mer jetzt grad amal
feh'n, ob's net noch Freuden gibt, die net mit
Geld zahlt werd'n müssen ..."

„Himmlische Freuden schon, Herr Holzin-
ger...! Aber, Sie können doch auf dem Ba!
pare net die ganze Nacht Hallelujah singen .."

„G'sungen wird Überhaupts nix ... I mach'
die G'schicht ganz ü-disch und gratis ... Kruzi-
nesen, muaß denn allaweil alles zahlt werd'n?
Gibt'ü denn gar kei' Hingabe mehr, auSge-
führt durch das ideale und goldene Münchener-
Herz, dessen Existenz immer wieder im lokalen
Teil der Münchener Zeitungen berührt
wird...?"

„Schon ...! Aber ...! Herr Holzinger ...!"

„Gar nix: Aber...! Es gibt no' das echte
Münchener Mädel, das sich ums Sterb'n nix
zahl'n laßt...! Denn wenn i' zahl', verstehn
S' mi, dann verlier i' die Kontrolle — ob
die Lieb' und Freud auch echt war? So
ist's ... bind Gott sei Dank ...!"-

bind Herr Holzinger bereitete seine Fassade
auf den heutigen SamStag-Bal pare vor.
Schon die Vorarbeiten durchpumpten sein
höheres Seelenleben mit tannengrünartiger
Lust, blnd je weniger etwas kostete, um so
weiter darüber hinaus stieg seine Freude wie
ein Kinderluftballon auf.

Auf einem Bai pare war er bisher nur in
ehewidrigen Träumen gewandelt. Sonst be-
standen feine Vergnügungen nur im Geben von
Trinkgeldern unter fünf Prozent, dem Besuch
von Schwurgerichtsverhandlungen, einem
Spaziergang durch die Krippensammlung und
Folterkammer des Nationalmuseumö, und in
der Teilnahme an sämtlichen Sonntagnach-
mittagöbeerdigungen des Südlichen Friedhofs..

Jetzt hängte er sich seine Sprungdeckeluhr
mit goldener Leine vor den Bauch, der soeben
einem franziskanischen Brathendl zum Krema-
torium geworden war. Dann arbeitete er sich
in seinen Pelzmantel mit garantiert dreißig
Grad Wärme im Schatten — hinein, und ver-
senkte mit wohliger Lust eine Silbermark in
die Tiefe seiner Westentasche.

. .. Illnd mit festlich asthmatischem Gepfeife
seiner Bronchien zog er rnit vorgekaufter Karte
in die lustüberfüllten Räume des Bai pare ein,
durch den erweitert und parfümiert viele
goldene Münchener Herzen sozusagen wogten.

Benno Holzinger, der Gemischtwarenhänd-
ler, drückte die Augen zu, auf daß sie ihm
nicht herausfallen konnten. Dann schwamm er
wie ein vollbesetzter Ausflugsdampfer strom-
aufwärts einem Tische zu, der nur von einer
Weinkarte besetzt war.

Vor dem „Ober" noch landete ein spinat-
grüner Domino — mit Visier und Sommer-
sprossen über'm Gesicht — an seiner Seite.

„Warum sitzt denn du so allein da?"
flüsterte sie.

„Schau, Muckerl... ich such das goldene
Münchener Herz, a wahre Lieb' und aufrich-
tige Freud'...!"

„'s goldene Münchener Herz suchst d'...?
Ja, wenn dir döS meinige groß genug, ist,
dann bleib' i glei' da...? I Hab' dich ja
schon an der Garderobe g'seh'n, und da hast
mir schon g'fall'n ..."

„Siehst, Maust...! Es gibt doch noch die
gut bürgerlichen Madln, die 's Herz am
recht'n Fleck hab'n, und die... eine gewisse
Tiefe des Gemüts, gepaart mit Seelenfrieden,
preiszugeben haben, und die..."

„Schatz — und was trinken mer denn?

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