Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jahresringe liefen um sein Gebein. Seine Ohren waren mit langen
dünnen Haaren bewachsen, und die Brauen glichen verdorrten MooS-
büscheln. lim das Gesicht lappte ein breiter verschossener Schattenhut,
den er nur zum Schlafen herunternahm. Die Augen saßen wie zwei
Rundkohlen tief in den Höhlen und hatten einen glimmenden Blick.
Meist sah er durch die Leute, die ihm die Zeit boten, hindurch, als ob sie
gläsern wären. Immer hatte er etwas zum Kauen im Munde, eine
Wacholderbeere, eine Fichtennadel oder ein Kräuterblatt, und von Zeit
zu Zeit spuckte er den farbigen Sud aus. Es war, als ob seine großen
Zähne immerzu Arbeit forderten.

Seine behaarte ruhige Hand brachte gar wunderliche Dinge zuwege.
Wenn er sie einem Kranken auslegte, schwanden sofort die Schmerzen.
Berührte er ängstliches Vieh, dann horte es gleich mit Brüllen auf.
Singvögel, die vor den Leuten davonflogen, kamen auf seine Hand,
wenn er sie lockend ausstreckte. Wilde Eichhörnchen knusperten an dem
Futter, daS er ihnen vorhielt. Rehe, die vor den Bauern flüchteten,
beruhigten sich und verhassten, wenn sie den tannenbärtigen Mann er-
äugten. Ein junger Fuchs, den er aus dem Schlageisen eines Wilddiebs
befreit hatte, keckerte auf, wenn er bei der Brombeerhecke oder in der
Rodung die Wacholderwitterung des Mannes in den Windsang bekam,
lind der verwundete Busiard, den er einen Winter lang gepflegt hatte,
daß er zahm aus der Achsel hockte, stieß aus Wvlkenhöhen hernieder,
wenn er den verwitterten Schlapphut am einsamen Windwnrs oder aus
der Felsnase erspähte. Ansassen ließ sich der Vogel nicht mehr, aber
er bezeigte seine Gefühle, indem er den Boden mit den Fittichen schlug
und aus- und niederhupste.

Der Bussard, der ihn heute wieder angeslvgen hatte, lag noch in
seinem Sinn, als die Nachricht einlief, die den Neidel betraf. Ein Zug
der Befriedigung glitt über sein Gesicht, und sein Blick verriet etwas von
jenem Durst, der dem Iltis gegeben ist. Lange Zeit hatte er seine Ge-
danken durch den Brennpunkt des Willens gezielt, sie zum Glühen
gebracht und ausgeschickt, den Neidel zu suchen und ihm zu befehlen,
zurückzukehren und abzusühnen. Heftig hatte er sich dagegen gewehrt,
der Verräter, nun aber war er endlich gekommen!

Der Wurzelsepp prüfte den Wind und die Wetterlage und nickte. Es

war just der rechte Abend für seinen Plan. Er schloß die Mühle ab
und versteckte den großen Schlüssel in den Brennesseln neben der Brand-
mauer. Dann schob er eine Wacholderbeere zwischen die Zähne und
machte sich auf den Weg.

Ein spätes Pfluggespann kehrte heim. Aus dem Torfmoor braute
grünlich die Dämmerung. Links, bei den Erlen im Bruch, watete der
Bock durch den Nebel. Hinter dem Gebirge schwamm groß und rot-
backig der Mond heraus.

Bergwärts ging es auf schmalem Sennpsad durch tauschwere Gräser
und Farne. Der herbe Ruch des Almheus zog von den Hochwiesen
herunter. Ein Tannenzapfen fiel im Gehölze und rasselte durch das
Astwerk und ein Vogel zwitscherte aus dem Schlafe.

Langsam traten die Felsen heraus, kühner und schroffer. Der Wind
schnitt und jaulte auf einem leisen siedenden Ton im Latschengestrüpp.

Der Wurzelsepp war am Ziel. Er lehnte sich an die Felssichel in der
Flanke des Berges und brütete finster über die Wipfel der Halde. Ein
Waldkauz schattete über ihn hin, und unten in der Brüllschlucht heulte
der lihu. Eine Sternschnuppe zog krumm über den Himmel und glühte
lang, ehe sie erlosch. „Den Neidel! Den Neidel!" flüsterte der Wurzel-
sepp und klemmte die Daumen unter die Finger. Er trieb seinen Willen
bis ins Herz eines einzigen Gedankens hinein, daß dieser zu pulsen
begann und ein eigenes Leben führte, und er trug dem Gedanken auf,
den Hausierer aus dem Wirtshause zu holen und zur Stelle zu zwingen.
Mit jedem Pulsschlag preßte er neue Wellen dunkler Kräfte aus sich
heraus und lud sie mit dem Strome der Anziehung, so wie der Strom
des Eisens den Feilspan heranzieht.

In seiner Vorstellung bildete sich eine Glaskugel, wie sie der Schuster
des Dorfes in seiner Werkstatt hatte, und jetzt spiegelte sich in dieser
Glaskugel die Taferne, wo der Neidel auf der Bierbank saß und nach-
denklich in den Tvnkrug starrte. Er hatte die Hände auf der Ahorn-
platte gekreuzt und ballte sie schließlich zu Fäusten zusammen, wie einer,
dem eine Not aus den Nägeln brannte. Kleine Perlen wuchsen auf seiner
Stirn, und er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber das
Wort blieb eingeklemmt in den Zähnen stecken, als ob er ein Tuch vor

dem Munde hätte. Zweimal er-
hob er sich, und beide Male ließ
er sich wieder nieder. Es dauerte
eine Weile, bis er zum dritten
Mal aufstand. Da aber zahlte
er, huckte seinen Hausiererkram
aus und verließ ohne Gruß die
Kneipe. Der Wirt schüttelte den
Kops und tippte sich dann mit
dem Finger gegen die Schläfe.

Der Wurzelsepp hielt sich den
fetzigen Wetterbart und schwitzte
ohne linterlaß seinen Bann aus,
dessen Ringe durch die Mond-
nacht liefen, wie Kreisel auf einem
Wasserspiegel. lind jedesmal,
wenn ein Bannring den Neidel
traf und sich nicht mehr erweiterte,
riß der Wurzelsepp die auSgesäte
Macht wieder an sich zurück, so
daß der Neidel von einer ungreis-
baren Schlinge gezogen wurde
und genau in die Wege einbog,
die ihm der andere vorschrieb.

Eine große linruhe kam über
den Neidel. Je mehr er sich dem
Heimatdorf näherte, desto eifriger
schritt er aus. Er mußte wieder
an das Mareile denken, und seine
Stirn verdüsterte sich. Die Vor-
ahnung des außergewöhnlichen
Schicksals, dem er entgegenwan-
derte, dämmerte wie ein Zwielicht
Blasius Spreng durch seinen Sinn, während der


726
Register
Blasius Spreng: Arabisches Kaffeehaus
 
Annotationen