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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6779#0562
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J u G

4 0. JAHRGANG

END

1 9 3 5 / N R. 3 6

Den ©pfcrstcin

Von Georg Schwarz

Der Fund

Abend für Abend, wenn der blaue Rauch aus dem Karnin seiner Hütte
wirbelte, trat Grob, der Korbflechter, vor die Tür, lief an den Bach,
stand auf dem Brett und schaute trübsinnig auf die weißen, trockenen
Wacken und Kiesel — und wünschte fid) Wasser.

Wenn er so stand und sann, drang ihm jedesmal der Geruch gebratenen
Ziegenkäses in die Nase, seines Nachtmahles, das er schon seit Jahren
zum Teufel wünschte.

Eines Abends, er ging langsam und in Sinnen auf seine Hütte zurück,
stolperte er und fiel aus die Nase.

Er erhob sich, schimpfte, tastete in der Halbdunkelheit den Grund ab
— und geriet an einen Stein von absonderlicher.Form.

Das machte ihn neugierig.

Er schlich in seine Gerätekammer, griff in der Dunkelheit nach Hacke
und Spaten, zündete seine Handlaterne an und leuchtete die Stelle ab,
wo der Stein lag.

Ein mäßig großer Bloch mit glatten Flächen, ein Ouader, sskeckte fest
in der Erde und ließ sich nicht ohne Mühe herausmachen. Während er
am Werke war, wurde er von seiner Frau zum Nachtmahl gerufen. Er-
gab ihr mit deutlichen Worten zu verstehen, daß er noch Zeit genug habe,
den angebratenen Ziegenkäse hinunterzuwürgen, sie möge ihn jetzt nicht
bei der Arbeit stören.

Die Frau war der Meinung, Grob ziehe wieder, wie so oft, Wasser-
gräben durch die Wiese, um den himmlischen Segen abzufangen, wenn er
einmal falle, und antwortete ihm mit einem gutmütigen Gelächter.

Nach einer Weile gab der Stein nach, er war von beachtlicher Länge,
und Grob umfaßte ihn und richtete ihn auf.

Abtastend stellte er an seiner Kopfseite eine schüsselartige Vertiefung
fest, über die er sich Gedanken machte.

Weil ihn jetzt aber seine Frau zum zweitenmal ins. Hauö rief, ließ er-
den Stein stehen, wo er stand — und ging in seine Hütte.

Der Herr P f a r r e r

Am andern Tag bekam Grob und feine Frau Besuch vom Pfarrer.
Das geschah jedes Jahr einmal. Der Seelenhirt sparte sich diesen sauren
Gang immer auf einen der schönsten, blauen Sommertage auf, verweilte
gern lange Zeit unterwegs und kürzte dann den Besuch in Grobs ewiger
Armutei entsprechend ab.

So traf eS sich, daß der Pfarrer erst gegen Spätnachmittag im Wald-
winkel ankam, als Grob mit seiner Hausarbeit, der Korbflechterei, fertig
war und sich vor dem Hanfe mit seinem seltsamen Fund beschäftigte.

„Das ist ein Opferstein", sagte der gebildete Mann, als ihn Grob
nach der Begrüßung auf seinen Stein aufmerksam machte.

„Die kleine Mulde, die er oben aufweist", sagte der geistliche Herr,
„dient zur Aufnahme der Opfer, als da betrachtet wurden die Früchte
des Feldes und des Gartens nach dem Gebrauch der vormaligen Besttz-
ergreifer unseres Landes, der heidnischen Römer."

Grob hörte aufmerksam zu und veranlaßte dadurch den Pfarrer zu
einer kleinen Rede.

„Wenn sich die Herren Römer", sagte der Geistliche, „etwas Beson-
deres von ihren Göttern erbeten wollten, fei eS Gesundheit, Fruchtbar-
keit, bessern Ertrag deS Bodens, Wasser von unten oder Regen vom
Himmel, dann brachten sie Ceres, der fruchtspendenden Göttin, besser

gesagt, Flora, der die Erde schmückenden, ein Bittopfer dar. Das heißt:
sie opferten ihr etwas vom Ertrag ihrer Felder und Gärten."

