Kinderstudie I. S. Kühnei
Bauern-Ballade
Eine Zeitlang ging die Wirtschaft ganz gut. Die Bauern saßen in
der kleinen Gaststube, tranken ihr Bier und unterhielten sich in schweren
Worten. Martin Kurz, der Wirt, .saß dann bei ihnen am Holztisch,
stützte den kahlen Kopf in die Hand und hörte zu. Er sprach wenig, fast
nie. Selten stand er schwerfällig auf, nahm ein leeres Glas vom Tisch,
ging langsam zur Schenke, wo das kleine Faß mit Bier stand, schenkte
ein, schlurfte zurück. Fremde kamen nicht oft, nur im Sommer kamen
einige aus der Stadt herausgefahren und saßen im Garten unter den
dichten Kastanien beim Bier.
Seine Frau war immer in der dunklen Küche. Sie stand vor dem
riesigen Herd und kochte oder sie saß am Küchentisch und strickte. Nur
manchmal, im Frühjahr, stellte sie einen Stuhl vor die Küche in den
Hof und strickte in der dünnen Sonne. Don den sieben Kindern waren
drei Töchter in nahen Dörfern verheiratet, drei saßen als ledige im
Haus. Auch der einzige Sohn Martin war nach dein Tod seiner Frau
vor einem Jahr mit zwei Kindern zum Vater gezogen. Der junge
Kurz war Arbeiter in einer Fabrik in der Stadt gewesen. Seit zwei
Jahren war er arbeitslos. Die Alten hatten ihnen hie und da Pakete
mit Wurst und Butter und Brot und Mehl geschickt. Dann starb die
junge Frau plötzlich an der Geburt des zweiten Kindes. Zwei Monate
später kam der Sohn mit den beiden Kindern zu den Alten ins Dorf.
Sie gaben ihm ein Zimmer im Haus. Aber er arbeitete nicht und
verdiente nicht. Auch Kostgeld zahlte er keines. Er schlief lange. Er-
stand gegen Mittag auf und aß mit den anderen in der Küche und
ging an den See und fischte. Wenn es dunkelte, kam er dann zurück,
fluchte und schlug nach den Kindern, setzte sich zu den Bauern an den
Tisch, wenn sie ihr Bier tranken. Er erzählte aus der Stadt und
redete viel und großsprecherisch und eS gab Streitereien und Zank.
Ein paar Wochen sagte der alte Kurz nichts zu dem Sohn. Er
beachtete ihn nicht. Er saß bei den Bauern, wenn sie ihr Bier tranken
und hörte zu. Erst als es Streitereien gab und Unfrieden, warf er ein-
mal seinen Stuhl um, packte den Sohn am Kragen und Weste und
stieß den Verblüfften vor die Tür.
Don da an war das HauS voll von Lärm und Streit. Es kamen
immer weniger Bauern. Schließlich blieben sie fast ganz aus. Sie
wollten ihr Bier in Ruhe trinken und fürchteten den häuslichen Streit
Abend für Abend saß der alte Kurz nun allein am Tisch in der kleinen
Gaststube und trank. Er hatte nie getrunken. Er hatte zugehört, wenn
die anderen sprachen. Nun war er allein und trank. Der Sohn kam
nicht mehr in die Gaststube. Kam er vom Fischen, schlich er leise die
Holztreppe hinauf in sein Zimmer. Nur beim Mittagessen in der
dunklen Küche sahen sie sich. Dann stritten und schrien sie miteinander
bis die Mutter dazwischen kam. Sie hatte ihren Sohn gern.
