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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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Nr. 38
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40. JAHRGANG

N D

1935 / Nr. 38

Von Heinz Rusch

Rief im Hof der Brunnenmund?

Leiser werden unsre Schritte,

Aber aus des Hauses Mitte
Schlägt die Stunde, voll und rund.

Übern Zaun greift schon der schlanken
Sonnenblume gelber Kranz,

Unter Strahlenfeuer glanz
Ihre rauhen Blätter schwanken.

Doch die Bäume, die ermattet
ln den Straßen stehn, sind stumm,

Denn sie ahnen rätselhaft, warum
Diese Stunde sie so stark umschattet.

Und es fällt aus ihren Einsamkeiten
Auch ein Tropfen süß in unser Blut,

Da Gott selber in den Wipfeln ruht,
Müde von den lichtdurchströmten Zeiten.

Der Pferdeschinder

Von Ger hart Pohl

Am wolkenlosen Blau deS Himmels hängt die Sonne über der stoppe-
ligen Weite der Bartschebene. Staubsatt ist die Lust; Ansekten tanzen
in ihrem Brodem; reglos stehen die Windmühlen im Gelände und die
Kirschbäume am Rande der Chaussee. Kein Hauch und kein Laut. Nur
daö „Hüh!" eines Knaben wird zuweilen hörbar und hernach das
Knarren des Erntewagens, das Klinkern der Deichselkette, daS Schnaufen
der Pferde.

Der Knabe, Ullrich, leitet die fraisefarbenen Wallache von Haufe zu
Hanfe; dann steht er mit gesenktem Kopf, die Leine in schlaffen Händen.
Die ungewohnte Arbeit in der Sommerhitze hat den Elfjährigen erschöpft.

Unterdessen wirft der alte Knecht die Garben in die Arme des Kut-
schers Stolbe, der sie sauber auf dem Wagen stößelt.

Ullrichs Bruder, der neunjährige Werner, liegt rücklings auf der
heißen Höhe des Wagens und starrt den Schwalben nach, die über dem
Acker ihre Kurven ziehen.

Endlich schreit der kleine Stolbe „Halt ock, tlllj!", klettert von: Wagen
und kommt mit knickrigen Schritten auf den Knaben zu. Auf des Kut-
schers Stirn und im braunen Gerille seiner Schläfen steht der Schweiß.
Stolbe nimmt die Schildmütze ab, wischt das Wasser vom Lederband,
zieht ein Schnapsfläschchen auö der Tasche und nimmt einen gluckernden
Schluck. Der alte Knecht hat sich unterdessen in den Schattenkegel der
nahen Mühle geworfen. Die Pferde stehen mit gesenkten Köpfen. Ullrich
hat sich an den Rain gesetzt und die Arme um die Knie geschlungen.
Werner liegt in unsichtbarer Reglosigkeit auf dem getürmten Stroh.
Kein Wort wird laut.

Da preßt der kleine Stolbe „Verfluchtes Gefchinde" aus seiner Kehle.
Dabei nimmt er Leine und Peitsche auf und zerrt die Wallache aus
dösender Erschlaffung. DaS Handpferd springt an, doch der „Dicke"
rührt sich nicht. Stolbe krächzt trocken „Aüho! Aüho!" Und als die

beiden schweren Wallache kurz anspringen und zurücktanmeln, ohne daß
der Wagen sich rührt, schlägt Stolbe die Peitsche über ihre breiten
Rücken, zerrt die Leine und schlägt wieder zu. Und die Pferde springen
wieder und wieder an ... Schon steigt das Handpferd röchelnd mit den
Dorderhufen auf, Geschirre und Achsen quietschen, die Räder beginnen
sich langsam aus dem Erdreich zu heben, da macht der „Dicke" einen
stolpernden -Duersprung, daß die Krumme stäubt, und beide Pferde
stehen wieder schnaubend und mit fliegenden Flanken. Ähre Kräfte sind
für diesen Tag verbraucht; auch der kleine Stolbe scheint am Ende
seiner Kraft zu sein. Eingesunken steht er da, Zügel und Peitsche in
hängenden Händen; unverständliche Flüche dringen durch seinen ver-
filzten Bart.

Da brennt sein Zorn jäh wie eine Stichfamme auf. Er wirft die
Leine hin, packt den Peitschenstiel fester; ein torkeliger Sprung, und er
hält den Zügel, am Maule des Handpferdes gepackt. Nun reißt er daS
Gespann herum, fuchtelt mit dem Stecken vor den Angen der Tiere, und
dann schlägt er ihn über ihre Köpfe, gegen Schnauzen und Stirnen.
Die Wallache bäumen sich; Stolbe reißt sie sicheren Griffs zurück, und
dann hageln die Schläge des Rasenden auf die erschöpften Pferde.
Ullrich ist aufgesprungen und schreit nach einer Sekunde der Lähmung:
„Stolbe!" Werner starrt mit weit aufgerissenen Augen vom Wagen
herunter und bettelt laut: „Nicht doch, Herr Stolbe! Nicht wehtun,
Stolbe!" Auch der alte Knecht hat sich erhoben und ruft von Ferne:
„Halt ock, Karle!"

An diesem Augenblick kommen ein Paar weiße Littauer den Feldweg
hinaufgeprescht, Auf dem Kutschbock des braunen Wagens sitzt Aosef,
der Bruder des kleinen Stolbe, und hinten steht der Vater der beiden
Knaben, der Gutsbesitzer Lüdemann. Seine große Gestalt ist vorgeneigt,
eine Hand hält daS Geländer des Bocks, die andere fuchtelt geballt durch
die Luft. Ein langgedehntes „Haalt!", und Aofef zügelt die Littauer

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Heinz Rusch: Stunde im Mittag
Gerhart Pohl: Der Pferdeschinder
 
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