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Perpetuum mobile

Toni Bich

Wie zeige ich meine Bildung

Q^on QtJilhelm cJ2i£hienberg

Nicht wahr, wenn ich kostbare Gemälde habe, tapeziere ich meine
Wohnung mit ihnen und jeder, der zu mir kommt, sieht sie aus den
ersten Blick? Er weiß sofort, daß ich Sammler und Kenner bin. Meine
Ringe stecke ich reihenweise an alle zehn Finger und jeder, dem ich die
Hand gebe, sieht, daß ich Schmuck besitze. Meine Kleider kann ich füns-
mal täglich wechseln und alle, die mir begegnen, sehen sofort, daß ich
in der Lage bin. .. Meine Antiquitäten stelle ich in die Vitrine und
jeder sieht, daß ich einen seinkultivierten Geschmack besitze.

Was aber mache ich mit meiner Bildung? He? Wie zeige ich sie?
Wie stoße ich die Menschen daraus, daß ich mir nicht nur Bilder,
Schmuck und Kleider, sondern auch Bildung erworben habe?

Kann ich meine Bildung an die Wand hängen? Kann ich sie an die
Finger stecken oder durchs Ohrläppchen ziehen? Nein.

Trotzdem gibt es natürlich auch eine Möglichkeit, seine Bildung bei
allen passenden Gelegenheiten zu zeigen. Sie sei zur Nachahmung
empfohlen.

Zum Beispiel i>m Theater. 3m Theater haben bekanntlich nur die
Schauspieler zu reden. Aber flüstern — wie? — flüstern kann ich doch?
Um) ob! Sagen wir, es wird ein Shakespeare gespielt. Also! Da kann
ich doch meinem Nachbar — während Othello vor gelber Eifersucht
aus der Bühne rast — die Ouellen ins Ohr flüstern, aus denen Shake-
speare schöpfte? Oder nicht? Und ich kann sogar so flüstern, daß es
alle Umsitzenden hören. Ich kann etwas von Lord Bacon fallen lassen,
und daß es gar nicht so ausgemacht ist, ob Shakespeares gesammelte
Werke auch wirklich von Shakespeare sind, und von Stratsord kann ich
auch etwas erwähnen, und daß der Vater Shakespeares John geheißen
habe, wer weiß das so bald von meinen Nachbarn im Theater?

Aber auch im Konzert und in der Oper muß man seine Bildung nicht
in der Garderobe abgeben. Schließlich kann man seiner Frau, während
die „Neunte" gespielt wird, recht gut einen kleinen Vortrag über die
Septimakkorde halten und auSeinandcrsetzen, wie sie zerlegt io erden.
Oder wenn Frigga schmettert, kann man seinem Hintermann sehr gut
ihre Stellung in der Mythologie präzisieren. Und während Mozartsche
Perlenketten aus dem Orchesterraum herauständeln, kann man immerhin
einiges über Dittersdorf, Händel und Schikaneder laut werden lasten.
Gewiß, es wird immer einige Unduldsame geben, die sich über Der-

artiges empören. Aber ihnen sage man kurz und bündig: „Soll ich viel-
leicht meine musikalische Bildung als Busennadel tragen?"

Und wenn von Literatur gesprochen wird, interessieren mich die be-
kannten Dichter überhaupt nicht. Gott, den Schiller kennt jeder
Schusterjunge heute schon! Und die Goethe-Forscher verkaufen bereits
heiße Maronen auf der Straße. Meine Köchin hat mir unlängst einen
Dortrag über Gerhart Hauptmann gehalten. Habe ich mir dazu lite-
rarisches Wissen erworben, um mit Schusterjungen, Maronenverkäusern
und Köchinnen zu konkurrieren? Ich spreche von den Frühromantikern.
Ha! Die sitzen mir wie ein gutgeschnittener Frack. Frühromantiker sind
Kaviar für's Volk. Oder ich gehe noch weiter und stecke mir die ganz
Alten ins Knopfloch: Homer, AeschyloS, EuripideS, Herodot, Thuky-
dideS, Sokrates, Plato, Aristoteles, Demosthenes, Cicero, Virgil, Horaz,
Seneca und Epikur. Da kann meine Köchin nicht mehr mit! Und über-
haupt die wenigsten. Mit ThukydideS kann ich die Gebildetsten in Ver-
legenheit bringen. Jede Wette! Und wozu hätte ich meine Bildung
anders, als meine lieben Mitmenschen ständig in Verlegenheit zu
bringen?

