Sie putzte jeden Morgen ihre Tiere eigen-
händig mit Sodawasser ab, gab ihnen Namen,
so klingend wie Christbaumgeläute, und ihrem
Lieblingstier, der „Wildsau", verlieh sie ihren
eigenen Mädchennamen: „Franzi"...
Und immerzu, wie aus einem tropfenden
Ausgußrohr, kam der Ausruf von ihren Him-
beerlippen: „Bitteh, schießen der Herr Doktor
einmal!... Herr Baron, probieren der Herr
Baron drei Schuß auf meine Wildsau! ...
Herr Graf werd'n Glüek haben .. . Drei Schuß
zwanzig Pfennig, Herr Graf! ... Der Treff-
punkt der jagenden Hocharistokratie ist hier! ...
Wer macht no' a Jagd für zwanzig Pfennig
mit? ... Ja, Herr Graf? ..."
Sie schrie und schrie .. . Herbstliche Sonne
brannte.. . Hitze flutete in Schwaden .. .
Staub kreiste... Franzi nickte, von Müdigkeit
überschwemmt, in die stützenden Arme hinein. .
Automatisch orgelten die Lippen: „Herr Graf!
Schießen der Herr Graf? ..."
Das Wogen des ganzen Münchener Okto-
berfestes ging mit allem Zauber träumend auf
sie über.
Blei floß in ihre Stirn... Um und um
verkrochen sich Tone und Farben. „Schießen ..
der.. Herr.. Graf?.. Herr Graaaf..!"
Und solange formte ihr Mund den „Herrn
Grafen" — bis ganz plötzlich ein wirklicher
Graf auf ihren Platz am Schießstand zuschritt.
Er schoß und schoß. Fragte nicht nach dein
Preis... Franzi steckte Kapsel um Kapsel in
den Stutzen ...
Das war ein ganz echter Graf. So, wie er
auf Visitenkarten und Todesanzeigen gedruckt
ist . . .
Lauter als alle anderen schoß dieser Herr,
lind doch kam der Knall in ihre Ohren als
fallender Gummiball.
Und jeder Schuß ein Treffer ... Zuweilen
traf er drei Scheiben. Er schoß um die Ecke..!
Sie hörte sein blaues Blut fließen ... Blau
wie der Fluß in den „Donauwellen" ... Sie
faß an feinem Ufer, am Ufer des Herrn
Grafen lind badete die Füße in dem Wellen-
schlag.
Jetzt schoß auch sein Blut... Schoß wie
ein Gewehr... Alles war geladen, lind die
„Wildsau" stürzte ewig zu Boden. Er zielte
nach ihrem Herzen wie ln einem Schundroman.
Dann hob er das Schießbudenfräulein nüt
dem Schwung eines Unterschriftschnörkels über
die Barriere-
Die übrigen vier Damen ließen vor Neid
ihre Stutzen in das Gras fallen, wo sie sich
von selbst entluden.
llnd Franzi federte mit dem ganz echten
Grafen durch das Gebrumm der Oktoberfest-
wiese ins Geviert der Stadt... In eine
American-Bar. Die Tapete war geblümt, wie
die Schürze der Schießbudenbesitzerin.
Es roch nach dem Gegenteil von Abfpül-
lappen, Zugehplätzen und Küchenabfällen.
Schampus prickelte ihr aus aufblühenden
Kelchen in die Nasenlöcher. Der Herr Graf
ließ einen Sektkübel vor ihre Füße stellen.
Der Propfen krachte ein Loch in die bronzierte
Decke deö Raumes. Augenblicklich dachte sie
bei diesem Krach an ihre Schießbude zurück
und glaubte — die „Wildsau" fei wieder
getroffen worden.
— — „Jeßmariaundjosef — — !" Da
lief durch die weinroten Portale der Dar von
der Oktoberfestwiese her ihr ganzes blechernes
Getier...! Das Eichkatzl, der Papagei, das
Krokodil und — hintennach die Wildsau, die
unter den Tischen die Servietten auffraß...
„Um Goodswillen .. .! Jetzt kommen die
Sauviecher aa no' daher ...!" Die Viecher
wedelten mit den Schweifen.
Der Herr Graf bestellt sofort Sekt und die
Ober lächelten. Und so oft der adelige Herr
„Franzi" lispelte, sprang die Wildsau, die den
gleichen Namen führte, auf seinen Schoß. Er
bestellte ihr italienischen Salat, russische Eier
und ein Glas Samos.
Franzi wurde eifersüchtig. „Laß doch dö
Wildsau geh'... Jetzt hast doch mich, Herr
Graf...!"
