Lirtt) fccr „Adolphe Thürs", 6aö englische Paketboot mit Grazie
umfahrend, steuerte auf die Durchfahrt zu, von der ihn noch ein
halbes Dutzend steuerlose Schiffe auf recht gefährliche Art trennten.
Es war dieser Augenblick, den der spanische Pilot wählte, um sich
auf den Navigationsoffizier zu stürzen:
„Senor! ..."
Und es folgte eine kurze Rede, unterstrichen von einer Menge
Schreie, die von einer Mimik, die einen Taubstummen närrisch gemacht
hätte, begleitet waren. Ich habe bereits gesagt, daß keiner der Zu-
hörer ein Wort der Sprache von Cervantes verstand. Aber der
spanische Pilot ließ sich nicht durch eine solche Geringfügigkeit ver-
wirren. Seine Rede war wahrscheinlich nicht einmal ganz uninter-
essant. Der „Adolphe Thiers" lief Gefahr zu scheitern, daran war
nicht zu zweifeln. Aber daS wußte der ^Navigationsoffizier. Und der
Pilot wählte den Augenblick schlecht, um Binsenweisheiten zu ver-
künden. Zu viele Möglichkeiten des Zusammenstoßes drohten dem
„Adolphe Thiers", als daß der „Adolphe Thiers" die Möglichkeit
gehabt hätte, vorsichtig zu manövrieren. Denn auf dem Meer weiß
man schlecht und recht, wo Sandbänke lagern, aber man weiß nie, wo
ein vom Sturm hin- und hergeschleudertes Schiff hingeraten kann.
„Jetzt ist nicht der Augenblick, sich zu unterhalten", brummte der
Offizier.
Mit kräftiger Faust schob er den Piloten zur Seite und fuhr fort,
seine Befehle zu erteilen. Der „Adolphe Thierö" gehorchte wie eines
jener Kinderschiffe, das man mit einer Schnur auf dem Wasser einer
Badewanne oder eines Bassins zieht, machte Evolutionen, schlug eine
schräge Richtung ein, wich nach rechts und links aus. Kein Zweifel,
daß der übertriebene Cocktail, den der Offizier vorhin geschluckt hatte
und der jeden Trinker mittleren Durchschnittes ohne Aufschub erschlagen
hätte, im Gegenteil für jenen, der ihn zu sich genommen, eine Duelle
der Weisheit, der Kaltblütigkeit und der Zweckmäßigkeit gewesen war.
Tatsächlich befreite sich der Kreuzer allmählich, befreite sich sogar sieg-
reich auS dem Wirrwarr der Dampfer. Nichtsdestoweniger kochte der
spanische Pilot, geärgert durch die Verachtung, die man seinen Rat-
schlägen bewies, vor Wut. Er schrie, er brüllte.
Er hatte Pech. Der Offizier hatte ein sehr empfindliches Ohr. Er
ärgerte sich seinerseits maßlos und rief, nachdem er geflucht hatte, wie
man nur in der Marine fluchen kann: „Sergeant! Vier Mann und
einen Korporal hierher!"
Die vier Mann und der Korporal stürzten herbei. Der Offizier
wies mit dem Daumen über seine Schulter auf den Piloten:
„Fesselt den Kerl da an den vier Pfoten und verstopft ihm den
Mund!"
Man fragt auf einem Kriegsschiff nicht viel. Am wenigsten zu
Zeiten emeö Zyklons. Der spanische Pilot wurde gebunden wie eine
Wurst. Worauf, nachdem er noch heftiger geschrien hatte, der Waffen-
korporal sich ohne jedwede Brutalität und nur um daS Ärgste zu
vermeiden, mit Vorsicht auf den kreischenden Mund setzte. Der
„Adolphe Thierö" jedoch überwand daS letzte Hindernis, einen riesigen
amerikanischen Petroleumdampfer, der sich wie ein Kreisel drehte. Nun
hatte man daS freie Meer erreicht, mit hie und da einigen Klippen,
an denen die Wogen sich weiß schäumend brachen. Der Offizier
schlängelte sich zwischen diesen Untiefen durch wie ein Aal zwischen
Felsen. Dann war daS letzte Hindernis überwunden.