Aber auch daS Zitieren will mit einem gewissen Raffinement geübt
sein. „Der Starke ist am mächtigsten allein" sagt heutzutage schon ein
jeder. Damit imponiert man keinem Menschen mehr. Ich aber zitiere
Novalis — mit Ouellenangabe. Da reißen die Leute die Augen auf!
oder ich rezitiere ein paar Verse aus Torquato TastoS „Befreitem
Jerusalem" in der Originalsprache. (In der Originalsprache, bittää!)
Wohingegen ich keinem, der seine Bildung zeigen will, raten kann,
„lasciate ogni speranza“ zu sagen; daS zitiert heute schon jeder bessere
Gerichtsvollzieher. Rabindranath Tagore im Sanskrit allerdings wirkt
noch immer. Und sehr schöne Effekte sind mit Li-Tai-Po im ältesten
Chinesisch zu erzielen. Überhaupt macht sich Chinesisch immer sehr gut.
Und selbst Konfuzius kann man noch hie und da zitieren, ohne gemein-
plätzig zu werden.

Auch in der alltäglichen Konversation hat man noch immer Gelegen-
heit, seine schwer erworbene Bildung leuchten zu lassen. Wenn man zum
Beispiel recht häufig „a priori“ sagt, ganz wurscht, ob's paßt oder
nicht. Oder „divinatorifch". Verstehen die wenigsten und bewundern
alle. „Soziologisch" ist auch sehr dekorativ. Eine besondere Pikanterie
bietet daS Wort „Veilleität". „Apokalyptisch" hingegen sagt schon jeder
bessere Börsenmakler. Ntan vermeide eS deshalb. Aber ivenn man
von Verbrechern sagt, sie seien somatisch-atavistisch-hereditär belastet,
wird man selbst im Zeitalter der Psychoanalyse noch immer gehörig
angestaunt.

Sehr effektvoll ist es auch, die deutsche Sprache so ein bißchen von
oben herab zu behandeln. Es macht immer Eindruck, wenn der wahr-
haft Gebildete behauptet: „Wir Deutschen können das nur sehr plump
ausdrücken. Aber der Franzose sagt sehr sein..." WaS der Franzose
sagt, ist dann ganz egal, Hauptsache bleibt, daß man eS nicht
deutsch sagt.

Will man aber sehr imponieren, dann hält man einen kleinen Vor-
trag über den großen japanischen Philosophen Maukipuri. Aber man
kann auch etwas von dem indischen Weisen Gridighi Baudi erzählen.
Oder vom irischen Dichter auS dem zwölften Jahrhundert, Bird
N'Osent. Die gibt'S zwar gar nicht wirklich. Aber das macht nichts.
Die Leute werden morgen alle im Konversationslexikon nachschlagen
und Maukipuri und Gridighi Baudi und Bird N Ojent juchen. Und
übereinstimmend werden sie sagen: „Donnerwetter! So etwas von

Bildung! Er kennt Namen, die nicht einmal im Lexikon stehen!"

Sein Wunsch

Kürzlich hatte ich dienstlich an einem kleinen Amtsgericht in der
Provinz zu tun. Der Vorstand dieses Gerichtes, der zugleich Straf-
richter ist, hatte eben einen in das AmtSgerichtSgefängniS Eingelieferten
zu vernehmen, weshalb an der verschlossenen Türe seines Amtszimmers
ein kleiner Pappkarton mit der Aufschrift „Zur Zeit im Gefängnis
hing.

Da ich mit dem Amtsvorstand zu sprechen hatte, machte ich einen
kleinen Spaziergang im Ort und kehrte dann wieder ins Amtsgebäude
zurück. Der kleine Pappkarton hing noch immer an der Türe. Ein
Jndividium aber, daS wahrscheinlich aus unliebsame Wehe mit dem
Herrn Strafrichter einmal in Berührung kam, hatte aus dem Papp-
kartvn noch die Worte angebracht: „Hoffentlich aus recht lange .

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[nicht signierter Beitrag]: Sein Wunsch
Toni Bichl: Perpetuum mobile
Wilhelm Lichtenberg: Wie zeige ich meine Bildung
 
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