Thermaelen ging gleich ans sein Ziel loö. Er lächelte dabei und sprach
ganz leichthin, als wäre seine Bitte recht belanglos.
„Wo Sie mich doch gleich erkannt haben, werden Sie mir eine Bitte
nicht abschlagen. Lassen Sie mich heute spielen. Keiner wird eS er-
kennen, und mir bereiten Sie eine große Freude."
Broders konnte nur eines denken: Warum ist dieser Thermaelen so
heruntergekommen? WaS ist mit ihm nur geschehen? Warum hat man
seit fünf Jahren nichts mehr von ihm gehört? Und hat er nicht zum
letzten Male hier im Teatro Colon gespielt und dann — und dann —
warum hat mir Dilma von ihm nichts erzählt?
Andreas stand jetzt ganz dicht vor dem Jüngeren. Seine Augen
faßten des anderen Augen. Seine Stimme, mächtig wie Orgelton, hatte
etwas Bezwingendes.
„Wollen Sie mich bitten lassen?"
Auf BroderS lag eine Beklemmung, daß er nicht zu antworten wußte,
und er rührte sich auch nicht, als Andreas sich an den Schminktisch setzte
und begann, Farbe aufzulegen.
„Den Friseur brauchen wir heute lieber nicht, Sie helfen mir schon
einmal aus, Kollege."
Alles, was Broders tat, tat er unter einem erdrückenden Zwang. Als
dann das Klingelzeichen des Inspizienten erklang, trat Thermaelen auf
den anderen zu und ergriff seine Hand.
„Ich bin Ihnen wirklich, wirklich sehr dankbar."
Dann verließ er die Garderobe.
Keiner seiner Partner merkte, daß ein anderer auf der Bühne stand
als sonst. Wie oft hatte er diese Rolle gespielt! Aber selbst wenn man
es gemerkt hätte, ihm wäre eS gleichgültig gewesen, er hatte nur einen
Wunsch: Mag er eS heute tun und mag sie ihm zuschauen.
Richtig — da saß daS Ehepaar Martinez in der Loge. Die Frau,
die mit ihm solch herrliches Spiel getrieben hatte, daß er fünf Jahre
nicht davon losgekommen war, und der Mann, der nicht wollte, daß
der Fall Thermaelen sich noch ein zweites Mal wiederholte.
Seltsam, er hätte nie gedacht, daß Hipolito Martinez und er, An-
dreas Thermaelen, einmal den gleichen Wunsch haben könnten. Nicht
noch einmal den Fall Thermaelen!
Nach dem ersten Akt ging er gleich in die Garderobe zurück und zeigte
sich nicht erst mit den anderen Schauspielern dem mit südländischer Be-
geisterung applaudierendem Publikum. Er war richtig erschöpft und
Broders, der in der Garderobe auf ihn gewartet hatte, erfüllte ihm gern
die Bitte, ihm aus der Apotheke eine kleine Stärkung zu holen. Der
junge Schauspieler hoffte so zu vermeiden, daß während der Pause sein
Zusammensein mit dem Doppelgänger entdeckt würde. Kaum aber hatte
Broders die Garderobe verlassen, da rief Thermaelen den Theaterdiener
und ließ das Ehepaar Martinez in feine Garderobe bitten. Er wußte,
das war eine Provokation. Wenn Hipolito Martinez noch zögern wollte
— jetzt mußte er sich entscheiden, ob er zum zweiten Male ein Narr-
fein würde.
Thermaelen stand aufrecht. Er war so ruhig wie seit langem nicht,
selbst das Zittern seiner Hände hatte sich verloren.
Dann wurde an die Tür der Garderobe geklopft. Auf sein „Herein"
trat zuerst Dilma ein. Er merkte es an ihren hochgewölbten Nasen-
flügeln, daß sie maßlos erregt war. Ehe sie noch ein Wort sprechen
konte, schob Hipolito, der, im Frack, ihr folgte, sie beseite. Alle Nach-
kommen der ersten spanischen Eroberer sind in diesem Lande der Duelle
gute Pistolenschützen. Er hatte gut getroffen, Hipolito Martinez.
Während Dilma leise aufschrie, stützte sich Thermaelen noch immer
auf den Garderobentisch und eS dauerte lange, ehe er in sich zu-
sammenfiel.
Er starb in ausgezeichneter Haltung und mit seinem Abgang machte
er die fünf verlorenen Jahre wieder wett.
Rolf Broders wurde kontraktbrüchig und verließ noch am gleichen
Tage Buenos Aires.
Dilma Martinez reiste zu gleicher Zeit auf eine Bergbesitzung der
Martinez in der Provinz Salta, während ihr Mann sich in aller Ruhe
den Gerichten stellte.
