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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6779#0514
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J u

4 0. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 5 / N R. 3 3

(Sari (Sonracl:

Der Tempel, zu dem wir nicht kamen

Rechts ging der Berg weiter hinauf, braun und kahl, und links war
der Abhang, lluten sah inan daS dichte Gebüsch und ganz in der Ferne
die Küste. Der Weg war schmal und sehr schlecht. Der schwarze
Chauffeur fuhr einfach darauf loS, und jedesmal, wenn das alte Miet-
auto durch ein Loch fuhr, hüpften wir alle auf unseren Sitzen hoch, der
Schwarze auch, aber es schien ihm Spas; zu machen. Er trug einen
weißen Chauffeurmantel. Als wir einstiegen, hatten wir seine nackten
Beine gesehn. Er trat mit nackten Füßen auf die Pedale. Auf dem
Kopf trug er eine Melone, in seinen Ohren hingen dicke blanke Messing-
ringe, wie von Gardinenstangen. Der Kapitän saß neben ihm. Er drehte
sich nach uns um.

„In vier Stunden sind wir da", sagte er. „Eine halbe Stunde Rast
rechne ich ein. In einer Stunde haben wir den Tempel und den Teich
und die heiligen Hühner geschn. klm acht sind wir wieder an Bord."

„Ich war lieber bei meiner Frau geblieben", sagte ich.

„Der Arzt hat mir versichert, daß Ihre Frau in ein oder zwei Tagen
wieder vollständig gesund ist", sagte der Kapitän und drehte sich um.
Don hinten sah man, daß er sich sehr schlecht hielt. Ich fühlte, wie
Fräulein van der Meren ihre Hand auf meinen Arm legte. Es war
mir unangenehm.

„Meine Schwester wird Ihre Frau ebenso liebevoll pflegen, wie Sie.
Der Kapitän hat vollständig recht. Sie haben vierzehn Tage lang an
ihrem Bett gesessen. Schließlich brechen Sie noch selbst zusammen. Sie
haben Zerstreuung nötig. Dieser Ausflug ist doch herrlich." Sie machte
zwischen jedem Saß eine Pause, und in den Pausen sah sie geradeaus.
Aber wenn sie wieder sprach, blickte sie mich an. Ich sah immer gerade-
aus, und sie ließ meinen Arm los.

Als wir fast oben waren, und auf der anderen Seite des Tales schon
den nackten gelben Hügel sehen konnten, auf dem der Tempel Malujesse
lag, begann unser Motor zu klopfen, und dann setzte er aus. Der
Schwarze sprang aus dem Wagen, sagte irgend etwas, was ich nicht
verstand, und klappte die Haube auf. Wir stiegen auch alle aus und
blickten über die Schultern des Schwarzen nach dem Motor. Der
Schwarze drückte ein paarmal auf die Dergasernadel, dann begann er
zu kurbeln. Wir traten beiseite und horchten nach dem Motor, ob er
anspringen wollte, und schließlich gingen wir noch ein Stück den Weg
hinauf, um eine Stelle zu suchen, von wo man den Tempel sehen konnte.
Der Schwarze schrie, wir drehten uns um, der Wagen rollte nach rück-
wärts, die Vorderräder stellten sich schief, der Schwarze hielt nur noch
die Kurbel in der Hand, der Kapitän und ich liefen hin, aber wir konn-
ten die Bremse nicht mehr fassen, der Wagen war schon mit einem Rad
über dem Abgrund, und dann sauste er hinab. Wir blickten ihm nach,
wie er fiel, und bevor er unten aufschlug, war er schon in Flammen.
Das Knattern und Zischen drang bis zu uns herauf. Die Flammen
stießen spitz und schnell durch den schwarzen Oualm. Zuletzt war nur
noch wenig Oualm und ein Berg von schwarzem Etwas da. Ich drehte
mich nach dem Chauffeur um. Er kniete, die Kurbel immer noch in den
Händen, und stieß andauernd mit dem Kopf gegen die Erde. Der Kapitän
rief ihm in seiner Sprache etwas zu, und er antwortete. Ich sah den
Kapitän an. Sein großes, eckiges Gesicht war unter dem weißen Helm
bläulich angelaufen.

„Ich fragte ihn, ob sein Unternehmer versichert sei", sagte der Kapi-
tän, „aber ich kann es ihm nicht begreiflich machen. Es ist mir jetzt
auch zu lästig. Ich werde allein gehen."