Als es kälter wurde und der See zusror, ging der Sohn nicht mehr
zum Fischen. Er hatte ein paar Kumpane im Dorf, Knechte, Tunicht-
gute, viehische, verwegene Kerle. Er blieb jetzt auch in der Dämmerung
fort, wenn er sonst nach Hause gekommen war und kam manchmal
gegen Morgen erst heim. Einmal, als der Förster zum Bier kam,
erzählte er, daß er zwei verendete Rehe noch in den Schlingen gefunden
hätte. Ein Bock sei angeschossen worden. Er habe ihn später im
Gebüsch gefunden. Aber er werde die Lumpen schon kriegen, sagte er
und strich seinen großen Schnurrbart. Sogar die Patronenhülsen hätte
er gefunden, aber die wären von keinem Gewehr gewesen, sondern von
einer Pistole. Der alte Kürz saß bei ihm am Tisch und hörte zu und
nickte, blnter dem Tisch der Jagdhund jaulte leise im Traum. Dann
stand der Wirt schwerfällig auf und holte frisches Bier und schlurfte
langsam zurück. Die beiden tranken zusammen Bier. Sie sprachen
wenig miteinander. Nur der Förster erzählte brummend von Jagd-
frevel und Buße. Erst spät ging er fort. Kürz schloß leise hinter ihm
zu und setzte sich allein in die warme Gaststube.
Es kamen fast keine Gäste mehr. Niemand kam mehr zu ihm. Sie
gingen alle zum Neuwirt an der Straße, obwohl der weiter weg war
und schlechteres Bier hatte. Er mußte schon Schulden machen. Die
Steuern mußten bezahlt werden und er konnte nicht zahlen. Er sah
vor sich hin und sah die Bieruntersätze an und das Salzfaß, die auf
dem Tisch standen und fuhr mit der gekrümmten Hand wischend über
den blanken Holztisch, als wolle er Fliegen fangen. Dann stand er
auf und holte die Schnapsflasche und trank aus der dunkelgrünen
Flasche. Die Biergläser vom Förster und von ihm standen noch auf
dem Tisch und zitterten, als er die Schnapsflasche hart hinstellte. Dor
zwei Tagen war der Gerichtsvollzieher dagewesen und hatte die rück-
ständigen Steuern angemahnt. Kurz hatte mit ihm gesprochen und sie
hatten Bier getrunken und der Beamte war wieder weggegangen. Er
wolle in acht Tagen wiederkommen, hatte er gesagt. Aber woher sollte
er das Geld nehmen, auch in acht Tagen? Es kam ja keiner mehr zu
ihm. Bald konnte er auch das Bier nicht mehr bezahlen. Das letzte
Kalb zum Schlachten war er schon schuldig geblieben. Da saßen sie
alle auf ihm. Alle hingen sie an ihm. Die drei erwachsenen Töchter
und jetzt auch noch der Sohn, der Tunichtgut und die beiden Enkel.
Die saßen bei der Großmutter in der Küche oder rannten im Hof den
Katzen nach. Alle hingen sie an ihm und keiner kam mehr in die
Wirtschaft.
Er hörte seine Frau in der Küche gehen. Töpfe klapperten. Dann
wurde draußen die HauStüre leise aufgeschlossen. Er stand auf und
ging zur Tür und riß sie schnell auf. DaS Licht aus der warmen hellen
Stube fiel auf den dunklen Gang. Dort stand der junge Kurz und
drehte den Schlüssel vorsichtig im Schloß. Er stand mit dem Rücken
zum Licht. Als das Licht auf ihn fiel, blieb er regungslos stehen, als
ob er so nicht gesehen werden könnte. Er ließ die Hand am Schlüjsel
und rührte sich nicht. Der Alte stand unter der Tür, durch die das
Licht drang, und sein breiter Schatten fiel auf den Gang.
„Komm rein!" rief er, „hier rein!" Der Sohn rührte sich nicht.
Nur den Kopf drehte er und sah ins Helle hinüber.
„Muß ich dich holen", schrie der Wirt, „du Lump?!" Dann hörte
er hinter sich die Tür zur Küche gehen. Seine Frau kam. Er hörte,
wie sie ging. Sie blieb hinter ihm stehen. Er drehte sich um und rief:
„Frau, sei ganz ruhig! Du sollst ruhig sein!" Sie sah ihn an mit
ihren kleinen Augen. Sie stand klein und hölzern und gebückt hinter
ihm. Dann sah sie zum Sohn hinüber, der näher gekommen war.