Der Papagei war inzwischen der Büfett-
dame ins Wasserstoffsuperoxyd gebleichte Haar
geflogen. Und das Krokodil hatte eine echte
Krokodilledertasche erschaut und begann darin
zu brüten ... Oben, am sechzehnarmigen Kron-
leuchter turnte das Eichkatzl und knackte, wie
sonst auSgestopft über bürgerlichen Kanapees,
Glühbirnen auf.
Die Gäste sprangen aus den Clubsesseln.
Kreischten auf... Rannten als entgleiste
Rangiermaschinen gegeneinander...! Der
Piccolo lief zur nächsten Polizeiwache...
„Raus mit der Diecherei...!" Aber der
Wachtmeister bedauerte ... Die Vorschrift
lautete nur „Das Mitbringen von Hunden
ist verboten — —"
Erst die Jazz-Band vermochte mit heimat-
lichen Klängen die exotische Fauna auf daS
europäische Höchstmaß zu beruhigen.
Als der Graf eine goldene Sprungdeckeluhr
;og, ging der Radau von vorne an. Jedes
Tier wollte die Höhe der Karate sehen.
„Hundsviecher, verfluchte...!" brüllte Franzi,
obwohl zuvor schon polizeilich festgestellt
wurde, daß es keine Hunde sind.
„Herr Graf, jetzt müaß ma's derfchiaß'n ..!"
Der Adel blinzelte.
„Depp, dappeter...! Für was hab'n ma'
denn die Schampusflaschen ...?" Und daS
Schießbudenfräulein begann, Sektgebinde um
Sektgebinde zu entkorken und die Stopfe!
flogen wie aus allen Schießbuden der Fest-
wiefe durch die American-Bar.
Alle Gäste beteiligten sich auf Rechnung des
Grafen. Und ein zweites Oktoberfest mit
strömendem Schampus flutete zwischen den
Stuhlbeinen hin und her ...
Eichkatzl, Papagei, Krokodil und Wildsau
flogen gleich Papierkugeln von einer Wand
zur anderen ...
Schuß um Schuß krachte aus den spru-
delnden Flaschen. Dazu servierten die Ober
Rechnung um Rechnung-
bind dem Herrn Grafen «tropften die
Augen. Sein Blutdruck überstieg alle Voll-
blütigkeit und kreiste wie auf einer Achter-
bahn ...
Dü — Franzis Trommelfelle waren vor-
dem Zerplatzen ... Der Graf explodierte vor
ihren Augen zu Hackfleisch, zu Semmelbrösel,
zu nassem Staub ... Es war ihr, als fei das
Oktoberfest zu einer Kanonade übergegangen ..
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händig mit Sodawasser ab, gab ihnen Namen,
so klingend wie Christbaumgeläute, und ihrem
Lieblingstier, der „Wildsau", verlieh sie ihren
eigenen Mädchennamen: „Franzi"...
Und immerzu, wie aus einem tropfenden
Ausgußrohr, kam der Ausruf von ihren Him-
beerlippen: „Bitteh, schießen der Herr Doktor
einmal!... Herr Baron, probieren der Herr
Baron drei Schuß auf meine Wildsau! ...
Herr Graf werd'n Glüek haben .. . Drei Schuß
zwanzig Pfennig, Herr Graf! ... Der Treff-
punkt der jagenden Hocharistokratie ist hier! ...
Wer macht no' a Jagd für zwanzig Pfennig
mit? ... Ja, Herr Graf? ..."
Sie schrie und schrie .. . Herbstliche Sonne
brannte.. . Hitze flutete in Schwaden .. .
Staub kreiste... Franzi nickte, von Müdigkeit
überschwemmt, in die stützenden Arme hinein. .
Automatisch orgelten die Lippen: „Herr Graf!
Schießen der Herr Graf? ..."
Das Wogen des ganzen Münchener Okto-
berfestes ging mit allem Zauber träumend auf
sie über.
Blei floß in ihre Stirn... Um und um
verkrochen sich Tone und Farben. „Schießen ..
der.. Herr.. Graf?.. Herr Graaaf..!"
Und solange formte ihr Mund den „Herrn
Grafen" — bis ganz plötzlich ein wirklicher
Graf auf ihren Platz am Schießstand zuschritt.
Er schoß und schoß. Fragte nicht nach dein
Preis... Franzi steckte Kapsel um Kapsel in
den Stutzen ...
Das war ein ganz echter Graf. So, wie er
auf Visitenkarten und Todesanzeigen gedruckt
ist . . .
Lauter als alle anderen schoß dieser Herr,
lind doch kam der Knall in ihre Ohren als
fallender Gummiball.
Und jeder Schuß ein Treffer ... Zuweilen
traf er drei Scheiben. Er schoß um die Ecke..!
Sie hörte sein blaues Blut fließen ... Blau
wie der Fluß in den „Donauwellen" ... Sie
faß an feinem Ufer, am Ufer des Herrn
Grafen lind badete die Füße in dem Wellen-
schlag.
