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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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40. JAHRGANG

1 9 3 5 / Nr. 3 1

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Von Rudolf Kreuzer

Töricht Herz sinnt ein Gedicht.
Langsam kommt der Mond ins Klare,
Wein im Glase schimmert licht
jagend duftet süß aus deinem Haare.

Überm Laubwerk Nacht und Sterne. —
Silbern tastet deine Hand
Aus dem Dunkel und ganz ferne
Wettert es am Himmelsrand.

(Sari (Sonrad:

AN JESSICA

Heute Morgen nach der Probe, liebe Jessica, hörte ich von Direktor
Willmann, daß du bei uns Engagement für den ersten Oktober ge-
nommen hast und die große Tourno mitmachen willst. Aus dem
„Artisten" wirst du wissen, daß ich gleichfalls für den Winter und die
Tourno engagiert bin. Es wird also unvermeidlich sein, daß wir uns
sehn. Ringsherum ist alles in Betrieb, stell dir vor, wie ich hier sitze,

und vom Zelt stehen nur noch die Masten, aber der Lärm stört mich

nicht, obgleich soeben eine ganze Menge von unseren Schleppern auge-
fahren kommt. Ich sitze hier draußen auf meinen Koffern, und die

Wolken sind schon alle weg, wir werden einen schönen Reisetag haben,
du auch, und der Lärm kann mich gar nicht stören. Direktor Willmann
hat mir erzählt, daß du in O. zu uns kommen wirst, aber vorher muß
ich dir noch allerlei sagen, bitte, mach jetzt kein Gesicht. Ich erinnere
mich noch gut daran, wie es aussieht, wenn du ein „Gesicht" machst. Die
Augen richtest du starr auf einen Punkt der Tischplatte oder waS sonst
dicht vor dir ist, und die Lider sind so weit nach unten, daß man nichts
mehr von den Augen sieht, und du drückst die Lippen fest zusammen, zu
ist das Tor, nicht wahr, und du kannst auch nicht abstreiten, daß du
die Augenbrauen dabei ein wenig nach oben ziehst. Oder willst du das
abstreiten? Aber gib eS ruhig zu, du machst eS nur ganz leicht, daß
es gar nicht affektiert wirkt, und dann, waS wäre auch Schönes an
diesem „Gesicht", wenn nicht der kleine, liebenswürdige Wink da wäre:
„O bitte, es handelt sich nicht um einen sturen Ernst, eS ist auch ein
bißchen so waS wie Theater.dabei?"

Einmal, ich war sehr überanstrengt, sprang ich zu spät von BobbyS
Rücken (Bobby liegt hinter den Wohnwagen, eine große Zeltplane über
ihm, eS sieht wie ein graues Gebirge aus; er ist tot), ja, da sprang ich
zu spät von seinem Rücken herunter, und war noch in der Lust, als du
absprangst, und so konnte ich dich nicht ausfangen und verpatzte den
ganzen Schluß, aber das Publikum klatschte doch sehr anständig, ich
glaub, es war in Brüssel, es hatte wohl gar. nichts gemerkt, und wir
mußten noch mal raus, und verbeugten uns. Bobby stand zwischen unS,
und ich sah unter seinem Rüssel hindurch nach dir, aber eS war noch das
Manegegesicht, sehr strahlend, und als wir in der Garderobe waren, sah
ich sofort, daß du dein „Gesicht" machtest. Du saßt vor deinem Spiegel
und blicktest auf eine Dose mit rosa Puder, die dicht vor dir stand,
und, Jessica, weißt du noch, waS ich da tat, damit das „Gesicht"
wegging?

