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J U G

40. JAHRGANG

N d

1 9 3 5 / Nr, 9

i/-fbsUiied

Es ist nicht mehr das frühe Leid, —
kaum weißt du noch, wie alles kam, —
es ist nur diese Einsamkeit
und eine brennend tiefe Scham.

Und was noch manchmal in dir schreit
und dich mit neuer Kot bedeckt,
ist nur das ungewohnte Kleid
des Alters, das dein Herz erschreckt.

Bald aber gehst du ganz gefeit
durch deine späten Lage hin
und nennst es Abgefundenheit
und Weisheit — und erfrierst darin.

Willibald Omankowski

Der MalSmensch

Von Hermann Hesse

Im Anfang der Zeitalter, noch ehe die junge Menschheit sich über die
Erde verbreitet hatte, waren die Waldmenschen. Eng und scheu lebten
sie in'der ewigen Dämmerung der tropischen Urwälder, stets im Streit
mit ihren Verwandten, den Assen, und über ihrem Tun und Sein stand
als einzige Gottheit und oberstes Gesetz: der Wald. Der Wald war
Heimat, Schutzort, Nährer, Wiege, Nest und Grab, und außerhalb des
Waldes vermochte man sich kein Leben zu denken. Man verinied eS,
bis an seine Ränder vorzudringen, und wer je durch besondere Schick-
sale aus Jagd oder Flucht dorthin verschlagen worden war, der erzählte
zitternd und geängstigt von der weißen, lodernden Leere draußen, wo
man daS furchtbare Nichts im tödlichen Sonnenbrand gleißen sähe. Es
lebte ein alter Waldmann, der ivar vor Jahrzehnten, durch ivilde Tiere
verfolgt, über den äußersten Rand hinausgeflohen und alsbald blind
geworden. Er war jetzt eine Art Priester und Anführer und hieß Mata
Dalam (der daS Auge inwendig hat); er hatte daS heilige Waldlied ge-
dichtet, das bei großen Gewittern gesungen wurde, und aus ihn hörten
die Waldleute. Daß er die Sonne mit Augen gesehen hatte, ohne daran
zu sterben, das war fein Ruhm und sein Geheimnis.

Die Waldmenschen waren klein und braun und stark behaart, sie
gingen vorgebückt und hatten scheue Wildaugen. Sie konnten wie Men-
schen gehen und auch wie Affen, und fühlten sich hoch im Geäste des
WaldeS ebenso sicher wie am Erdboden. Häuser und Hütten kannten sie
noch nicht, wohl aber mancherlei Waffen und Gerätschaften, auch
Schmuck. Sie verstanden Bogen, Pfeile, Lanzen und Streitkolben auS
harten Hölzern zu machen, Halsbänder aus Bast und mit getrockneten
Beeren oder Nüssen behängt, auch trugen sie um den Hals oder im
Haar ihre Kostbarkeiten: Eberzahn, Tigerkralle, Papageienseder, Fluß-
muschel. Mitten durch den unendlichen Wald floß der große Strom;
die Waldmenschen wagten sein Ufer aber nur in dunkler Nacht zu be-
treten, und viele hatten ihn nie gesehen. Die Mutigeren schlichen zu-
weilen deö Nachts auS dem Dickicht hervor, scheu und lauernd. Dann
sahen sie im schwachen Schimmer die Elefanten baden, blickten durch die
überhängenden Baumwipsel und sahen erschrocken im Netzwerk der viel-
armigen Mangrovebäume die glänzenden Sterne hängen. Die Sonne
sahen sie niemals, und eS galt schon für äußerst gefährlich, ja tod-
bringend, ihr Spiegelbild im Strom zu erblicken.

