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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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Nr. 37 (Sondernummer : Radsport)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6779#0577
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J u

4 0. JAHRGANG

LOB

DES RADSPORTS

N D

1 9 3 5 / N R. 3 7

Seit jenem Tag, da die „Karlsruher Zei-
tung" in ihrer Ausgabe vom i. August 1817
meldete, daß „der Forstmeister Freiherr Karl
von Drais, Melcher nach glaubwürdigen Zeug-
nissen, schon Donnerstag, den 12. Juli des
Jahres mit der neuesten Gattung seiner von
ihm erfundenen Fahrmaschine ohne Pferde von
Mannheim bis an das Schwetzinger Relais-
hauS und wieder zurück, also gegen vier Post-
stunden Weges in einer kleinen Zeit gefahren
ist, neuerdings mit der nämlichen Maschine den
steilen, zwei Stunden betragenden Gebirgsweg
von Gernsbach nach Baden in ungefähr einer
Stunde zurückgelegt habe" ... seit diesem Tag
sind nunmehr fast zwölf Jahrzehnte verflossen
und die Erfindung des braven Freiherrn von
Drais hat sich allen Anfechtungen zum Trotz
zum populärsten aller Verkehrsmittel ent-
wickelt. Noch im Jahre 1874, also zu einer
Zeit, da die technischen Energien des zwanzig-
sten Jahrhunderts sich bereits eine Vorrang-
stellung £n erobern beginnen, konnte man im
damals weit verbreiteten „Jllustrirten Konver-
sationö-Lexikon" von Otto Spamer, Leipzig,
lesen, daß zwar in „den letzten Jahren der alte
Scherz des zweirädrigen VelocipedeS von Frank-
reich aus noch einmal aufgetaucht fei, doch
auch diese Form schon wieder auf dem besten
Weg sich befinde, vergessen zu werden". Wie
jede wirklich bedeutende Erfindung, wurde auch
die deS badischen Forstmeisters viele Jahre hin-
durch als eine Ausgeburt der Phantasie rund-
weg abgelehnt. Es gab Professoren, die sich
darüber einig waren, daß ein Mensch aus
diesen und jenen Gesetzesgründen niemals in der
Lage sei, sein Körpergewicht so zu verteilen,
daß ein blmkippen der Maschine zu vermeiden
wäre. Andere wieder erklärten den Sport als
solchen für ein ebenso lebensgefährliches als
sittenwidriges Unterfangen, dem man mit aller
Macht begegnen müsse, falls die Jugend, die
Zukunft des Landes, nicht in Schmach und
Verderben fallen solle. Freiherr von Drais er-
wirkte sich durch seine Erfindung zwar den
Titel eines „Professors der Mechanik", ging
aber gleich darauf seiner eigentlichen Ämter
verlustig und sank mit seiner Maschine zur
Spottfigur eines kleinstädtischen Bürgerpöbels
herab. Achtzig Jahre mußte es dauern, bis die
Bedeutung des Fahrrads und des Radsports
endlich Anerkennung fand. Lim die Jahrhun-
dertwende geschah es, daß die Industrie eine
Reihe von Modellen auf den Markt bringen
konnte, die zu einer künftighin ernsteren Be-
trachtung des ZweiradeS Anlaß gaben. Noch
war man sich über hundert physikalische Binsen-
wahrheiten nicht soweit im Klaren, um den
ganzen Mechanismus des Fahrrads in seiner
sinnvollsten Form anzuordnen. Da gab eS eine
Fülle von überflüssigen Kurbeln und Stangen,

G E

Drahtversteifungen und dimensionalen Scheuß-
lichkeiten, bis endlich durch die Erkenntnis
gewisser statischer Gesetzmäßigkeiten und nicht
zuletzt durch die Normung der Einzelteile jener
Typ von Fahrrad sich herausbildete, den wir
heute als abgeschlossen und mustergültig be-
zeichnen können. Es müssen kühne Pioniere
gewesen sein, jene Männer, von denen wir
heute in alten vergilbten Zeitungen lesen, daß
sie „der Gefahr nicht achtend, das eiserne Roß
bestiegen, um auf diesem zum Staunen und Er-
götzen zahlreicher Passanten, auf- und davon
zureiten." Während heute, da das Gleich-
gewichtsbewußtfein zu einem generationellen
Erbteil geworden ist, jedes Kind die Kunst des
Radfahrens innerhalb weniger Stunden er-
lernt, scheint diese Technik in den achtziger
Jahren noch mit den größten Komplikationen
verbunden gewesen zu sein. So schreibt der
„Sammler" in Nr. LZ vom Jahre i666 „Was
die Technik des Radfahrens betrifft, so stellt
sich dieselbe dem Augen deS Laien viel einfacher
dar, als sie eS in Wirklichkeit ist. Der Lernende
nimmt dicht hinter der Maschine Stellung,
neigt diese, die Lenkstange erfassend, ein wenig
nach rechts, setzt den linken Fuß auf den soge-
nannten Aufstieg und schiebt durch mehrmaliges
Abdrücken des rechten Beines das Rad in Lauf,
um sich sodann auf dem Aufstieg in Balance
zu stellen." Dieser wunderlichen Erklärung
folgt dann noch eine Fülle von Rezepten, die
heute allesamt keine Gültigkeit mehr besitzen,
ohne daß sich am Vorgang als solchen auch
nur das Geringste geändert hätte. Für den
Menschen von heute ist daS Fahrrad so unent-
behrlich wie ein gutes Paar Stiefel. Wir
betrachten es nicht mehr als einen Luxusartikel,
sondern als eine Selbstverständlichkeit, in der
sich das Nützliche mit dem Angenehmen ver-
bindet. Wir lieben da^ Rad, als ein flinkes und
sicheres Fortbewegungömittel, als ein Gerät,
das uns wie kein anderes dieser Art vielerlei
Genüsse und Vorteile bietet. Ohne uns — bei
vernünftiger Pflege — zu überanstrengen,
stählt der Radsport den Körper, erhält unS
stets „auf dem Laufenden", verhindert Rost-
bildung auf Muskeln und Sehnen, gibt den
Lungen die frische Luft des Waldes und den
Augen einen unendlichen Reichtum an Bildern
und Eindrücken, wenn wir — zu einer größeren
Radtour gerüstet — die Großstadt verlaßen
und unS früh am Morgen auf den Weg
machen, um auf den prachtvollen Straßen
Deutschlands dahinzufliegen in wunderbarer
Dagantenlaune. Die modernen Maschinen,
durchkonstruiert bis in die letzten Details, bieten
alle Garantien für ein absolut sicheres und durch
keinerlei Reparaturen gehindertes Fortkommen.
Dabei sind wir nicht an die großen Verkehrs-
wege gebunden, können halten und rasten, wo
es uns gefällt und beliebt und erleben die ganze
Poesie des Landstraßenlebens in einer immer-
hin fortschrittlichen und den Bedürfnissen deS
Jahrhunderts angepaßten Form. Der unge-

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Register
Emil Kneiss (Kneisz, Kneiß): Zierleiste
[nicht signierter Beitrag]: Lob des Radsports
 
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