Aber ich bitte dich um alles in der Welt nimm es richtig auf, wenn
ich dich jetzt daran erinnere, denn es ist richtig gemeint. Wenn du .sagst,
daß ich matt, haltlos, wankelmütig war, ja, leichtsinnig, dann hast du
recht, ich Hab das alles inzwischen bezahlen müssen, aus Heller und
Pfennig, aber, nicht wahr, Jessica, laß meiner Eitelkeit das kleine Ver-
gnügen und sag, daß ick niemals geschmacklos war. Ich meine eS richtig,

wenn ich dich an diese Stunde in deiner Garderobe erinnere, damals, an
dem Abend vor vier Jahren, in Brüssel (ich weiß jetzt bestimmt, daß
eS Brüssel war), und an dem alles ansing, was ich jetzt nicht weg-
wischen will, sondern bekräftigen.

Ich weiß, daß ich so zu dir sprechen darf, ich habe mich oft bei
Kollegen nach dir erkundigt, ich weiß, wie du lebtest. Du hättest dich
natürlich durch gar nichts stören lassen, aber trotzdem, jawohl, trotzdem,
und obgleich du glaubtest, es sei vollständig aus und erledigt, lebtest du so.
llnd nun fragst du dich: wozu schreibt er das alles? Was will er?

Ich hätte dir wahrscheinlich nicht geschrieben, wenn Bobby nicht heute
Nacht gestorben wäre. Sagte ich schon, daß er tot ist? Obgleich ich dir
diesen Brief in den drei Jahren, seit wir auseinander sind, jeden Tag
mindestens einmal in Gedanken geschrieben habe, morgens beim Rasieren,
und abends, wenn ich in meinem- Stuhle saß, und sie mich zurecht
machten für die Manege, und jedesmal an ihm ergänzt und verbessert,
wenn ich Bobby oder überhaupt sonst einen Elefanten sah, bedurfte eS
doch eines besonderen Anstoßes, mein Gott, wie träge wir oft sind, oder
ist es Angst? Ich habe drei Jahre lang gedacht, du würdest über diesen
Brief lachen.

Als wir gestern Abend aus unserem Cafe kamen, wir hatten nach der
Vorstellung noch ein wenig dagesessen, die drei BartellieS und ich, man
muß über den freien Platz gehn, es liegt allerhand Abfall da herum, du
weißt, und über die Brücke, unten die vielen Dampfer am Ouai mit
Lichtern, da stand vor dem Seiteneingang, wo es zu den Ställen geht,
ein Wagen und es kgm gerade jemand aus dem Portal heraus und noch
jemand in einem weißen Kittel, und die beiden Männer sprachen leise
miteinander, und dann stieg der eine in den Wagen und fuhr davon, aber
wir sahen, daß der Mann in dem weißen Kittel der Dompteur blllweber
war, und wir fragten ihn: „Was ist los?" und er sagte: „Bobby geht
ein. Der Arzt war gerade da. Es ist hoffnungslos." Die drei BartellieS
interessierten sich nicht besonders für Bobby, er hatte in ihrem Leben
keine Rolle gespielt, und gingen zu ihrem Wagen, aber ich ging mit
blllweber nach den Ställen. Er ist jung, ihn interessiert eine Sache nur
so lange, wie sie in schönster Ordnung ist, und er hatte sich in letzter
Zeit auch sehr viel mit der jungen Jenny besaßt, die ausgezeichnet ein-
schlägt. Also blieb Ullweber vor dem Eingang zum Elesantensiall stehen
und sagte, daß er es nicht ansehn könnte. Ich glaube das nicht, die
Angelegenheit interessierte ihn einfach nicht mehr, er war fertig damit.
So ging ich allein hinein. Ganz am Ende brannte eine Laterne, und der #
alte Wärter Boseberg (du erinnerst dich an ihn, er hat einen Vacken-
bart, grau wie englischer Shetland) saß auf einer Kiste und sah immer
nach dem dunklen Gebirge hin, das sich aus und ab bewegte, und auS
dem ein stoßweises Stöhnen drang. Wir saßen über eine Stunde jv.
Bobby bewegte sich noch immer. Seine Atemzüge waren langsam, an-

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Register
Rudolf Kreutzer: Sommernacht
Carl Conrad: An Jessica
 
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