Zu jenem Stamm von Waldleuten, welchem der blinde Mata Dalam
Vorstand, gehörte auch der Jüngling Kubu, und er war der Führer und
Vertreter der Jungen und Unzufriedenen. Es gab nämlich Unzu-
friedene, seit Mata Dalam älter und herrschsüchtiger geworden war.
Bisher war es sein Vorrecht gewesen, daß er, der Blinde, von den
andern mit Speise versorgt wurde, auch fragte inan ihn um Rat und
sang sein Waldlied. Allmählich aber führte er neue und lästige Bräuche
ein, welche ihm, wie er sagte, von der Gottheit des Waldes im Traum
geoffenbart worden waren. Ein paar Junge und Zweifler aber be-

haupteten, der Alte sei ein Betrüger und suche bloß seinen eigenen Vorteil.

DaS Neueste, was Mata Dalam eingeführt hatte, ivar eine Neu-
mondseier, wobei er in der Mitte eines Kreises saß und die Rinden-
trommel schlug. Die anderen Waldleute aber mußten so lange im Kreise
tanzen und daS Lied „Golo Elah" dazu singen, bis sie todmüde waren
und in die Knie sanken. Dann mußte ein jeder sich daS linke Ohr mit
einein Dorn durchbohren, und die jungen Weiber mußten zu dem Priester
geführt werden, und er durchbohrte einer jeden daS linke Ohr mit
einem Dorn.

Dieser Sitte hatte sich Kubu samt einigen seiner Altersgenossen ent-
zogen, und ihr Bestreben war, auch die jungen Mädchen zum Wider-
stand zu bewegen. Einmal hatten sie Aussicht, zu siegen und die Macht
des Priesters zu brechen. Der Alte nämlich hielt wieder Neumondfest
und durchbohrte den Weibern daS linke Ohr. Eine kräftige Junge
schrie dabei aber furchtbar und leistete Widerstand, und darüber passierte
eS dem Blinden, daß er ihr mit dem Dorn ins Auge stach, und das
Auge lies auS. Jetzt schrie daS Mädchen so verzweifelt, daß alle her-
beiliesen, und als man sah, waS geschehen war, schwieg man betroffen
und unwillig. Als aber nun die Jungen sich triumphierend darein-
mischten, und als der Kubu den Priester an der Schulter zu packen
wagte, da stand der Alte von seiner Trommel aus und sagte mit krähend
höhnischer Stimme einen so grauenhaften Fluch, daß alle entsetzt zurück-
flohen und dem Jüngling selber das Herz vor Entsetzen gefror. Der
alte Priester sagte Worte, deren genauen Sinn niemand verstehen
konnte, deren Worte und Ton aber an die gefürchteten heiligen Worte
der Gottesdienste anklangen, bind er verfluchte deS Jünglings Augen,
die er dem Geier zum Fräße zu sprach, und verfluchte seine Eingeweide,
von welchen er prophezeite, sie würden eines Tages im freien Felde in
der Sonne rösten. Dann aber befahl der Priester, der in diesem Augen-
blicke mehr Macht hatte als jemals, das junge Mädchen nochmals zu
sich und stieß ihr den Dorn auch inS zweite Auge, und jedermann sah
eS mit Entsetzen, und niemand wagte zu atmen.

„Du wirst draußen sterben", hatte der Alte dem Kubu geflucht, und
seither mied man den Jüngling als einen Hoffnungslosen. „Draußen
— daS hieß: außerhalb der Heimat, außerhalb des dämmernden Waldes!

„Draußen", das bedeutete Schrecken, Sonnenbrand und glühende, töd-
liche Leere.

Entsetzt war Kubu weit hinweggeslohen, und als er sah, daß jeder-
mann vor ihm zurückwich, da verbarg er sich in einem hohlen Stamm
und gab sich verloren. Tage und Nächte kauerte er, wechselnd zwischen
Todesangst und Trotz, und ungewiß, ob nun die Leute seines Stammes
kommen würden, ihn zu erschlagen, oder ob die Sonne selbst durch den
Wald brechen, ihn belagern und erjagen und erlegen werde. Es kam
aber weder Pfeil noch Lanze, weder Sonne noch Blitzstrahl, eS kam
nichts als eine tiefe Erschlaffung und die brüllende Stimme des Hungers.

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Register
Hermann Hesse: Der Waldmensch
Willibald Omanowski: Abschied von der Jugend
 
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