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Bauern-Ballade
Eine Zeitlang ging die Wirtschaft ganz gut. Die Bauern saßen in
der kleinen Gaststube, tranken ihr Bier und unterhielten sich in schweren
Worten. Martin Kurz, der Wirt, .saß dann bei ihnen am Holztisch,
stützte den kahlen Kopf in die Hand und hörte zu. Er sprach wenig, fast
nie. Selten stand er schwerfällig auf, nahm ein leeres Glas vom Tisch,
ging langsam zur Schenke, wo das kleine Faß mit Bier stand, schenkte
ein, schlurfte zurück. Fremde kamen nicht oft, nur im Sommer kamen
einige aus der Stadt herausgefahren und saßen im Garten unter den
dichten Kastanien beim Bier.
Seine Frau war immer in der dunklen Küche. Sie stand vor dem
riesigen Herd und kochte oder sie saß am Küchentisch und strickte. Nur
manchmal, im Frühjahr, stellte sie einen Stuhl vor die Küche in den
Hof und strickte in der dünnen Sonne. Don den sieben Kindern waren
drei Töchter in nahen Dörfern verheiratet, drei saßen als ledige im
Haus. Auch der einzige Sohn Martin war nach dein Tod seiner Frau
vor einem Jahr mit zwei Kindern zum Vater gezogen. Der junge
Kurz war Arbeiter in einer Fabrik in der Stadt gewesen. Seit zwei
Jahren war er arbeitslos. Die Alten hatten ihnen hie und da Pakete
mit Wurst und Butter und Brot und Mehl geschickt. Dann starb die
junge Frau plötzlich an der Geburt des zweiten Kindes. Zwei Monate
später kam der Sohn mit den beiden Kindern zu den Alten ins Dorf.
Sie gaben ihm ein Zimmer im Haus. Aber er arbeitete nicht und
verdiente nicht. Auch Kostgeld zahlte er keines. Er schlief lange. Er-
stand gegen Mittag auf und aß mit den anderen in der Küche und
ging an den See und fischte. Wenn es dunkelte, kam er dann zurück,
fluchte und schlug nach den Kindern, setzte sich zu den Bauern an den
Tisch, wenn sie ihr Bier tranken. Er erzählte aus der Stadt und
redete viel und großsprecherisch und eS gab Streitereien und Zank.
Ein paar Wochen sagte der alte Kurz nichts zu dem Sohn. Er
beachtete ihn nicht. Er saß bei den Bauern, wenn sie ihr Bier tranken
und hörte zu. Erst als es Streitereien gab und Unfrieden, warf er ein-
mal seinen Stuhl um, packte den Sohn am Kragen und Weste und
stieß den Verblüfften vor die Tür.
Don da an war das HauS voll von Lärm und Streit. Es kamen
immer weniger Bauern. Schließlich blieben sie fast ganz aus. Sie
wollten ihr Bier in Ruhe trinken und fürchteten den häuslichen Streit
Abend für Abend saß der alte Kurz nun allein am Tisch in der kleinen
Gaststube und trank. Er hatte nie getrunken. Er hatte zugehört, wenn
die anderen sprachen. Nun war er allein und trank. Der Sohn kam
nicht mehr in die Gaststube. Kam er vom Fischen, schlich er leise die
Holztreppe hinauf in sein Zimmer. Nur beim Mittagessen in der
dunklen Küche sahen sie sich. Dann stritten und schrien sie miteinander
bis die Mutter dazwischen kam. Sie hatte ihren Sohn gern.
