Heute toar man Kohlentrimmer, aber nur ein geduldeter und man mußte
gewärtigen, daß die Schiffsleitung im nächsten Hafen den blinden Passa-
gier den Behörden übergab.
Der zweite Maschinenoffizier wußte dies zu verhindern. Selbst ein
Deutscher, nahm er an Andreas ein stillschweigendes Interesse. Aber er
konnte aus dem verschloß enen NIanne, der weit über seine vierzig Jahre
hinaus gealtert zu sein schien, wenig über seine Vergangenheit erfahren,
bind eine Vergangenheit hatte er — das sah man diesem Gesicht an,
auch wenn man seinen unseligen Hang für den Alkohol nicht be-
merkt hätte.
Wo er eines Tropfens Branntwein habhaft werden konnte, ver-
schaffte er ihn sich. Es war schlimm um diesen blinden Passagier bestellt.
Als das Schiff die gelbe Flut des La Plata hinauffuhr, kam eine
seltsame Unruhe über Andreas Thermaelen. Auf Veranlassung des
einen Offiziers hatte der Zahlmeister ihm eine kleine Summe ausgezahlt,
nun stand er an der Reling und sah hinüber nach der Stadt, die mit
ihren quadratischen Häuserblocks klar und hart in dem augenschmerzen-
den Sonnenlicht stand.
Es kam etwas wie eine alte Straffheit über Thermaelen, als er die
breiten Avenidas der argentinischen Metropole unter seinen Füßen
spürte. Wie vor fünf Jahren...
Er vergaß darüber sogar, den Hafenkneipen seine Aufmerksamkeit zu
schenken, bind am Abend saß er im Teatro Colon, seine Hände zitterten
so, daß er sie selbst beim Sitzen unter dem Jackett versteckte.
Andreas war wie im Fieber, und dabei wußte er noch nicht einmal,
welche Erregungen seiner in diesem Teatro Colon harrten.
Er hatte gelesen, daß eine deutsche Truppe ein Gastspiel gab. Auf
die Namen der Schauspieler hatte er nicht geachtet. Es war auch nicht
ein Drang in ihm, wieder einmal eine deutsche Theatervorstellung zu
sehen. Er wollte ja nur die Luft dieses Theaterraumes atmen, in dem
sich der Umbruch in seinem Leben vollzogen hatte. Er wollte wieder
einmal von jenen geheimnisvollen, süßen Parfümen betäubt sein, die
die Frauen der alteingesessenen Spanier so ausgiebig verschwendeten.
Er wollte die bräunlichen Nacken sehen und jene weichen, verwirrenden
Bewegungen der Töchter deS Landes, wenn sie im Promenoir sich mit
den jungen Aristokraten der Stadt und den großen HacienderoS aus den
Provinzen ein Stelldichein gaben.
Aber er sah mehr: In der altbekannten Loge saß Dilma Martinez.
Fünf Jahre waren vergangen, fast ohne eine Spur im Gesicht dieser
Frau zu hinterlassen. Sie war noch das gleiche unbegreifliche, lockende
Wunder von damals, anzuschauen wie ein prächtiges Raubtier. Das
bläulich glänzende, schwarze Haar lag wie ein Helm um den Kopf, der
noch immer einer Gemme glich. Zwischen Elfenbein und gelblichem
Braun lag die Farbe dieses Gesichts. Die Nasenflügel waren etwas zu
groß und waren stets geneigt, sich nach auswärts zu wölben, bind
immer noch war das Zucken um die blutgespannten Lippen, zwischen
denen daS Weiß der Zähne aufleuchtete.
Es war gut, daß Andreas neben Dilma die elegante Gestalt ihres
Mannes auftauchen sah. Vielleicht wäre er sonst wie ein Traum-
wandler hinausgegangen aus dem Parkett, wäre in ihre Loge ge-
treten... Nein, nicht weiterdenken! WaS brauchte das Ehepaar Mar-
tinez zu wissen, was aus ihm geworden? Hipolito Martinez würde ihn
vielleicht hinauswerfen lassen — und ob Vilma mehr als ein spöttisches
Lächeln für ihn hätte?