'hvUt
Spitzingsee
Arthur Huber
681
ganz leichthin, als wäre seine Bitte recht belanglos.
„Wo Sie mich doch gleich erkannt haben, werden Sie mir eine Bitte
nicht abschlagen. Lassen Sie mich heute spielen. Keiner wird eS er-
kennen, und mir bereiten Sie eine große Freude."
Broders konnte nur eines denken: Warum ist dieser Thermaelen so
heruntergekommen? WaS ist mit ihm nur geschehen? Warum hat man
seit fünf Jahren nichts mehr von ihm gehört? Und hat er nicht zum
letzten Male hier im Teatro Colon gespielt und dann — und dann —
warum hat mir Dilma von ihm nichts erzählt?
Andreas stand jetzt ganz dicht vor dem Jüngeren. Seine Augen
faßten des anderen Augen. Seine Stimme, mächtig wie Orgelton, hatte
etwas Bezwingendes.
„Wollen Sie mich bitten lassen?"
Auf BroderS lag eine Beklemmung, daß er nicht zu antworten wußte,
und er rührte sich auch nicht, als Andreas sich an den Schminktisch setzte
und begann, Farbe aufzulegen.
„Den Friseur brauchen wir heute lieber nicht, Sie helfen mir schon
einmal aus, Kollege."
Alles, was Broders tat, tat er unter einem erdrückenden Zwang. Als
dann das Klingelzeichen des Inspizienten erklang, trat Thermaelen auf
den anderen zu und ergriff seine Hand.
„Ich bin Ihnen wirklich, wirklich sehr dankbar."
Dann verließ er die Garderobe.
Keiner seiner Partner merkte, daß ein anderer auf der Bühne stand
als sonst. Wie oft hatte er diese Rolle gespielt! Aber selbst wenn man
es gemerkt hätte, ihm wäre eS gleichgültig gewesen, er hatte nur einen
Wunsch: Mag er eS heute tun und mag sie ihm zuschauen.
Richtig — da saß daS Ehepaar Martinez in der Loge. Die Frau,
die mit ihm solch herrliches Spiel getrieben hatte, daß er fünf Jahre
nicht davon losgekommen war, und der Mann, der nicht wollte, daß
der Fall Thermaelen sich noch ein zweites Mal wiederholte.
Seltsam, er hätte nie gedacht, daß Hipolito Martinez und er, An-
dreas Thermaelen, einmal den gleichen Wunsch haben könnten. Nicht
noch einmal den Fall Thermaelen!
Nach dem ersten Akt ging er gleich in die Garderobe zurück und zeigte
sich nicht erst mit den anderen Schauspielern dem mit südländischer Be-
geisterung applaudierendem Publikum. Er war richtig erschöpft und
Broders, der in der Garderobe auf ihn gewartet hatte, erfüllte ihm gern
die Bitte, ihm aus der Apotheke eine kleine Stärkung zu holen. Der
junge Schauspieler hoffte so zu vermeiden, daß während der Pause sein
Zusammensein mit dem Doppelgänger entdeckt würde. Kaum aber hatte
Broders die Garderobe verlassen, da rief Thermaelen den Theaterdiener
und ließ das Ehepaar Martinez in feine Garderobe bitten. Er wußte,
das war eine Provokation. Wenn Hipolito Martinez noch zögern wollte
— jetzt mußte er sich entscheiden, ob er zum zweiten Male ein Narr-
fein würde.
Thermaelen stand aufrecht. Er war so ruhig wie seit langem nicht,
selbst das Zittern seiner Hände hatte sich verloren.
Dann wurde an die Tür der Garderobe geklopft. Auf sein „Herein"
trat zuerst Dilma ein. Er merkte es an ihren hochgewölbten Nasen-
flügeln, daß sie maßlos erregt war. Ehe sie noch ein Wort sprechen
konte, schob Hipolito, der, im Frack, ihr folgte, sie beseite. Alle Nach-
kommen der ersten spanischen Eroberer sind in diesem Lande der Duelle
gute Pistolenschützen. Er hatte gut getroffen, Hipolito Martinez.
Während Dilma leise aufschrie, stützte sich Thermaelen noch immer
auf den Garderobentisch und eS dauerte lange, ehe er in sich zu-
sammenfiel.
Er starb in ausgezeichneter Haltung und mit seinem Abgang machte
er die fünf verlorenen Jahre wieder wett.
Rolf Broders wurde kontraktbrüchig und verließ noch am gleichen
Tage Buenos Aires.
Dilma Martinez reiste zu gleicher Zeit auf eine Bergbesitzung der
Martinez in der Provinz Salta, während ihr Mann sich in aller Ruhe
den Gerichten stellte.
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Spitzingsee
Arthur Huber
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