So sprach der geistliche Herr — und Grob ließ der gemächlichen
Rede die schnelle Frage Nachfolgen, ob eö denn auch etwas genutzt habe.
Der Pfarrer sah ihn verdutzt an und äußerte: Gott, der Unsichtbare,
der von den Heiden, die ihn noch nicht genügend erkannten, in zahlreichen
Bildern und steinernen Götzen angebetet worden sei, habe die Bitten der
Menschen dennoch gehört und ihnen nach Gebühr geschenkt, was sie be-
durft hätten.

Grob war mit dieser Antwort zufrieden und ging mit dem Pfarrer in
die Hütte, wo Nettel, seine Frau, mit einer Schüssel saurer Milch auf-
wartete, die der Pfarrer zu schätzen wußte.

Als die Rede noch einmal auf den Opferstein kommen wollte, lenkte
der Pfarrer schnell ab, nannte den Fund in abfälligem Ton eine Hexen-
waschschüssel, dankte für die Bewirtung, segnete Haus und Bewohner
und verabschiedete sich.

Die Beschwörung

Seit dem Besuch des Pfarrers war Grob nachdenklich.

Oft stand er vor dem Stein in schweren Gedanken und schien etwas
vorzuhaben. Er ging umher wie ein Geist, unruhig und ängstlich. End-
lich besprach er sich mit seiner Frau. Er sagte ihr, daß er den Versuch
machen wolle, Wasser aus der Erde zu zaubern mit Hilfe des Opfersteins.

Helfe eS oder helfe es nicht, er sei sich klar darüber, daß die Be-
schwörung wenigstens keinen Schaden anrichten könne.

Nettel wendete ein, es möchten vielleicht Hexen angelockt werden,
wenn sie das Wort des Pfarrers recht verstanden habe, und riet ihm,
der Vorsichthalber je ein Vaterunser zu beten vor und nach der Be-
schwörung.

Grob wartete den nächsten Markttag ab.

Als feine Frau mit den neuen Körben daS Haus verlassen hatte, trug
er in großer Eile Dickrüben, Krautblätter, Kartoffeln und anderes Grün-
zeug zusammen und legte es in die Hexenschüssel.

Dann steckte er daS Opfer mit einem brennenden Strohwisch in
Brand. Es gab einen dicken, graugrünen Rauch, der in Bögen und
Schleifen höher und höher stieg und das ganze Waldtal vernebelte.

Grob sprach ein Vaterunser, während ihm der Rauch in der Kehle
kratzte. Da entdeckte er aus einer Seite des Steines eine Inschrift, große,
lateinische Buchstaben, die er nach seiner Gewohnheit laut und langsam
zu lesen begann. Als ihm der Oualm das Lesen erschwerte, wich er
einige Schritte zurück und sah gerade, wie ein schwarzhaariger, nackter,
teufelähnlicher Kerl mit Bocksfüßen und Hörnern über den Bach sprang
und geradewegs auf ihn zuhielt.

Er sperrte den Mund auf vor Schrecken. DaS Entsetzen pfählte ihn
an. Der bocksfüßige Kerl stand schon dicht vor ihm und grinste ihm ins
Gesicht.

„WaS bist du für ein Teufel?" fuhr ihn Grob heftig an, „und was
willst du?"

„WaS willst du?" äffte ihn der andere nach.

Grob besann sich nicht lange. „Wasser", sagte er, „eine Kuh in den
Stall, Wasser und eine Kuh. Verstehst du?"

Der Schwarzhaarige nickte, öffnete seine rotwulstigen Lippen und
wieherte wie ein Pferd.

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Georg Schwarz: Der Opferstein
 
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