Das Licht erlosch, der Vorhang rauschte auf. Jetzt müßte man auf
der Bühne stehen, gegenüber dem weichen Dunkel des Theaterrunds,
aus dem matthell die Gesichter und weißlich die Hemdbrüste der Herren
schimmerten. Jetzt müßte Andreas Thermaelen daS Publikum bezaubern
können? Aber was war das? Der Mann da oben, der jetzt sprach —
hatte er nicht den gleichen Orgelton der Stimme wie er selbst? War
er nicht der gleiche Hüne mit dem bäurisch-schweren Gesicht und der
Natürkraft im Spiel, die ihm einst seinen Ruhm verschafft?
Thermaelen klammerte sich mit beiden Händen an den Theatersessel
an, der in der Reihe vor ihm stand. Bin ich's, oder bin ich's nicht? DaS
flutete über ihn hin, daS riß an ihm. Und dabei daS verdammte Ge-
fühl: War das nun wieder, in der Trunkenheit, ein Trugbild, oder war
es die Wirklichkeit?
Aber natürlich — was ihn narrte, war nichts als ein Zufall. Ein
Zufall der Gleichheit in der äußeren Erscheinung, in der Stimme, im
Spiel, in den Gesten ... Vielleicht auch hals der da droben dieser Ähn-
lichkeit ein wenig nach! Sicher! Schon in Deutschland hatte mancher
den Andreas Thermaelen kopiert! Also lebte man doch noch fort, ob-
gleich man als Tramp auf Amerikas Landstraße, als Komödiant auf
Amerikas Schmieren wesen- und namenlos geworden war.
In Andreas war ein großer Aufruhr und in dieser Flut von Über-
legungen, die ihn taumlig machten, blitzte plötzlich die Frage auf: was
mag Vilma dazu sagen?
Er starrte zur Loge hinaus, er sah, wie diese Criollofrau, herrlich
zum Ansehen, sich über die Brüstung bog und hinunterstarrte zur Bühne.
Und Hipolito Martinez lehnte sich weit in den Sessel zurück. Er saß
fast im Hintergrund der Loge. Die Vorgänge auf der Bühne schienen
ihm ganz gleich zu sein.
War es nicht damals auch so gewesen? War dies nicht alles eine
Wiederkehr der Geschehnisse vor fünf Jahren?
Andreas hielt die Spannung der Gedanken nicht mehr aus. Nach
dem ersten Akt verließ er das Theater. Auch ohne getrunken zu haben,
torkelte er durch die lichterhellten Straßen, Und dann saß er irgendwo
inmitten von Musik, keifendem Gesang und schwerem Tabaksdunst.
Man mußte doch Wiedersehen mit Buenos Aires feiern.
Er erwachte auf einer Avenidabank. Die Sonne stand schon hoch
am Himmel. Er sah einen Polizisten langsam auf sich zukommen. Da
stand er, nüchtern geworden, auf und ging davon. Der Polizist über-
legte eine Weile, ob er dem morgendlichen Schläfer folgen solle. Dann
dachte er: Laß den Gringo lausen.
Die Avenida war endlos. Er wußte, sie führte hinaus nach Bel-
grano, dem Villenviertel, das für die spanische Aristokratie und die
europäische Kolonie reserviert war. Er kannte den Weg ganz genau.
Man vergißt nicht in fünf Jahren daS Haus, daS einst einen Glücks-
rausch sondergleichen beherbergt hat. Er zog die Klingel. Ein Indo
öffnete. Nun war eS geschehen, nun ließ er sich dem Herrn deS
Hauses melden.
Er schritt den breiten Anfahrtsweg zwischen den Palmen entlang.
WaS hatte sie damals auf ihn für einen Eindruck gemacht, diese Säulen-
halle, die in klassizistischer Manier den Eingang der großen Besitzung
darstellte?
