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Schließlich ist das ja egal. Ein Kuvert?...
WaS kür ein Kuvert?... Merkwürdig!
Stellen Sie sich vvr, dieses Kuvert trage ich
seit acht Jahren bei mir herum! Lassen wir
eö weiter drin! Und was ist denn das? Ach
ja, das habe ich voriges Jahr abzusenden ver-
gessen. Lassen wirS weiter in der Tasche. Und

daS hier? Das ist die Bestätigung des Tele-
grammeS, mit dem ich Sie hergebeten habe!
Hm ... und das da ...? Lauter Postbestäti-
gungen ... hm, hm ... vor neun Jahren ..."

Die halb vermoderten Zettelchen fliegen auf
den Boden. Der Mann kriecht unter den Tisch,
sammelt sie sein säuberlich und verstaut sie

MINlÄIDitlEM

behutsam wieder in seinen elf Taschen.

Wie schade, daß nirgends mehr Platz für
eine zwölfte Tasche ist. Denn ich habe beob-
achtet, daß es gerade für den einen Brief, den
man sucht, an Platz gemangelt haben muß.
Sonst müßte er sich doch unbedingt finden!

Deutsch von Richter-Sineokov.

Erneurer

Wilhelm Jordan, ein sehr bemühter und sehr von sich über-
zeugter Dichter der Jahrhundertwende, beabsichtigte nicht mehr und
nicht weniger, als die großen Werke der deutschen Sprache durch Neu-
dichtungen zu übertresfen. Auch das Nibelungenlied, das er als
„traurige Trümmer, kaum noch betretbar" bezeichnete, hielt feinem
Anspruch nicht stand. Durch sein heute mit Recht schon vergessenes
Werk „Die Nibelunge" wollte er das große Heldenepos übertreffen und
ersetzen.

Es war um diese Zeit, als er seine Nibelungen-Neudichtung gegen
daS große ursprüngliche Werk propagierte, als vor seinem Hause
Straßenarbeiter sich anschiekten, das Pflaster zu erneuern. Jordan war
empört über den Lärm, riß das Fenster feines Arbeitszimmers auf und
schrie den Arbeitern zu:

„Zum Teufel, was treibt ihr denn da?"

„Wir machen die Straße neu", wurde ihm entgegnet.

„Aber wozu? Das alte Pflaster war doch ganz gut!"

„Herr Jordan", erwiderte treuherzig einer der Arbeiter, die alten
Nibelungen waren auch noch ganz gut!" H.M.

Die Prüfung

Ein junger Seemann legte seine SteuermannSprüsung ab und wurde
von einem Mitglied der Kommission, einem seit Generationen gefürch-
teten alten „Käptn", wie eine Zitrone auSgepreßt...

„Was würden Sie tun, junger Mann, wenn plötzlich in Steuer-
bord ein starker Sturm aufkäme: das Schiff stampft und rollt, schwere
Brecher donnern gegen die Bordwand. . ."

„Ich würde einen Anker auswerfen."

„Schön, bind wenn mm gleichzeitig achtern ein Sturm losbräche,
mit fixem Seegang, Windstärke zwölf —"

„Dann würde ich einen zweiten Anker auswerfen."

Der Alte ließ nicht locker:

„Angenommen, es käme ein dritter Sturm hinzu, diesmal in Back-
bord, der euch wie Käfer in einer Schachtel herumschüttelt — was
würden Sie dann tun, junger Mann?"

„Einen dritten Anker auswerfen."

Da bleibt dem Alten doch einen Augenblick buchstäblich die Spucke
weg. „Mensch", knurrt er und schielt mißtrauisch zum Prüfling hin-
über, „wo zum Deibel kriegen Sie denn Ihre Anker alle her?!"

„Verzeihung — wo Sie Ihre Stürme herkriegen, Käptn ..."

Der Mond erweckt das Meer zu heiteren Träumen,
Auf Wellen tastet sich sein Licht heran;

Der Wind stößt unsere Gartenpforte an,

Dringt ein und buhlt mit den Zitronenbäumen.

Scheu spielt ein Licht auch schon um unser Haus,
Huscht in die Bucht hinab auf dunkler Stufe,
Verzückte Seufzer sterben dort und Rufe,

Auf Kieseln löschen weiße Leiber aus.

Liegende


t

Ernst Liebermann

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Register
Ernst Liebermann: Liegende
Georg Schwarz: Südliche Nacht
H. M.: Erneuerer
[nicht signierter Beitrag]: Die Prüfung
 
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