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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 40.1935, (Nr. 1-53)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6779#0753
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4 0. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 5 / N R. 4 8

H erbstschöne

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evevn

Spricht solcher Farbenrausch von Schläfrigkeit?
War je so üppig Schein und Sommerszeit?

Sich selber feiernd rundet sich das Jahr.

Auf gilben Stufen prangt ein Fruchtaltar.

Licht liest die Messe. Traube spendet Wein.

Auf goldnen Schuhen geht der Herbst landein.

Hoch in den Lüften reist ein Schwalbenzug;

Sind ihm die Gaben nimmer reich genug?
Erschreckte ihn das welke Laubgetön?

Der stumme Wandel, ernst und abendschön?

Leer sind die Nester. Stille träumt im Strauch.
Kalt kommt die Nacht und breitet weißen Hauch.

Du graue Zeit, die jedes Märchen kennt,

Der Köhler liebt dich, der den Meiler brennt,
Und auch der Wandrer, Jägersmann und Hirt!
Braun rauscht der Wald, der reiche Sagenwirt;
Am Lage raunt er altes Wissen aus,

Das Dunkel füllt mit Geisterspuk sein Haus.

0 Herbstgefunkel, das versprühend tropft,

Wie soll ich!s deuten? Daß dein Herz verklopft?
Ist all dein Schimmer neue Lebensflut?

Ein jäh Verlodern irrer Fieberglut?

Wie es auch sei, ich seh! nur Schönheit scheinen,
Wenn nachts auch Nebel auf die Erde weinen.

BASTIAN MÜLLER:

ÄRMER ALS PIERRE

Martin steigt die Straße hinan zum Plare de Chateau, ein Schmun-
zeln um den breiten, vollen Mund, ein Lachen für Madame Rosa, die
vor ihrer Tür das Sonntagshuhn rupft und eine Gesichtshaut hat, wie
ein Tabakbeutel aus Schweinsblase. Ein Lachen für alle; für den Hund
Cesar und den Feigenbaum bei der Kapelle, für den Himmel, der lang-
sam erstirbt. Da springt der Klang der Glocken von der Kapelle der
lieben Frau auf, klingt abendlich müde und bringt den Feierabend für
Jabot in den Weinbergen und Paul den Straßenfeger. Für Martin
bringt er die Stunde mit Babett.

Sie haben ein Treffen, punkt acht blhr auf dem Chateau.

Martin schlendert über den Platz und bläst seine Unruhe in die
warme Luft, lehnt sich an die Mauer und sieht unten, über die sich
schlängelnde Straße hinweg, die Fenster von BabettS Haus. Ge-
schlossen. Die Läden zu; noch immer, auS Furcht vor der Hitze des
Tages.

Schönes Mädchen die Babett, schwarze Augen und rotes Haar;
manchmal wie ein Kind, hungrig und verlangend, manchmal ein Pferd,
das keinen Reiter duldet. Schönes Mädchen, diese Babett.

Sie ist hier fremd. Sie ist irgendwo drüben in Memphis am
Mississippi geboren und reist seit irgendwann in Europa. Und er,
Martin, ist auch an einem Fluß geboren, in einer anderen Ecke dieser
Erde: da wo der Rhein sich breit und grün nach Holland wälzt.

Aber das ist gleich.

Wenn sie jetzt nur kommen wollte. Sie hat so eine Art zu lachen,
ihre Zähne zu zeigen und zu schweigen. Das ist ganz toll!

Hinter Martin schlurfen Schritte. Er zuckt zusammen, denkt: Aha!
Es ist Babett, die sich heranschleichen will ... Soll sie! — Er schaut
mit einem Lächeln in das Vencer Tal. Aber da wird es still und nie-
mand tippt ihn an die Schulter.

Er dreht den Kopf zur Seite und sieht den armen Pierre da stehen.

„Une Cigarette", sagt er. Martin reicht ihm sein Päckchen und zündet
ein Streichholz an.

„Danke", nickt Pierre und schlurft davon. Der Rauch seiner Zigarette
weht wie eine blaue Fahne hinter ihm her.

Ob Babett bald kommt?

Pierre steht hinten an der Mauer. Martin weiß, was nun kommt;
er hat es hundertmal gesehen, kann sich aber nicht entschließen, nicht
mehr hinzuschauen. Der Zigarettenstummel wippt unter PierreS Nase.
Wie er seine Schirmmütze wieder in die Stirn gezogen hat. Nun hält
er noch beide Hände beschattend an die Augen, stiert in das Dencer
Tal, mustert die klaren blmriste der fernen Meeralpen. Die Glut der
Zigarette kommt den Lippen immer näher, aber Pierre starrt gebannt
auf die Hügelzüge, die sich auf gleicher Höhe wieder Platz ins Hinter-
land zu den Bergen ziehen, Unten, zwischen den letzten Häusern und
dem Wald, liegen der Friedhof und daS Kriegerdenkmal.

Gerade in dem Augenblick, wo die Glut die Lippen berühren muß,
spuckt Pierre den Stummel auS. Er dreht sich gelassen um und schaut
ohne Ziel über den Platz.

Aber seine Hände!

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Max F. Bevern: Herbstschöne
Bastian Müller: Ärmer als Pierre
 
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