Als es kälter wurde und der See zusror, ging der Sohn nicht mehr
zum Fischen. Er hatte ein paar Kumpane im Dorf, Knechte, Tunicht-
gute, viehische, verwegene Kerle. Er blieb jetzt auch in der Dämmerung
fort, wenn er sonst nach Hause gekommen war und kam manchmal
gegen Morgen erst heim. Einmal, als der Förster zum Bier kam,
erzählte er, daß er zwei verendete Rehe noch in den Schlingen gefunden
hätte. Ein Bock sei angeschossen worden. Er habe ihn später im
Gebüsch gefunden. Aber er werde die Lumpen schon kriegen, sagte er
und strich seinen großen Schnurrbart. Sogar die Patronenhülsen hätte
er gefunden, aber die wären von keinem Gewehr gewesen, sondern von
einer Pistole. Der alte Kürz saß bei ihm am Tisch und hörte zu und
nickte, blnter dem Tisch der Jagdhund jaulte leise im Traum. Dann
stand der Wirt schwerfällig auf und holte frisches Bier und schlurfte
langsam zurück. Die beiden tranken zusammen Bier. Sie sprachen
wenig miteinander. Nur der Förster erzählte brummend von Jagd-
frevel und Buße. Erst spät ging er fort. Kürz schloß leise hinter ihm
zu und setzte sich allein in die warme Gaststube.
Es kamen fast keine Gäste mehr. Niemand kam mehr zu ihm. Sie
gingen alle zum Neuwirt an der Straße, obwohl der weiter weg war
und schlechteres Bier hatte. Er mußte schon Schulden machen. Die
Steuern mußten bezahlt werden und er konnte nicht zahlen. Er sah
vor sich hin und sah die Bieruntersätze an und das Salzfaß, die auf
dem Tisch standen und fuhr mit der gekrümmten Hand wischend über
den blanken Holztisch, als wolle er Fliegen fangen. Dann stand er
auf und holte die Schnapsflasche und trank aus der dunkelgrünen
Flasche. Die Biergläser vom Förster und von ihm standen noch auf
dem Tisch und zitterten, als er die Schnapsflasche hart hinstellte. Dor
zwei Tagen war der Gerichtsvollzieher dagewesen und hatte die rück-
ständigen Steuern angemahnt. Kurz hatte mit ihm gesprochen und sie
hatten Bier getrunken und der Beamte war wieder weggegangen. Er
wolle in acht Tagen wiederkommen, hatte er gesagt. Aber woher sollte
er das Geld nehmen, auch in acht Tagen? Es kam ja keiner mehr zu
ihm. Bald konnte er auch das Bier nicht mehr bezahlen. Das letzte
Kalb zum Schlachten war er schon schuldig geblieben. Da saßen sie
alle auf ihm. Alle hingen sie an ihm. Die drei erwachsenen Töchter
und jetzt auch noch der Sohn, der Tunichtgut und die beiden Enkel.
Die saßen bei der Großmutter in der Küche oder rannten im Hof den
Katzen nach. Alle hingen sie an ihm und keiner kam mehr in die
Wirtschaft.
Er hörte seine Frau in der Küche gehen. Töpfe klapperten. Dann
wurde draußen die HauStüre leise aufgeschlossen. Er stand auf und
ging zur Tür und riß sie schnell auf. DaS Licht aus der warmen hellen
Stube fiel auf den dunklen Gang. Dort stand der junge Kurz und
drehte den Schlüssel vorsichtig im Schloß. Er stand mit dem Rücken
zum Licht. Als das Licht auf ihn fiel, blieb er regungslos stehen, als
ob er so nicht gesehen werden könnte. Er ließ die Hand am Schlüjsel
und rührte sich nicht. Der Alte stand unter der Tür, durch die das
Licht drang, und sein breiter Schatten fiel auf den Gang.
„Komm rein!" rief er, „hier rein!" Der Sohn rührte sich nicht.
Nur den Kopf drehte er und sah ins Helle hinüber.
„Muß ich dich holen", schrie der Wirt, „du Lump?!" Dann hörte
er hinter sich die Tür zur Küche gehen. Seine Frau kam. Er hörte,
wie sie ging. Sie blieb hinter ihm stehen. Er drehte sich um und rief:
„Frau, sei ganz ruhig! Du sollst ruhig sein!" Sie sah ihn an mit
ihren kleinen Augen. Sie stand klein und hölzern und gebückt hinter
ihm. Dann sah sie zum Sohn hinüber, der näher gekommen war.
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