Der Ofsizier wandte sich an den Korporal, die vier Männer und
ihren Gefangenen:
„Schaffen Sie jetzt diesen Idioten in sein Boot hinunter und er soll
verduften. Er kann sich beschweren, wenn er will, daS hat keine Be-
deutung! Oder er wird unterwegs ersaufen. DaS hat ebenfalls keine
Bedeutung!"
Dann stieg er selbst von der Kommandobrücke herunter, nachdem er
den Befehl über daS Schiff dem übergeben hatte, dem er gebührte.
Der Navigationsoffizier ging strammen Schrittes wieder in den Eß-
raum und bediente sich ohne Eile, mit einem zweiten Cocktail, der mit
dem „Ersten" vollkommen identisch war.
„Um mich von meinen Aufregungen zu erholen", sagte er und goß
sich das stärkende Getränk befriedigt hinter die Binde.
ABENDDÄMMERUNG
QJon QiJ^illibalcl öman(cou>s(ci
Vom Kelch des Lebens tatst du Zug um Zug.
Du hast berauscht zu seinem Preis gesungen
und weißt auf einmal: was dich sonst bezwungen,
ist welk und alt und schmeckt fast wie Betrug.
Das ist so wie bei einem Gang zur Nacht:
Es ist sehr still, die dunklen Wasser rauschen
vom Bergwald her, und plötzlich mußt du lauschen
vor einem Haus, darin noch jemand wacht.
Erschrocken siehst du, wie die Zeit versinkt.
Zwar fülltest du bis oben Schrein und Laden,
doch unerreichbar blieb der Born der Gnaden,
aus dem das Kind in vollen Zügen trinkt.
Musik ertönt, sie ist dir wohlbekannt
und tief verbunden seit den frühen Tagen,
du fühlst dein Herz in heißem Heimweh schlagen
und weißt dich ausgestoßen und verbannt.
Löwen
Siegfried Kühnei
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umfahrend, steuerte auf die Durchfahrt zu, von der ihn noch ein
halbes Dutzend steuerlose Schiffe auf recht gefährliche Art trennten.
Es war dieser Augenblick, den der spanische Pilot wählte, um sich
auf den Navigationsoffizier zu stürzen:
„Senor! ..."
Und es folgte eine kurze Rede, unterstrichen von einer Menge
Schreie, die von einer Mimik, die einen Taubstummen närrisch gemacht
hätte, begleitet waren. Ich habe bereits gesagt, daß keiner der Zu-
hörer ein Wort der Sprache von Cervantes verstand. Aber der
spanische Pilot ließ sich nicht durch eine solche Geringfügigkeit ver-
wirren. Seine Rede war wahrscheinlich nicht einmal ganz uninter-
essant. Der „Adolphe Thiers" lief Gefahr zu scheitern, daran war
nicht zu zweifeln. Aber daS wußte der ^Navigationsoffizier. Und der
Pilot wählte den Augenblick schlecht, um Binsenweisheiten zu ver-
künden. Zu viele Möglichkeiten des Zusammenstoßes drohten dem
„Adolphe Thiers", als daß der „Adolphe Thiers" die Möglichkeit
gehabt hätte, vorsichtig zu manövrieren. Denn auf dem Meer weiß
man schlecht und recht, wo Sandbänke lagern, aber man weiß nie, wo
ein vom Sturm hin- und hergeschleudertes Schiff hingeraten kann.
„Jetzt ist nicht der Augenblick, sich zu unterhalten", brummte der
Offizier.
Mit kräftiger Faust schob er den Piloten zur Seite und fuhr fort,
seine Befehle zu erteilen. Der „Adolphe Thierö" gehorchte wie eines
jener Kinderschiffe, das man mit einer Schnur auf dem Wasser einer
Badewanne oder eines Bassins zieht, machte Evolutionen, schlug eine
schräge Richtung ein, wich nach rechts und links aus. Kein Zweifel,
daß der übertriebene Cocktail, den der Offizier vorhin geschluckt hatte
und der jeden Trinker mittleren Durchschnittes ohne Aufschub erschlagen
hätte, im Gegenteil für jenen, der ihn zu sich genommen, eine Duelle
der Weisheit, der Kaltblütigkeit und der Zweckmäßigkeit gewesen war.
