J u
4 0. JAHRGANG
G E N D
1 9 3 5 / N R. 4 1
Auf geht's !
Herta B i I e c k
ID AS § C IUI II IE § § B U ID E'N IF IR A\U IL IE IIN
Ein Erlebnis vom Münchner Oktoberfest
Mitten im Münchener Oktober fest wurde
sie geboren ...
Ahr Gesicht war nichts als ein schreiender
Jahrmarkt. Kinderlustballone stiegen in ihm
aus. Die Ohren schaukelten, der Mund war
der gesprungene Vorhang einer Raubtier schau
und die Augen glichen hüpsenden Auxartikeln.
Alles in ihrem Antlitz schien nur zehn Pfen-
nig zu kosten ...! Ahr Vater war der Brief-
träger, weil er jeden Monat durch Post-
anweisung zwanzig Mark überbrachte.
Auf dem Wege zur Suppenschule schrien ihr
die Kinder nach: „Atsch, du hast ja net amal
an Data...!"
„Da täuscht's Euch .. . vielleicht Hab' \ no
mehra als ihr...!" lachte sie zurück und ihre
Dampfnudelbacken zerplatzten vor Prahlerei.
Wenn die Mutter ihren Namen „Franzi..!"
in den Hinterhof hinabrief, klang es — als
fiele ein gefälschtes Markstück aufs Pflaster.
Am Kurzwarengeschäft Reim & Co. trom-
melte sie den Tölzer Schützenmarsch auf die
leeren Pappschachteln, blnd dann war sie auch
literarisch. Auf Fragen der Kundschaft zitierte
sie stets die Antwort des Götz von Ber-
lichingen ...
lind der Chef warf die Franzi und die
Anvalidenkarte wieder der Mutter in die
Arme.
Sie besaß jetzt nur noch eine Protektion an
Frau Zilli Klein. Die hatte draußen auf dem
Oktoberfest den Schießstand „Diana" aufge-
baut. Ahr Busen wogte im fröhlichen Tun
über die Kasse hin und beschattete das Klein-
geld.
Franzi wurde als fünftes Schießbuden-
fräulein mit allen einschlägigen Rechten und
Pflichten in die Knallbude eingereiht. Die vier-
übrigen Damen bewegten ihre Augendeckel wie
Ventilatoren. Franzi bekam die Scheiben mit
dem Krokodil, das Eichkatzl und den Papagei
zugewiesen.
Auf diese Scheiben wollte niemand schießen,
blnd die vier Damen kicherten und ließen ihre
Freude ohne Beißkorb herumlaufen. Frau
Klein stellte ihre Pupillen in einen schiefen
Winkel zu Franzi hin und ihre Nasenspitze
zitterte.
Da vergrößerte Franzi ihren Blusenaus-
schnitt und das Geschäft zog auch bei ihren
Scheiben an.
Nach acht Tagen ward ihr von Frau Klein
als Anerkennung auch die „Wildsau" über-
lassen, die als die beste Scheibe galt und die
der Besitzerin das Mahagonibüfett einbrachte.
Bis spät in die Nacht hinein flogen hinter
Franzis Rücken die blechernen Tiere getroffen
zu Boden, bind am Fallen hörte sie, ob der
Papagei, das Krokodil, 's Eichkatzl oder schon
wieder die Wildsau geschossen wurde.
642
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Ein Erlebnis vom Münchner Oktoberfest
Mitten im Münchener Oktober fest wurde
sie geboren ...
Ahr Gesicht war nichts als ein schreiender
Jahrmarkt. Kinderlustballone stiegen in ihm
aus. Die Ohren schaukelten, der Mund war
der gesprungene Vorhang einer Raubtier schau
und die Augen glichen hüpsenden Auxartikeln.
Alles in ihrem Antlitz schien nur zehn Pfen-
nig zu kosten ...! Ahr Vater war der Brief-
träger, weil er jeden Monat durch Post-
anweisung zwanzig Mark überbrachte.
Auf dem Wege zur Suppenschule schrien ihr
die Kinder nach: „Atsch, du hast ja net amal
an Data...!"
„Da täuscht's Euch .. . vielleicht Hab' \ no
mehra als ihr...!" lachte sie zurück und ihre
Dampfnudelbacken zerplatzten vor Prahlerei.
Wenn die Mutter ihren Namen „Franzi..!"
in den Hinterhof hinabrief, klang es — als
fiele ein gefälschtes Markstück aufs Pflaster.
Am Kurzwarengeschäft Reim & Co. trom-
melte sie den Tölzer Schützenmarsch auf die
leeren Pappschachteln, blnd dann war sie auch
literarisch. Auf Fragen der Kundschaft zitierte
sie stets die Antwort des Götz von Ber-
lichingen ...
lind der Chef warf die Franzi und die
Anvalidenkarte wieder der Mutter in die
Arme.
Sie besaß jetzt nur noch eine Protektion an
Frau Zilli Klein. Die hatte draußen auf dem
Oktoberfest den Schießstand „Diana" aufge-
baut. Ahr Busen wogte im fröhlichen Tun
über die Kasse hin und beschattete das Klein-
geld.
Franzi wurde als fünftes Schießbuden-
fräulein mit allen einschlägigen Rechten und
Pflichten in die Knallbude eingereiht. Die vier-
übrigen Damen bewegten ihre Augendeckel wie
Ventilatoren. Franzi bekam die Scheiben mit
dem Krokodil, das Eichkatzl und den Papagei
zugewiesen.
Auf diese Scheiben wollte niemand schießen,
blnd die vier Damen kicherten und ließen ihre
Freude ohne Beißkorb herumlaufen. Frau
Klein stellte ihre Pupillen in einen schiefen
Winkel zu Franzi hin und ihre Nasenspitze
zitterte.
Da vergrößerte Franzi ihren Blusenaus-
schnitt und das Geschäft zog auch bei ihren
Scheiben an.
Nach acht Tagen ward ihr von Frau Klein
als Anerkennung auch die „Wildsau" über-
lassen, die als die beste Scheibe galt und die
der Besitzerin das Mahagonibüfett einbrachte.
Bis spät in die Nacht hinein flogen hinter
Franzis Rücken die blechernen Tiere getroffen
zu Boden, bind am Fallen hörte sie, ob der
Papagei, das Krokodil, 's Eichkatzl oder schon
wieder die Wildsau geschossen wurde.
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