„Was schaust du d e n an, den Haderlumpen, den elendigen?" schrie
der Alte. „Meine Steuern fall er mir zahlen, meine Steuern, mein
Kalb! Die Gäste soll er zurückholen, die er sortgetrieben hat!" Er
schrie weiter in der Wut, sinnlose Worte und schüttelte die geballte
Kaust gegen die Frau. Als sie ihm die Hand beruhigend aus den Arm
legte, schlug er plötzlich aus sie los. Sie flüchtete schreiend zur Bank
am Ösen und fiel unter seinen harten Schlägen aus die Bank nieder.
Sie ächzte nur, während er aus sie einhieb. Als ihm der Arm fest-
gehalten wurde, blickte er zurück und sah den Sohn, der hinter ihm
stand. In der rechten Hand hielt er eine Pistole. Er zielte auf ihn.
DaS eine Auge hatte er zugekniffen, das andere war wie ein schmaler
Strich im mageren Gesicht.
„Fort!" sagte der Sohn heiser, „fort! Laß sie los!" Er deutete auf
die Mutter. Der Alte drehte sich um und richtete sich aus. Die Frau
lag aus der Bank und weinte leise.
„Geh fort!" sagte der Sohn noch einmal, „schnell, geh hinaus!"
Der alte Kurz sah seinen Sohn mit weit ausgerissenen Augen an.
„Was?" schrie er, „was? Mir drohen willst du? Mir drohen?
Mich umbringen willst du, wie deine Rehe, du Hund?" Er ging auf-
recht aus ihn zu. Er hob die Arme. Plötzlich schoß der Junge. Er
schoß in die Holzdecke und ging langsam rückwärts gegen die Tür.
„Schlingensteller!" rief der Alte, „Zuchthäusler!" Er ging dem Sohn
mit kurzen Schritten nach. Dann schoß der Junge noch einmal in
die Höhe.
„Bleib stehen!" schrie er, „bleib stehen!" Er riß schnell die Tür hinter
sich auf und rannte auf den Gang hinaus zur Haustüre. Aber der
Alte sprang zur Tür. Geblendet stand er im Türrahmen. Das Licht
drang ins Dunkel und warf seinen breiten Schatten auf den Boden.
Er sah den Sohn, der bei der HauStüre stand, die eine Hand mit dem
Schlüssel am Schloß, die Pistole in der Rechten. Der alte Kurz stand
ihm gegenüber im hellen Licht der Tür, ein bißchen vorgebeugt. Es sah
aus, als wollte er sich aus den Sohn stürzen. Da siel der Schuß.
Einen Augenblick blieb er ruhig und gerade stehen. Dann sank er
zusammen und schlug auf die dicken Bohlen deö Ganges auf. Die Frau
auf der Ofenbank weinte noch immer leise.
Der alte Martin Kurz war tot, als sie ihn aushoben. Der Sohn
war nach der Tat zum Neuwirt hinübergegangen. Als die zwei Gen-
darmen kamen, um ihn zu verhaften, ging er ruhig mit ihnen. Er
leugnete nicht, seinen Vater erschossen zu haben. Er wandte nicht ein-
mal ein, daß er in Notwehr gehandelt haben könnte. Erst seine
Mutter sprach vor Gericht davon. Aber es half ihm nicht viel. Man
glaubte ihr nicht. Die ewigen Streitigkeiten hatten diese geivalttätige
Lösung allzu wahrscheinlich gemacht. Man glaubte ihr einfach nicht.
In die Wirtschaft kam nieniand mehr. Ein paar Wochen nach dem
Urteil starb die alte Kurzin. Wenig später wurde die Wirtschaft ver-
steigert.
KLOSTER SÄßEN
Q)on SLJolf OCreulz
er
Das ewige Lämpchen flackert im bemalten Fenster
Es schwankt der Schwestern Schatten an der grauen Mauer.
Mit schwarzen Beeren der Holunder steht und Laub voll Trauer.
Im Felde Vogelscheuchen drohen wie Gespenster.
Auf Bildern schaun dich Heilige an mit reinen Stirnen,
Du hörst im Dorf die Uhr die Stunde sagen.
Sehr leise rührt dich an ein Traum au$ Kindheitstagen.
Aus kühlen Kammern schwebt ein Duft von reifen Birnen.
Die 7 reppen gehen hoch herab an den bemoosten Gittern,
Vom Safte schwer reift golden schon die Traube.
Die Brut des Hänflings wiegt ein Busch in seinem Laube,
Ein Falter weht um braune Balken, die verwittern.
Und immer fliegen Vögel um den Turm, den grauen,
Mit großen Schwingen, die sich silbern breiten.
Er aber ruht und schweigt in goldne Weiten
Wo schön und ferne Gottes Berge blauen.