„Der Proviant ist verbrannt", sagte ich. „Sie kennen die Gegend
besser als ich. Sie wissen genau, waö hier alles einem Mann passieren
kann, der allein ist."

Wir standen alle drei auf dein Weg herum und der Schwarze kniete
noch immer und jammerte und schlug seinen Kopf gegen die Erde.

„Der Kapitän will allein gehen", sagte ich zu Fräulein van der Meren,
„zu Fuß und allein."

„Wirklich? Wird er es schaffen?" Sie zitterte, aber jetzt versuchte sie
zu lächeln. Ich drehte mich von ihr weg und nahm den Kapitän beim
Arm.

„Sie werden doch nicht im Ernst glauben, Kapitän", sagte ich leise,
„daß das irgendwas mit Glück oder Unglück zu tun hat, wenn Sie nicht
zu dem Tempel kommen?"

„Nein", sagte er und riß seine Augen unnatürlich auf, „glaube ich
auch gar nicht. Aber ich war in jedem Jahr hier. Nur im letzten nicht.
Da hatte ich direkte Order nach Sidney. Sie werden es blödsinnig fin-
den, aber es ist so, die ganzen Jahre ging alles gut, im letzten Jahr ist
mir daö passiert — Sie wissen ja. Wenn ein Kapitän, dem das Schiss
unter den Füßen weggebrannt ist, noch im Dienst bleibt, das .st schon
ein Wunder, nicht wahr, ein kolossales Wunder? Aber wenn noch dag
geringste passiert, bin ich erledigt. Haben Sie schon von der Duplizität
gehört?"

„Ja", sagte ich, „aber ich glaube nicht daran."

„Sie könnten mit Fräulein van der Meren zur Plantage Lay gehen.
Der Schwarze führt Sie hin. Dann rufen Sie -in Celissee an und schicken
mir ein Auto zum Tempel. Ich fahr' morgen früh mit dem Auto zurück."

„Sis könnten nicht vor Mitternacht beim Tempel sein", sagte ich
„Sie ziehen das zweite Unglück mit Gewalt herbei."

„Wie das brannte! Das vergess' ich nicht!" sagte Fräulein van der
Meren. „War es nicht grausig?"

„Gut", sagte der Kapitän, „gehen wir zur Plantage Lay."

Der Schwarze ging voraus, Fräulein van der Meren ging zwischen
dem Kapitän und mir und hakte sich bei uns ein. Sie war klein und
mager, und in ihrer engen Cordjacke und den Brecheshosen sah sie noch
magerer aus. Der Schwarze murmelte vor sich hin, und der Kapitän
rief ihm etwas zu, was sehr energisch klang. Aber der Schwarze mur-
melte weiter. Dann drehte er sich im Gehen sogar um und zeigte mit
seiner großen schwarzen blanken Hand auf Fräulein van der Meren und
rief sehr laut irgend etwas und wiederholte es immer. Dabei hatte er
die dicke Haut über seiner Stirn in Falten gezogen. Der Kapitän schrie
ihn an und hob die Faust. Der Schwarze drehte sich um, aber er mur-
melte noch den ganzen Weg über.

„WaS will er?" fragte Fräulein van der Meren.

„Er sagt, die weiße Frau ist schuld, sie hat den Manzeppa nicht an-
gefaßt, bevor sie eingestiegen ist." Fräulein van der Meren lachte und
ließ sich für einen Augenbllck in unseren Armen hängen. Der Kapitän
und ich hatten, bevor wir einstiegen, den kleinen Manzeppa, eine dicke,
goldgrüne Puppe aus Zelluloid, die mit Draht am Steuer befestigt
gewesen war, mit einem Finger berührt. Ich batte mir nichts dabei
gedacht und tat es nur, weil es der Kapitän auch tat; ich wollte mich
anpassen, aber Fräulein van der Meren hatte das alles ignoriert und
war einfach so eingestiegen. Wir gingen den Weg hinab und dann aus
einem schmalen Pfad durch daS Tal, und nun mußten wir alle hinter-
einander gehen, der Schwarze zuerst, dann der Kapitän, und Fraulein
van der Meren ging hinter mir und kitzelte mich mit einem langen Gras-
halm im Nacken.

„Kapitän", sagte ich, „ich möchte wissen, wie eS meiner Frau jetzt
geht."

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Carl Conrad: Der Tempel, zu dem wir nicht kamen
 
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