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gewärtigen, daß die Schiffsleitung im nächsten Hafen den blinden Passa-
gier den Behörden übergab.
Der zweite Maschinenoffizier wußte dies zu verhindern. Selbst ein
Deutscher, nahm er an Andreas ein stillschweigendes Interesse. Aber er
konnte aus dem verschloß enen NIanne, der weit über seine vierzig Jahre
hinaus gealtert zu sein schien, wenig über seine Vergangenheit erfahren,
bind eine Vergangenheit hatte er — das sah man diesem Gesicht an,
auch wenn man seinen unseligen Hang für den Alkohol nicht be-
merkt hätte.
Wo er eines Tropfens Branntwein habhaft werden konnte, ver-
schaffte er ihn sich. Es war schlimm um diesen blinden Passagier bestellt.
Als das Schiff die gelbe Flut des La Plata hinauffuhr, kam eine
seltsame Unruhe über Andreas Thermaelen. Auf Veranlassung des
einen Offiziers hatte der Zahlmeister ihm eine kleine Summe ausgezahlt,
nun stand er an der Reling und sah hinüber nach der Stadt, die mit
ihren quadratischen Häuserblocks klar und hart in dem augenschmerzen-
den Sonnenlicht stand.
Es kam etwas wie eine alte Straffheit über Thermaelen, als er die
breiten Avenidas der argentinischen Metropole unter seinen Füßen
spürte. Wie vor fünf Jahren...
Er vergaß darüber sogar, den Hafenkneipen seine Aufmerksamkeit zu
schenken, bind am Abend saß er im Teatro Colon, seine Hände zitterten
so, daß er sie selbst beim Sitzen unter dem Jackett versteckte.
Andreas war wie im Fieber, und dabei wußte er noch nicht einmal,
welche Erregungen seiner in diesem Teatro Colon harrten.
Er hatte gelesen, daß eine deutsche Truppe ein Gastspiel gab. Auf
die Namen der Schauspieler hatte er nicht geachtet. Es war auch nicht
ein Drang in ihm, wieder einmal eine deutsche Theatervorstellung zu
sehen. Er wollte ja nur die Luft dieses Theaterraumes atmen, in dem
sich der Umbruch in seinem Leben vollzogen hatte. Er wollte wieder
einmal von jenen geheimnisvollen, süßen Parfümen betäubt sein, die
die Frauen der alteingesessenen Spanier so ausgiebig verschwendeten.
Er wollte die bräunlichen Nacken sehen und jene weichen, verwirrenden
Bewegungen der Töchter deS Landes, wenn sie im Promenoir sich mit
den jungen Aristokraten der Stadt und den großen HacienderoS aus den
Provinzen ein Stelldichein gaben.
Aber er sah mehr: In der altbekannten Loge saß Dilma Martinez.
Fünf Jahre waren vergangen, fast ohne eine Spur im Gesicht dieser
Frau zu hinterlassen. Sie war noch das gleiche unbegreifliche, lockende
Wunder von damals, anzuschauen wie ein prächtiges Raubtier. Das
bläulich glänzende, schwarze Haar lag wie ein Helm um den Kopf, der
noch immer einer Gemme glich. Zwischen Elfenbein und gelblichem
Braun lag die Farbe dieses Gesichts. Die Nasenflügel waren etwas zu
groß und waren stets geneigt, sich nach auswärts zu wölben, bind
immer noch war das Zucken um die blutgespannten Lippen, zwischen
denen daS Weiß der Zähne aufleuchtete.
Es war gut, daß Andreas neben Dilma die elegante Gestalt ihres
Mannes auftauchen sah. Vielleicht wäre er sonst wie ein Traum-
wandler hinausgegangen aus dem Parkett, wäre in ihre Loge ge-
treten... Nein, nicht weiterdenken! WaS brauchte das Ehepaar Mar-
tinez zu wissen, was aus ihm geworden? Hipolito Martinez würde ihn
vielleicht hinauswerfen lassen — und ob Vilma mehr als ein spöttisches
Lächeln für ihn hätte?
