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Porträtskizze

Oswald Malura

flüge irgendwie abhalten wollte. Aber, er wird
nicht nachgeben. Er wird durchhalten. Er rief
nach den Kindern. Die waren schon eine
Strecke weit vorausgelaufen, einigen Kohl-
weißlingen nach. Dienen summten etwas
schläfrig vorbei; dunkelgesärbte Käser liefen
über daS Heidemoos. Nicht weit drüben stieg
der Damm an, und Menschen schritten darauf
entlang, mühsam, an Seilen über lederausgeleg-
ten Schultern die schweren Kähne zum Hafen-
platz schleppend. Sie standen haarscharf und
wirksam vom Himmel ab, und es hatte den
Anschein, als gingen sie wie Schemen durch die
Luft.

Der Herr Konsul war eher müde geworden,
die Flora und die Fauna der srühsommerlichen
Heide zu erklären, als. er dachte. Die Kinder
liebten die Freiheit, und außerdem bekam der
Herr Konsul einen Husten, der gemein war.

Als er mit rotem Kopf wieder zur Ruhe gekom-
men war, wurde sein Gesicht um einen weiteren
Schatten mißvergnügter. Dazu kam diese
innere Unruhe, und jetzt begann Justina oben--
drein noch von der vielen Hausarbeit zu reden
und davon, daß es mit der Stundenfrau einfach
nicht mehr ginge, und man dort nicht sparen
solle, wo es um die Behaglichkeit des häus-
lichen Lebens ginge. Der Herr Konsul a. D.
Briggs schritt wie ein geschlagener oder zu-
mindest überaus heftig und schlau angegriffener
Feldherr durch die Heide; wortlos. Er hatte
den Hut abgenommen, aber Justina sagte nur:
„Setz ihn auf, dein Haar leidet und außerdem
tut dir die Hitze nicht gut!" Diese Hitze wurde
übrigens immer stärker, aber der Herr Konsul
wollte durchhalten. Der Weg ging jetzt knapp
am Damm entlang und stieg langsam zur
Höhe. Die Kinder tollten, einer plötzlichen Frei-

heit wiedergegeben, durch das gelbe HeidegraS.
Bögel kreisten über den Birkeninseln, und weit
drüben stand dunkel ein kleiner Wald.

Plötzlich kam ein Mann auf die beiden zu.

Er ging gebückt, weit vornübergeneigt. Er-
hielt die Seilschlinge in der Hand, über den
mit Leder belegten Rücken gezogen, über die
rechte Schulter. Langsam treidelte er einen
Kahn hinter sich her. Es war keine Zeit mehr,
auszuweichen. Aber der Treidler blieb stehen.
Er nahm die Schlinge von der Schulter und
legte sie auf einen Taublock. Dann blickte er
aus seinen hellen Augen Frau Justina an. Er
griff an daS Käppchen und nahm es ab.

„Jens!" sagte Justina und reichte ihm d'e
Hand. „Was machen Sie hier?"

„Arbeiten, Madame! Wie Sie sehen!" Er
schnitt ein lächelndes Gesicht mit festgekniffenen
Lippen. Dann erst nickte er dem Herrn Konsul
zu. Der wußte nicht sofort, was er beginnen
sollte, und deshalb fing er wieder an zu husten.

„£), es ist schlimmer geworden, Herr Konsul!"
sagte Jens. „Ja, wir werden alt!"

„Aber Jens..." sagte Justina, und es war
ihr, als liefe ein bitteres Gefühl um ihr Herz
und versuchte eS zu bedrängen. Dieser JenS>
der zwanzig Jahre lang in Diensten der Familie
Konsul BriggS gestanden, den dann der Konsul
plötzlich entlassen hatte, dieser gute, alte Jens
... als Treidler . .. Sie schämte sich.

„WaS ist Ihnen denn eingefallen, Jens. . .
Diese schwere Arbeit! Sie, mit Ihren weißen
Haaren?"

„Man muß leben, Madame BriggS. Ich
hatte mir nicht soviel ersparen können... eS
ist doch ganz gleich, wie, nur ehrlich . . ."

„Ein schöner Beruf, ein Treidler!" hustete
der Konsul.

„Ja, ja, Madame.. . sehen Sie? Hier . . .
das Seil.. . das ist unser Schicksal. . . unser
aller Schicksal .. . Wir ziehen daran, immerzu,
durch unser Leben . .. wohl dem, der daran
noch ziehen kann . .. wohl dem..."

Der Herr Konsul hatte noch nie einen solch
hartnäckigen Husten gehabt, wie diesmal. Das
kam von dem frischen Wind, der hier ging.
Oder... Er mußte Jens in die Augen sehen.
Es war ihm plötzlich, als wendete sich das
Leben, .. . „das Seil!" hatte Jens gesagt, „das
Seil des Schicksals?" hatte er nicht recht da-
mit? Aber, wie wäre eS, wenn er . . . der Herr-
Konsul hörte plötzlich mit dem Husten aus und
sagte: „Wollen Sie nicht doch lieber zu unö
zurückkommen? Sehen Sie, ich habe meinen
Dienst quittiert, Jens, und meine Frau, und
die Kinder ... es ist vielleicht ganz gut so. .."

JenS blickte den Konsul an. Dienst quittiert?
Er, der ohne Arbeit nicht leben konnte? Soso,
also auch daS Seil. . . auch das Seil.. .

„Ich weiß noch nicht", sagte er dann, „ich
fühle mich hier ganz wohl."

„Aber Sie werden älter von Tag zu Tag,
JenS. .." sagte der Konsul, „denken Sie, wenn
eS einmal nicht mehr geht, das mit dem
Seil.. ."

„Tja . .. Herr Konsul, dann freilich ...
dann taugt der Mensch zu gar nichts mehr ...
Aber ich muß jetzt weiter.. . Guten Tag,
Madame, guten Tag, Herr Konsul..."

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