ANEKDOTEN
D e r ve r g e ß I i c h e Dichter
Jean Paul (1773—1825) fragte einmal die Geheimrätin
B e ch s t e i n , in deren Hause er während seines Aufenthalts in Meinin-
gen viel verkehrte: „Haben Sie schon meinen .Titan' gelesen, gnädige
Frau?" — „Nein", antwortete die würdige Dame. „Ich wollte es.
Aber ich verstand gleich so vieles nicht, daß ich das Buch wieder beiseite
legte. Ich möchte es sehr gern mit Ihnen lesen, wenn Sie mir alles
erklären wollen." Jean Paul geriet ein wenig in Verlegenheit und
antwortete schließlich mit naivem Ernst: „Ich täte eö sehr gern. Aber
es wird mir schwer werden. Ich habe sehr vieles wieder vergessen und
verstehe es nun selbst nicht mehr." W.
Heimgezahlt
Als Mark Twain sich in seinem Landhaus aushielt, schickte er-
den Diener zu einem Nachbarn hinüber lind ließ diesen bitten, ihm für
kurze Zeit ein Buch zu leihen, welches er gelegentlich eines Besuches in
seiner Bibliothek bemerkt hatte. Der Besitzer ließ ihm sagen, er verleihe
auS Prinzip keine Bücher, aber Herr Mark Twain könne jedes Buch
in seinem Bibliotheksraum einsehen. — Bald darauf schickte der Nachbar
Z'U dem Dichter, um desten Rasensprengmaschine auszuleihen. Mark
Twain benutzte diese Gelegenheit zur Rache. Er übergab dem Boten
als Antwort einen Zettel mit den Worten: „Ich verleihe aus Prinzip
meine Gartengerätschaften niemals; aber, Herr Nachbar, kommen Sie
herüber und benutzen Sie meine Sprengmaschine so oft Sie wollen auf
meinem Rasen." W.
Die verfrühte Tronrede
Ein Zeitungsredakteur in London hatte den Ehrgeiz, der Erste zu
sein, der die Thronrede König Georgs II. von England
brachte. Dies war ihm nur möglich, indem er selbst eine anfertigte.
Deswegen angeklagt, sollte er schwer bestraft werden. Als der König
von dieser Sache erfuhr, befahl er einem Minister, ihm die Rede vor-
zulegen. Nachdem er sie aufmerksam durchgelesen hatte, sagte er: „Ich
wünsche, daß der Mann milde bestraft wird. Ich habe seine Rede
mit der meinigen verglichen und muß sagen, seine ist weitaus bester."
W.
\
Kinderstudie II.
S. K ü h n e I
der Alte. „Meine Steuern fall er mir zahlen, meine Steuern, mein
Kalb! Die Gäste soll er zurückholen, die er sortgetrieben hat!" Er
schrie weiter in der Wut, sinnlose Worte und schüttelte die geballte
Kaust gegen die Frau. Als sie ihm die Hand beruhigend aus den Arm
legte, schlug er plötzlich aus sie los. Sie flüchtete schreiend zur Bank
am Ösen und fiel unter seinen harten Schlägen aus die Bank nieder.
Sie ächzte nur, während er aus sie einhieb. Als ihm der Arm fest-
gehalten wurde, blickte er zurück und sah den Sohn, der hinter ihm
stand. In der rechten Hand hielt er eine Pistole. Er zielte auf ihn.
DaS eine Auge hatte er zugekniffen, das andere war wie ein schmaler
Strich im mageren Gesicht.
„Fort!" sagte der Sohn heiser, „fort! Laß sie los!" Er deutete auf
die Mutter. Der Alte drehte sich um und richtete sich aus. Die Frau
lag aus der Bank und weinte leise.
„Geh fort!" sagte der Sohn noch einmal, „schnell, geh hinaus!"
Der alte Kurz sah seinen Sohn mit weit ausgerissenen Augen an.
„Was?" schrie er, „was? Mir drohen willst du? Mir drohen?
Mich umbringen willst du, wie deine Rehe, du Hund?" Er ging auf-
recht aus ihn zu. Er hob die Arme. Plötzlich schoß der Junge. Er
schoß in die Holzdecke und ging langsam rückwärts gegen die Tür.
„Schlingensteller!" rief der Alte, „Zuchthäusler!" Er ging dem Sohn
mit kurzen Schritten nach. Dann schoß der Junge noch einmal in
die Höhe.
„Bleib stehen!" schrie er, „bleib stehen!" Er riß schnell die Tür hinter
sich auf und rannte auf den Gang hinaus zur Haustüre. Aber der
Alte sprang zur Tür. Geblendet stand er im Türrahmen. Das Licht
drang ins Dunkel und warf seinen breiten Schatten auf den Boden.
Er sah den Sohn, der bei der HauStüre stand, die eine Hand mit dem
Schlüssel am Schloß, die Pistole in der Rechten. Der alte Kurz stand
ihm gegenüber im hellen Licht der Tür, ein bißchen vorgebeugt. Es sah
aus, als wollte er sich aus den Sohn stürzen. Da siel der Schuß.