Tatsächlich befreite sich der Kreuzer allmählich, befreite sich sogar sieg-
reich auS dem Wirrwarr der Dampfer. Nichtsdestoweniger kochte der
spanische Pilot, geärgert durch die Verachtung, die man seinen Rat-
schlägen bewies, vor Wut. Er schrie, er brüllte.
Er hatte Pech. Der Offizier hatte ein sehr empfindliches Ohr. Er
ärgerte sich seinerseits maßlos und rief, nachdem er geflucht hatte, wie
man nur in der Marine fluchen kann: „Sergeant! Vier Mann und
einen Korporal hierher!"
Die vier Mann und der Korporal stürzten herbei. Der Offizier
wies mit dem Daumen über seine Schulter auf den Piloten:
„Fesselt den Kerl da an den vier Pfoten und verstopft ihm den
Mund!"
Man fragt auf einem Kriegsschiff nicht viel. Am wenigsten zu
Zeiten emeö Zyklons. Der spanische Pilot wurde gebunden wie eine
Wurst. Worauf, nachdem er noch heftiger geschrien hatte, der Waffen-
korporal sich ohne jedwede Brutalität und nur um daS Ärgste zu
vermeiden, mit Vorsicht auf den kreischenden Mund setzte. Der
„Adolphe Thierö" jedoch überwand daS letzte Hindernis, einen riesigen
amerikanischen Petroleumdampfer, der sich wie ein Kreisel drehte. Nun
hatte man daS freie Meer erreicht, mit hie und da einigen Klippen,
an denen die Wogen sich weiß schäumend brachen. Der Offizier
schlängelte sich zwischen diesen Untiefen durch wie ein Aal zwischen
Felsen. Dann war daS letzte Hindernis überwunden.
Der Ofsizier wandte sich an den Korporal, die vier Männer und
ihren Gefangenen:
„Schaffen Sie jetzt diesen Idioten in sein Boot hinunter und er soll
verduften. Er kann sich beschweren, wenn er will, daS hat keine Be-
deutung! Oder er wird unterwegs ersaufen. DaS hat ebenfalls keine
Bedeutung!"
Dann stieg er selbst von der Kommandobrücke herunter, nachdem er
den Befehl über daS Schiff dem übergeben hatte, dem er gebührte.
Der Navigationsoffizier ging strammen Schrittes wieder in den Eß-
raum und bediente sich ohne Eile, mit einem zweiten Cocktail, der mit
dem „Ersten" vollkommen identisch war.
„Um mich von meinen Aufregungen zu erholen", sagte er und goß
sich das stärkende Getränk befriedigt hinter die Binde.
ABENDDÄMMERUNG
QJon QiJ^illibalcl öman(cou>s(ci
Vom Kelch des Lebens tatst du Zug um Zug.
Du hast berauscht zu seinem Preis gesungen
und weißt auf einmal: was dich sonst bezwungen,
ist welk und alt und schmeckt fast wie Betrug.
Das ist so wie bei einem Gang zur Nacht:
Es ist sehr still, die dunklen Wasser rauschen
vom Bergwald her, und plötzlich mußt du lauschen
vor einem Haus, darin noch jemand wacht.
Erschrocken siehst du, wie die Zeit versinkt.
Zwar fülltest du bis oben Schrein und Laden,
doch unerreichbar blieb der Born der Gnaden,
aus dem das Kind in vollen Zügen trinkt.
Musik ertönt, sie ist dir wohlbekannt
und tief verbunden seit den frühen Tagen,
du fühlst dein Herz in heißem Heimweh schlagen
und weißt dich ausgestoßen und verbannt.
Löwen
Siegfried Kühnei
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