Das Licht erlosch, der Vorhang rauschte auf. Jetzt müßte man auf
der Bühne stehen, gegenüber dem weichen Dunkel des Theaterrunds,
aus dem matthell die Gesichter und weißlich die Hemdbrüste der Herren
schimmerten. Jetzt müßte Andreas Thermaelen daS Publikum bezaubern
können? Aber was war das? Der Mann da oben, der jetzt sprach —
hatte er nicht den gleichen Orgelton der Stimme wie er selbst? War
er nicht der gleiche Hüne mit dem bäurisch-schweren Gesicht und der
Natürkraft im Spiel, die ihm einst seinen Ruhm verschafft?
Thermaelen klammerte sich mit beiden Händen an den Theatersessel
an, der in der Reihe vor ihm stand. Bin ich's, oder bin ich's nicht? DaS
flutete über ihn hin, daS riß an ihm. Und dabei daS verdammte Ge-
fühl: War das nun wieder, in der Trunkenheit, ein Trugbild, oder war
es die Wirklichkeit?
Aber natürlich — was ihn narrte, war nichts als ein Zufall. Ein
Zufall der Gleichheit in der äußeren Erscheinung, in der Stimme, im
Spiel, in den Gesten ... Vielleicht auch hals der da droben dieser Ähn-
lichkeit ein wenig nach! Sicher! Schon in Deutschland hatte mancher
den Andreas Thermaelen kopiert! Also lebte man doch noch fort, ob-
gleich man als Tramp auf Amerikas Landstraße, als Komödiant auf
Amerikas Schmieren wesen- und namenlos geworden war.
In Andreas war ein großer Aufruhr und in dieser Flut von Über-
legungen, die ihn taumlig machten, blitzte plötzlich die Frage auf: was
mag Vilma dazu sagen?
Er starrte zur Loge hinaus, er sah, wie diese Criollofrau, herrlich
zum Ansehen, sich über die Brüstung bog und hinunterstarrte zur Bühne.
Und Hipolito Martinez lehnte sich weit in den Sessel zurück. Er saß
fast im Hintergrund der Loge. Die Vorgänge auf der Bühne schienen
ihm ganz gleich zu sein.
War es nicht damals auch so gewesen? War dies nicht alles eine
Wiederkehr der Geschehnisse vor fünf Jahren?
Andreas hielt die Spannung der Gedanken nicht mehr aus. Nach
dem ersten Akt verließ er das Theater. Auch ohne getrunken zu haben,
torkelte er durch die lichterhellten Straßen, Und dann saß er irgendwo
inmitten von Musik, keifendem Gesang und schwerem Tabaksdunst.
Man mußte doch Wiedersehen mit Buenos Aires feiern.
Er erwachte auf einer Avenidabank. Die Sonne stand schon hoch
am Himmel. Er sah einen Polizisten langsam auf sich zukommen. Da
stand er, nüchtern geworden, auf und ging davon. Der Polizist über-
legte eine Weile, ob er dem morgendlichen Schläfer folgen solle. Dann
dachte er: Laß den Gringo lausen.
Die Avenida war endlos. Er wußte, sie führte hinaus nach Bel-
grano, dem Villenviertel, das für die spanische Aristokratie und die
europäische Kolonie reserviert war. Er kannte den Weg ganz genau.
Man vergißt nicht in fünf Jahren daS Haus, daS einst einen Glücks-
rausch sondergleichen beherbergt hat. Er zog die Klingel. Ein Indo
öffnete. Nun war eS geschehen, nun ließ er sich dem Herrn deS
Hauses melden.
Er schritt den breiten Anfahrtsweg zwischen den Palmen entlang.
WaS hatte sie damals auf ihn für einen Eindruck gemacht, diese Säulen-
halle, die in klassizistischer Manier den Eingang der großen Besitzung
darstellte?
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