Einen Augenblick blieb er ruhig und gerade stehen. Dann sank er
zusammen und schlug auf die dicken Bohlen deö Ganges auf. Die Frau
auf der Ofenbank weinte noch immer leise.
Der alte Martin Kurz war tot, als sie ihn aushoben. Der Sohn
war nach der Tat zum Neuwirt hinübergegangen. Als die zwei Gen-
darmen kamen, um ihn zu verhaften, ging er ruhig mit ihnen. Er
leugnete nicht, seinen Vater erschossen zu haben. Er wandte nicht ein-
mal ein, daß er in Notwehr gehandelt haben könnte. Erst seine
Mutter sprach vor Gericht davon. Aber es half ihm nicht viel. Man
glaubte ihr nicht. Die ewigen Streitigkeiten hatten diese geivalttätige
Lösung allzu wahrscheinlich gemacht. Man glaubte ihr einfach nicht.
In die Wirtschaft kam nieniand mehr. Ein paar Wochen nach dem
Urteil starb die alte Kurzin. Wenig später wurde die Wirtschaft ver-
steigert.
KLOSTER SÄßEN
Q)on SLJolf OCreulz
er
Das ewige Lämpchen flackert im bemalten Fenster
Es schwankt der Schwestern Schatten an der grauen Mauer.
Mit schwarzen Beeren der Holunder steht und Laub voll Trauer.
Im Felde Vogelscheuchen drohen wie Gespenster.
Auf Bildern schaun dich Heilige an mit reinen Stirnen,
Du hörst im Dorf die Uhr die Stunde sagen.
Sehr leise rührt dich an ein Traum au$ Kindheitstagen.
Aus kühlen Kammern schwebt ein Duft von reifen Birnen.
Die 7 reppen gehen hoch herab an den bemoosten Gittern,
Vom Safte schwer reift golden schon die Traube.
Die Brut des Hänflings wiegt ein Busch in seinem Laube,
Ein Falter weht um braune Balken, die verwittern.
Und immer fliegen Vögel um den Turm, den grauen,
Mit großen Schwingen, die sich silbern breiten.
Er aber ruht und schweigt in goldne Weiten
Wo schön und ferne Gottes Berge blauen.
ANEKDOTEN
D e r ve r g e ß I i c h e Dichter
Jean Paul (1773—1825) fragte einmal die Geheimrätin
B e ch s t e i n , in deren Hause er während seines Aufenthalts in Meinin-
gen viel verkehrte: „Haben Sie schon meinen .Titan' gelesen, gnädige
Frau?" — „Nein", antwortete die würdige Dame. „Ich wollte es.
Aber ich verstand gleich so vieles nicht, daß ich das Buch wieder beiseite
legte. Ich möchte es sehr gern mit Ihnen lesen, wenn Sie mir alles
erklären wollen." Jean Paul geriet ein wenig in Verlegenheit und
antwortete schließlich mit naivem Ernst: „Ich täte eö sehr gern. Aber
es wird mir schwer werden. Ich habe sehr vieles wieder vergessen und
verstehe es nun selbst nicht mehr." W.
Heimgezahlt
Als Mark Twain sich in seinem Landhaus aushielt, schickte er-
den Diener zu einem Nachbarn hinüber lind ließ diesen bitten, ihm für
kurze Zeit ein Buch zu leihen, welches er gelegentlich eines Besuches in
seiner Bibliothek bemerkt hatte. Der Besitzer ließ ihm sagen, er verleihe
auS Prinzip keine Bücher, aber Herr Mark Twain könne jedes Buch
in seinem Bibliotheksraum einsehen. — Bald darauf schickte der Nachbar
Z'U dem Dichter, um desten Rasensprengmaschine auszuleihen. Mark
Twain benutzte diese Gelegenheit zur Rache. Er übergab dem Boten
als Antwort einen Zettel mit den Worten: „Ich verleihe aus Prinzip
meine Gartengerätschaften niemals; aber, Herr Nachbar, kommen Sie
herüber und benutzen Sie meine Sprengmaschine so oft Sie wollen auf
meinem Rasen." W.
Die verfrühte Tronrede
Ein Zeitungsredakteur in London hatte den Ehrgeiz, der Erste zu
sein, der die Thronrede König Georgs II. von England
brachte. Dies war ihm nur möglich, indem er selbst eine anfertigte.
Deswegen angeklagt, sollte er schwer bestraft werden. Als der König
von dieser Sache erfuhr, befahl er einem Minister, ihm die Rede vor-
zulegen. Nachdem er sie aufmerksam durchgelesen hatte, sagte er: „Ich
wünsche, daß der Mann milde bestraft wird. Ich habe seine Rede
mit der meinigen verglichen und muß sagen, seine ist weitaus bester."
W.
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Kinderstudie II.
S. K ü h n e I