S t i 11 e b e n
Carl Schuch
„Babett!" sagt er und legt sie vorsichtig neben sich. Sie wendet den
Kopf ab, schaut zur Seite, wo das Nizzaer Leuchtfeuer blinkt. Über
dem Meer, das hinter der dritten Welle endet, versinkt eine orange
Glut. Aus dein Rauschen der Brandung kommt die Nacht. Fern sind
die Schreie spielender Kinder. Die Brise weht Spritzer einer Gischt
auf die Liegenden. Babett sagt kein Wort. Martin möchte wissen,
lvaS sie denkt.
Aber daS ist unergründlich. Zwischen ihnen wächst eine Wand aus'
GlaS. Es sieht daS Mädchen da liegen und sie ist so fremd wie die
Nacht, die eben geboren wird. So fremd wie daS Land, das hinter ihren
Rücken Häuser und Felder trägt. — Und den armen Pierre.
An den muß Martin jetzt denken. An den abendlichen Kampf deS
Irren; den Ruf: „Für das da, die Heimat."
Jeden Abend darf General Pierre für seine Heimat sterben.
Es ist ganz dunkel geworden, die Mondsichel liegt fast auf dem
Rücken und die Sterne sind klar. Babett sagt: „Ich möchte etwas
trinken" und leckt dabei lachend über den Flaum auf ihrer Oberlippe.
Sie stehen auf und gehen den Weg zurück, vorbei am Schilfwald und
dem Bach. Das jnnge Mondlicht überzieht die fernen Berge.
So wie Martin da geht, den Arm bei Babett eingehakt, zuckt ein
Erinnern um seinen breiten vollen Mund. Vor einer Stunde hatte er
noch ein Lachen, für Madame Rosa und den Feigenbaum, jetzt zuckt
um diese Lippen die Trauer: er denkt an den Fluß. An die grünen
Wiesen, die sich daran entlang ziehen bis weit nach Holland hinein. Er
steht sich vor einem dunklen Hause stehen, am hellen Mittag, durch die
krausen Zweige eines Birnbaumes sieht er einen gelben Zeppelin fliegen,
ganz nah dem Blau des Himmels. Seine Schwester Tilde und er
rennen auf die Straße und schreien: „Zeppelin! Zeppelin!"
Und daS ist alles nicht mehr. Verloren. Kein Birnbaum, kein dunkles
HauS ist da, wohin er zurückfahren könnte. Er lebt in einem schönen
Lande, daS fremd ist. Entsetzlich fremd.
Und neben ihm ist Babett.
Oben auf dem Platz läuft ihnen Cesar entgegen, der herrenlose
Artistenhund, schwanzwedelnd streift er um ihre Beine. Martin sagt
Babett „Gute Nacht". Er kann nicht mit ihr gehen, es würde nicht
schön.
Sie bleibt stehen, leer und verlassen; sie wird nachher in ein gemietetes
Haus gehen und allein und heimatlos sein. Martin spürt ihre Blicke
auf seinem Rücken. Er trottet an der Kapelle der „Lieben Frau" vor-
bei, Schritt für Schritt. Aus einer Hauswand prustet ein grailer Esel-
kopf in die laue Nacht, im Scheine einer Laterne leuchten Orangen
golden aus den Büschen und die Luft ist voll vom Duft fremder Gärten.
Cesar, der ergeben nebenher trabt, springt jetzt liebeheischend an Martin
hoch; da sagt er:
„Wir haben das nicht, das da, Heimat. .. Wir sind alle ärmer als
Pierre."
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Carl Schuch
„Babett!" sagt er und legt sie vorsichtig neben sich. Sie wendet den
Kopf ab, schaut zur Seite, wo das Nizzaer Leuchtfeuer blinkt. Über
dem Meer, das hinter der dritten Welle endet, versinkt eine orange
Glut. Aus dein Rauschen der Brandung kommt die Nacht. Fern sind
die Schreie spielender Kinder. Die Brise weht Spritzer einer Gischt
auf die Liegenden. Babett sagt kein Wort. Martin möchte wissen,
lvaS sie denkt.
Aber daS ist unergründlich. Zwischen ihnen wächst eine Wand aus'
GlaS. Es sieht daS Mädchen da liegen und sie ist so fremd wie die
Nacht, die eben geboren wird. So fremd wie daS Land, das hinter ihren
Rücken Häuser und Felder trägt. — Und den armen Pierre.
An den muß Martin jetzt denken. An den abendlichen Kampf deS
Irren; den Ruf: „Für das da, die Heimat."
Jeden Abend darf General Pierre für seine Heimat sterben.
Es ist ganz dunkel geworden, die Mondsichel liegt fast auf dem
Rücken und die Sterne sind klar. Babett sagt: „Ich möchte etwas
trinken" und leckt dabei lachend über den Flaum auf ihrer Oberlippe.
Sie stehen auf und gehen den Weg zurück, vorbei am Schilfwald und
dem Bach. Das jnnge Mondlicht überzieht die fernen Berge.
So wie Martin da geht, den Arm bei Babett eingehakt, zuckt ein
Erinnern um seinen breiten vollen Mund. Vor einer Stunde hatte er
noch ein Lachen, für Madame Rosa und den Feigenbaum, jetzt zuckt
um diese Lippen die Trauer: er denkt an den Fluß. An die grünen
Wiesen, die sich daran entlang ziehen bis weit nach Holland hinein. Er
steht sich vor einem dunklen Hause stehen, am hellen Mittag, durch die
krausen Zweige eines Birnbaumes sieht er einen gelben Zeppelin fliegen,
ganz nah dem Blau des Himmels. Seine Schwester Tilde und er
rennen auf die Straße und schreien: „Zeppelin! Zeppelin!"
Und daS ist alles nicht mehr. Verloren. Kein Birnbaum, kein dunkles
HauS ist da, wohin er zurückfahren könnte. Er lebt in einem schönen
Lande, daS fremd ist. Entsetzlich fremd.
Und neben ihm ist Babett.
Oben auf dem Platz läuft ihnen Cesar entgegen, der herrenlose
Artistenhund, schwanzwedelnd streift er um ihre Beine. Martin sagt
Babett „Gute Nacht". Er kann nicht mit ihr gehen, es würde nicht
schön.
Sie bleibt stehen, leer und verlassen; sie wird nachher in ein gemietetes
Haus gehen und allein und heimatlos sein. Martin spürt ihre Blicke
auf seinem Rücken. Er trottet an der Kapelle der „Lieben Frau" vor-
bei, Schritt für Schritt. Aus einer Hauswand prustet ein grailer Esel-
kopf in die laue Nacht, im Scheine einer Laterne leuchten Orangen
golden aus den Büschen und die Luft ist voll vom Duft fremder Gärten.
Cesar, der ergeben nebenher trabt, springt jetzt liebeheischend an Martin
hoch; da sagt er:
„Wir haben das nicht, das da, Heimat. .. Wir sind alle ärmer als
Pierre."
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