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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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J u

4 0. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 5 / N R. 1 0

Die Begräbniskosten

Von Hans Watzlik

Der Spirkerbauer steht vor dem Bett des Kranken. „Vater", meint
er, „jetzt geht'ö mit Euch dahin."

Der Alte hüstelt mühselig und seufzt: „Ja, ja! Die Hausnatter hat
gepfiffen, da stirbt einer vom Hof weg. blnd der bin daSmal ich. Meinet-
wegen!"

Der Sohn nickt dreimal mit dem schweren Kopf. „Einen jeden trifft
halt sein Stündel", sagt er. „Keiner wird übersprungen."

„Es hat lang genug mit mir gedauert", murmelt der Alte. „Wenn
einer so alt wird, wie ich, will der Tod keine Schuld haben."

„Laßt eg nur gut sein, Vater", beschwichtigt ihn der Sohn. „Der
Pfarrer hat ja Euere Seel ordentlich auSgetröstet."

Der Kranke wird verdrießlich, er hebt sich matt in dem durchschwitzten
Bett und stützt sich auf den Ellbogen. „Was stehst du da und reißt die
Augen auf?" greint er. „Du gehörst in die Wiesen! Nutz das schöne
Heuwetter aus! Mein Sterben verricht ich allein."

Der Spirkerbauer sieht das ein. Er rückt dein Kranken einen Stuhl
neben das Bett, auf den Stuhl stellt er den Leuchter mit der geweihten
Kerze lind mit einer Schachtel Schwefelhölzer. „So, Vater! bind wenn's
zum Sterben wird, so zündet Euch halt selber die Kerze an! bind jetzt
behüt Euch Gott! blnd grüßt mir die andern drüben in der Ewigkeit!"

Er greift nach dem Rechen und geht. —

Abends kommt der Spirker von der Wiese heim und erinnert sich an
den Kranken. Er schaut in der Kammer nach. Drin liegt der Alte steif
und weiß, die Pfeife erloschen zwischen den Zähnen. Neben ihm brennt
das Totenlicht.

Der Bauer rennt zum Pfarrer, das Begräbnis will er mit ihm auS-
handeln. Er trifft ihn nicht in der Küche und nicht in der Kirche. Er
trifft ihn auf der Wiese draußen.

Die Pfarrersleute laden die letzte Fuhre auf. Im Mondschein steht
der geistliche Herr droben auf dem riesigen Heuwagen und jodelt: „Halle-
lujah!"

„Pfarrer!" schreit der Spirker schon aus aller Weite. „Pfarrer, der
Vater ist dahin! Ein Begäbnis muß er kriegen, daß alle Leut sich ver-
wundern! Alle Glocken! Die ganze Musik! Eine schöne Leich muß eS
werden! blnd spar nur nicht mit dem Weihrauch! Ich laß es mir waS
kosten!"

*

Am dritten Tag hernach haben sie den Alten begraben. Nur sieben
Jahre sind ihm noch zum Hunderter abgegangen. Die Feuerwehrmusik
hat geblasen, der Pfarrer hat alles aufs schönste verrichtet. Der Spirker
kann leicht zahlen, sein Vater hat den Hof in die Höhe gebracht, vier
Weiber sind seinem Vater gestorben, und beim Diehhandel hat er alle
Kniffe gewußt und selbst die ältesten Roßjuden weinen gemacht. Drum
kann sein Nachfolger leicht zahlen.

Don der Pfarrgemein Gschwend heißt es ansonst, daß sie im Herbst
um Allerseelen immer wie auSgestorben liegt, denn da gehen alle
Gschwender in die Nachbarschaft Seelenwecken betteln. Nur der Pfarrer
nicht und der Schulmeister nicht. Der Pfarrer, weil er keine Schuh hat,
und der Schullehrer, weil er keinen Rock hat. Mit diesem Schwank

hat es feine rechte Bewandtnis. Denn im Kirchbuch steht, daß vor zwei-
hundert Jahren der Gschwender Geistliche bei Nacht und Nebel davon
ist, weil er im Ort sein Auskommen nicht hat finden können, blnd die
Pfründe ist heute noch mager genug, blnd die Bauern sitzen nach wie
vor auf jedem Kreuzer und feilschen wie die Herrgottleinhändler, klnd
so muß sich auch der Pfarrer Klaus tüchtig mit ihnen herumschlagen,
wenn er zu dein Seinen kommen will.

Also steht der Spirker, nachdem der Vater mit dein Freithofskot zu-
gedeckt ist, vor seinem Pfarrer. Die Leichenkosten möchte er zahlen.

„Eine Leiche erster Klasse hast du angefriemt", sagt der Geistliche.
„DaS kostet zwanzig Gulden."

Der Bauer prallt einen Schritt zurück. Er legt die Hand aufs Herz,
fein Gesicht verschmerzt sich. „Zwanzig Gulden! Zwanzig Gulden!"
murmelt er. „Handeln laßt du nicht, Hochwürden?"

„Summa summarum zwanzig Gulden!" sagt der Pfarrer. „DaS ist
die ortsübliche Gebühr. Du hast eS ja gewußt."

„Ein wildes Geld!" staunt der Bauer. „Hochwürden, laß fünf Gul-
den nach und schlag sie einem andern zu!"

„Zwanzig Gulden, Spirker!"

Dem Bauer fällt der Hut aus der Hand. „Zwanzig Gulden! So viel
vermag ich nicht auf einmal. Ich will es ruckweise abzahlen."

„Hm hm, Spirker, das ist aber schlimm für die abgelebte Seele!"

„Ha, wie denn da, Pfarrer?"

„Spirker, solang das Begräbnis nicht bis auf den letzten Kreuzer
bezahlt ist, muß dein Vater im Fegfeuer drinsitzen und lechzen."

Dem Bauer schaudert eS. „Ich zahl ja alles, Hochwürden. Du wirst
es sehen, ich zahl."

„Ja, zu Agidi, wenn die Schinder ihren Jahrtag haben", spottet der
Pfarrer.

„So muß ich mich halt fleißen", klagt der Spirker und legt fürs erste
fünf silberne Gulden hin.

Der Geistliche schmunzelt. „Das gefällt mir. So, und jetzt steht dein
Vater schon mit dem Kopf überS Fegfeuer heraus."

Am nächsten Sonntag bringt der Bauer wieder fünf Gulden.

„Das ist recht", lacht der Pfarrer. „So, und jetzt steht dein Vater
nur noch bis zum Bauch in der Pein."

Hernach aber läßt sich der Bauer hübsch Zeit. Erst zu Mariä
Kräuterweih bringt er wieder fünf Gulden.

„Mir scheint, dich greift eö gar nicht an, wenn eine verwandte Seele
auf den Flammen reitet?" tadelt der Pfarrer. „So, und jetzt leckt daS
Feuer dem Alten nur noch bis zum Knie. Es ist aber noch alleweil heiß
genug."

„Wehleidig ist mein Vater nie gewesen", meint der Bauer und geht
nachdenklich davon.

Jetzt scheint aber der Spirker ganz und gar auf die Zahlung ver-
gessen zu haben. Der Mond wird voll und wieder halb, er wird schwarz
und hängt dann wie eine Staudensichel überm Wald: der Bauer zahlt
nicht. Das Grummet wird eingefahren, die Erdäpfel werden gegraben,
der Flachs wird gebrechelt: der Bauer zahlt nicht.

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