Jetzt schoß auch sein Blut... Schoß wie
ein Gewehr... Alles war geladen, lind die
„Wildsau" stürzte ewig zu Boden. Er zielte
nach ihrem Herzen wie ln einem Schundroman.
Dann hob er das Schießbudenfräulein nüt
dem Schwung eines Unterschriftschnörkels über
die Barriere-
Die übrigen vier Damen ließen vor Neid
ihre Stutzen in das Gras fallen, wo sie sich
von selbst entluden.
llnd Franzi federte mit dem ganz echten
Grafen durch das Gebrumm der Oktoberfest-
wiese ins Geviert der Stadt... In eine
American-Bar. Die Tapete war geblümt, wie
die Schürze der Schießbudenbesitzerin.
Es roch nach dem Gegenteil von Abfpül-
lappen, Zugehplätzen und Küchenabfällen.
Schampus prickelte ihr aus aufblühenden
Kelchen in die Nasenlöcher. Der Herr Graf
ließ einen Sektkübel vor ihre Füße stellen.
Der Propfen krachte ein Loch in die bronzierte
Decke deö Raumes. Augenblicklich dachte sie
bei diesem Krach an ihre Schießbude zurück
und glaubte — die „Wildsau" fei wieder
getroffen worden.
— — „Jeßmariaundjosef — — !" Da
lief durch die weinroten Portale der Dar von
der Oktoberfestwiese her ihr ganzes blechernes
Getier...! Das Eichkatzl, der Papagei, das
Krokodil und — hintennach die Wildsau, die
unter den Tischen die Servietten auffraß...
„Um Goodswillen .. .! Jetzt kommen die
Sauviecher aa no' daher ...!" Die Viecher
wedelten mit den Schweifen.
Der Herr Graf bestellt sofort Sekt und die
Ober lächelten. Und so oft der adelige Herr
„Franzi" lispelte, sprang die Wildsau, die den
gleichen Namen führte, auf seinen Schoß. Er
bestellte ihr italienischen Salat, russische Eier
und ein Glas Samos.
Franzi wurde eifersüchtig. „Laß doch dö
Wildsau geh'... Jetzt hast doch mich, Herr
Graf...!"
Der Papagei war inzwischen der Büfett-
dame ins Wasserstoffsuperoxyd gebleichte Haar
geflogen. Und das Krokodil hatte eine echte
Krokodilledertasche erschaut und begann darin
zu brüten ... Oben, am sechzehnarmigen Kron-
leuchter turnte das Eichkatzl und knackte, wie
sonst auSgestopft über bürgerlichen Kanapees,
Glühbirnen auf.
Die Gäste sprangen aus den Clubsesseln.
Kreischten auf... Rannten als entgleiste
Rangiermaschinen gegeneinander...! Der
Piccolo lief zur nächsten Polizeiwache...
„Raus mit der Diecherei...!" Aber der
Wachtmeister bedauerte ... Die Vorschrift
lautete nur „Das Mitbringen von Hunden
ist verboten — —"
Erst die Jazz-Band vermochte mit heimat-
lichen Klängen die exotische Fauna auf daS
europäische Höchstmaß zu beruhigen.
Als der Graf eine goldene Sprungdeckeluhr
;og, ging der Radau von vorne an. Jedes
Tier wollte die Höhe der Karate sehen.
„Hundsviecher, verfluchte...!" brüllte Franzi,
obwohl zuvor schon polizeilich festgestellt
wurde, daß es keine Hunde sind.
„Herr Graf, jetzt müaß ma's derfchiaß'n ..!"
Der Adel blinzelte.
„Depp, dappeter...! Für was hab'n ma'
denn die Schampusflaschen ...?" Und daS
Schießbudenfräulein begann, Sektgebinde um
Sektgebinde zu entkorken und die Stopfe!
flogen wie aus allen Schießbuden der Fest-
wiefe durch die American-Bar.
Alle Gäste beteiligten sich auf Rechnung des
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strömendem Schampus flutete zwischen den
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Eichkatzl, Papagei, Krokodil und Wildsau
flogen gleich Papierkugeln von einer Wand
zur anderen ...
Schuß um Schuß krachte aus den spru-
delnden Flaschen. Dazu servierten die Ober
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bind dem Herrn Grafen «tropften die
Augen. Sein Blutdruck überstieg alle Voll-
blütigkeit und kreiste wie auf einer Achter-
bahn ...
Dü — Franzis Trommelfelle waren vor-
dem Zerplatzen ... Der Graf explodierte vor
ihren Augen zu Hackfleisch, zu Semmelbrösel,
zu nassem Staub ... Es war ihr, als fei das
Oktoberfest zu einer Kanonade übergegangen ..
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