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F i n s I i n g e n

O. Weil

Krieges Teurung gestattete keinen großen Aufwand für weitläufiges
Logis. Wir gingen zur Universität, wählten die Kollegin auS, die jeder
von uns besuchen wollte, und wachten den Professoren die geziemende
Aufwartung. So vergingen etliche Tage, ehe wir Zeit hatten, Kreusler
aufzusuchen. Als wir endlich hinkamen, fanden wir den Meister, wie
er einem Studenten, der — ein schwarzbärtiger, unsauberer Geselle,
wie ein rechter Renomiste gekleidet ging — in heftigem Zorn die Türe
wies, weil jener fast völlig betrunken zum Fechtunterricht erschienen
war. „In diesein Zustande kannst du in den finsteren Häusern drüben
in Weningenjena das Stoßfechten üben, aber nicht bei mir!" schrie
Kreusler eben erbost. Als er uns eintreten sah, erhellten jich seine
Mienen. „Das sind mir andere Kerle", sagte er, während er uns
freundlich die Hand reichte, und zu dem Renomisten gewendet: „Pack
dich und laß dich nicht inehr in «meinem Hause antreffen!" Mit einein
scheelen Blick auf uns schlich sich der auS der Tür. Er hieß Nikolaus
Schorcht aus Berka und hatte im Seniorenkonvent der Landmann-
schaften großen Einfluß. Don Stund an war er unser geschworener
Feind und wir haben viel Übles von ihni erfahren.

Kreusler ließ uns gleich eine Probe unserer Fertigkeit ablegen. Er
hatte vieles auSzufetzen, bezeigte sich aber im Ganzen nicht unzufrieden,
und eS dauerte nicht lange, bis er uns zu unserem freudigen Stolze
seine besten Schüler nannte. Was er uns lehrte, die Anwendung der
redlichen und die Abwehr der unredlichen Fechterkniffe, war uns zu
großem Dorteil, denn Nikolaus Schorcht verabsäumte nichts, um alle
gewalttätigen Schoristen auf uns zu Hetzen, die wir uns erkühnten,
unserer eigenen Wege zu gehen, ja, sogar die ritterliche Waffe zu füh-
ren, anstatt als krasse Füchse, wie eS der Brauch war, in verlausten
Hemden, zetfetzten Mänteln und ausgetretenen Pantoffeln den Herrn
Schoristen aufwartend nachzuschlurfen.

Es hieße in meinem hohen Alter noch selber in den Fehler der
Renomisterei verfallen, wollte ich aller der Ausforderungen und Zwei-

kämpfe, die zur Wahrung unserer Freiheit ich und die besonders Rose
durchzukämpfen hatte, ausführlich Erwähnung tun. Genug, wir bestan-
den mit leidlichem Glücke allerhand Fährlichkeiten. Ohne daß wir uns
sonderlich darum bemüht hätten, geschah eS, daß eine stets wachsende
Anzahl unserer Altersgenossen, die vor kurzem an dü' hohe Schule
gekommen waren lind denen die Zwingherrschaft des Seniorenkonvents
gleich unleidlich däuchte wie uns, unseren ümgang suchten und in Rose
ihren Führer und Fürsprecher erblickten, der mit flammender Bered-
samkeit alle Verdächtigungen, die gegen uns beim Prorektor und Senat
der Akadenu'e erhoben wurden, zu entkräften wußte. Mit unfern
Anhängern waren wir noch immer eine kleine Minderzahl, aber wohl-
bewaffnet und in der Führung der Waffen trefflich geübt. Täglich
erhielten wir neuen Zuzug, und schon tat ein honoriger Pursch sich
nicht leicht, einen Fuchsen zu finden, der ihm die Pfeife gereinigt, d'e
Stiefel geputzt, das Bier geholt und das Nachtgeschirr geleert hätte,
und dem er zum Dank für solche Dienste mit Maulschellen und Nasen-
stübern hätte traktieren dürfen. Allenthalben setzten sich die Penale den
Schoristen gleich, ohne daß sie sich zuvor beim Fuchsenritt brennende
Fidibusse durchs Haar ziehen und an der Gesichtshaut hätten auS-
drücken lassen. Sie verweigerten den Brauci- des Hutfchens jive HojenS,
jene Art des BruderfchaftmachenS, bei der die zwei Verbrüderten alles
am Leibe befindliche auszutauschen haben, und die für Purfche, die auf
dem Trockenen sitzen, eine unschätzbar bequeme Art ist, sich neu zu
equipieren und zu Geldbeutel und Fingerringen zu gelangen. Kein
Bean wollte mehr auf Geheiß der Schoristen den Schwedentrunk auS
Wurst, Brot, zerschnittenen Nesseln, gestoßenen Ziegelsteinen, Tinte,
Senf, Butter, Nußschalen, Salz und ünrat verschlingen, also daß
ihm zum Gaudium der bemoosten Corona das Blut von den Lefzen
geronnen wäre. Das ganze Gebäude des SchoriSmuS oder PenaliSmuS
geriet ins Wanken, und wir beide — Rose und icb — hatten solches
verursacht, oder wenigstens wurde es uns nachgcfagt.

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O. Weil: Finslingen
 
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