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Der Gipfel

Walter Engels

IBaö weiter geschah, ging so schnell vor sich, daß ich des einzelnen
erst nachher mich zu besinnen vermochte, Ich riß mich von MöbiS los
und stieß ihn zurück, daß er, der in seiner Trunkenheit nicht sicher mehr
aus den Deinen stund, der Länge nach aus den Biden hinschlug. Gleich-
zeitig wurde Rose mit Schorcht handgemein. Don allen Seiten drangen
mit ohrenbetäubendem Gebrüll die Schoristen aus uns ein. Blanke
Hieber, Hetzpeitschen, Knotenstöcke wurden gegen uns geschwungen. Es
war unser Glück, daß durch des Raumes Enge ein Angreiser den andern
behinderte, sonst wären wir wohl beide tot auf dem Plaetz geblieben.
Ein schwerer Sitzschemel flog nahe an RoseS Kops vorbei und fuhr
krachend in die bunte Fensterscheibe, die er unter großem Klirren zum
größten Teil mit sich ins Freie riß. Rose bekam einen Augenblick Lust
von seinem Gegner. Er schwang sich aus den Seniorentisch, faßte mich
am Kragen und mit der anderen Hand tiefer greifend am Hosenbund.
Da fühlte ich mich emporgehoben, meine schwingenden Füße schlugen
wider etliche Köpfe, ich flog durch die Lust, Splitter zerkratzten m:r
Gesicht und Hände, ich fiel und stieß hart aus, also daß mir die Sinne
schwinden wollten. Eisige Kälte und der Schnee, der mir in Mund,
Nase und Augen drang, brachten mich wieder zur Besinnung, Ich ver-
suchte mich emporzuarbeit-en. Neben mir sauste ein schwerer Körper
nieder, Ober und über weiß bestäubt, erhob sich Rose aus dem Schnee,
in den er mich hinausgeworfen hatte und selber mir nachgesprungen
war. Mit seinem spöttischen Lächeln sah er zu dem Fenster empor, aus
dem das Toben unserer Feinde erscholl. Einzelne von ihnen hörten wir
schon die Treppe herabpoltern.

„Aus und fort!" ries Rose, mich an der Hand fassend. „Gleich wer-
den sie hier sein, und mit Schneebällen werden wir uns ihrer kaum er-
wehren können."

Ich versuchte nochmals mich zu erheben, aber ein stechender Schmerz
im linken Fußknöchel behinderte mich. Ich hinkte stöhnend ein'ge Schritte.

„Das geht zu langsam!" ries Rose. Er lud mich aus seinen Rücken
und rannte, so schnell er konnte, mit mir zur herzoglichen Burg, die zu
unserm Glücke nicht weit entfernt war.

Dort hielt der Amtmann mit der schwachen Besatzung im Torweg
Bereitschaft; denn die Kunde von der Studentenversammlung hatte den
herzoglichen Befehlshaber auf bevorstehende blnruhen vorbereitet, und
konnte er auch mit seinen wenigen Bewaffneten nicht wirksam dazwischen-
fahren, so war der wackere Mann doch wenigstens bestrebt, etwaigen
Derfolgten eine sichere Freistatt zu bieten. Hinter uns schloß man eiligst
die Torflügel, gegen die alsbald die Schoristen mit Stiefeln und Fäusten
zu donnern begannen. Fürs erste aber waren wir sicher in unserer Frei-
statt. Man brachte mich in das höchste Gemach des festen Schloß-
turmes und bettete mich in einen Lehnstuhl am Fenster. Ein Feldscher
renkte meinen verstauchten Fuß ein und legte mir einen Verband an.

In der Zwischenzeit war es den Schoristen gelungen, das äußere
Burgtor zu sprengen und die Besatzung zurückzuwerfen. Mit lauten
^ereatrusen erfüllten unsere Feinde den Hof. Mie wir vom Surm-
senster auS deutlich sehen und hören konnten, war der Amtmann an
eines der Fenster im Obergeschoß getreten. Er versuchte vergeblich, sich
im Namen des Herzogs Gehör zu verschaffen. „Pereat der Herzog!
Gebt die Scheißfüchse heraus!" brüllte es zur Antwort hundertstimmig
empor. Steine hagelten in die Fenster und Scheiben klirrten Herab.
Etliche Schüsse fuhren in die Zimmerdecken, taten aber sonst keinen
Schaden. Die Schoristen brachten von einem benachbarten Neubau
schwere Balken angeschleppt und versuchten den festen Innenbau des
Schlosses zu berennen.

Der Amtmann kam zu uns herauf und wies kopstchüttelnd in den
Hof hinab. „Gebt uns heraus!" bat ich. „Ihr gefährdet sonst das
Schloß und euer aller Leben." Der alte KriegSmann, der bei Lützen
einen Arm verloren hatte, zeigte mit grimmem Lächeln die gelben Zähne

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