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Das Schiff

Hugo Troendle

Socken liegen in der obersten rechten Lade. Ich
schreibe gleich morgen. Deine Käthe."

Sechsmal las Rolf den Zettel, wie vor den
Kopf geschlagen. Über der Sofalehne hing,
traurig zusammengeschrumpft, der rote Schlaf-
rock, eine angebissene Buttersemmel lag neben
der halbgeleerten Tasse kalten Kaffees, die
Zeitung auf der Erde, bind jeder ©egen|fan£)
schien unhörbar um den Verlust zu klagen; die
Seele des Haushalts war entflohen. In den
fünf Jahren ihrer Ehe waren sie keinen einzigen
Tag getrennt gewesen. Ein sonderbares Gefühl
der Verlassenheit im Herzen, begann Rolf ein
wenig Ordnung zu machen. Als er ihre Kleider
berührte, überlief es ihn seltsam; nie hatte er
daran gedacht, wie das Leben ohne Käthe sein
könne. Es war natürlich nur für ein paar
Tage, aber ihm war, als habe die Hand des
Todes selber warnend an ihn gerührt.

LustloS aß er ein paar Bissen und warf >ich
aufs Sofa. Draußen brauste die Großstadt
und lockte mit Leuchtreklamen. Er war frei,
unabhängig wie ein Junggeselle, den Abend
lustig zu verbringen. Kein vorwurfsvoller Blick
empfing ihn bei der Heimkehr. Aber er dachte
keine Sekunde daran auszugehen. Käthe fehlte
ihm, das zärtliche Gefühl ihrer Nähe, das von
der ewigen Gleichförmigkeit des Alltags ein-
gelullt war.

Von Johann Diedrich Warnken

Wer die Menschen kennt hütet sich, sie
kennenzulernen.

*

Den Menschen gestaltet weniger daS was er
gelernt hat, als das was er nicht zu
lernen braucht e.

Du mußt nicht alles glauben, was du
sagst!

-i-

Die meisten Menschen leben nicht, sie
werden gelebt.

*

Wer stolz darauf ist, daS zu sein, wofür
ihn die Leute halten, ist meist das gar
nicht, wofür ihn die Leute halten.

-r-

Menschen, aus denen „nichts geworden ist"
sind oft über daS hinaus, was man „wer-
den" kann.

*

Es gibt Leute, die sehr viel sprechen und
doch nie etwas sagen.

*

Je m e h r man wird, um so klarer wird
einem, wie wenig man i s t.

„Bin ein schlechter Kerl", sagte er sich,
„Käthe so zu behandeln! Jeden Abend Skat
spielen, spät heimkommen, — die Arme, wie
sie sich langweilen muß! Aber das wird anders
werden!"

Behutsam hob er eine blaue Bluse vom
Stuhl. Ein leiser Veilchenduft entströmte der
weichen Seide, in der noch ein zarter Abdruck
ihrer Formen bewahrt schien, bind Rolf fühlte,
wie seine Augen ein ganz klein wenig feucht
wurden.

Ein Schlüssel knarrte im Schloß. In der
Tür stand, ein Köfferchen in der Hand, Käthe.
Rolf starrte sie wie verblödet wortlos an.

„Ach, ich bin froh, daß ich wieder daheim
bin!" pustete sie. „Mutter fehlt gar nichts,
bloß ein kleiner Schwindelanfall. Ich fuhr
gleich mit dem nächsten Zug heim, bind nun
muß ich rasch Kaffee trinken!"

Käthe war da! binhörbar schien irgendwo
ein Räderwerk einzuschnappen und sich gleich-
mäßig wieder zu drehen.

Rolf blickte auf die bihr. Es war ein
Viertel vor neun. Er langte nach seinem Hut
und schlängelte sich zur Tür.

„Ja, wohin gehst du denn schon wieder?"
fragte seine Frau verdrossen.

„Bloß ein wenig hinüber zu SponholhenS,
eine Partie Skat spielen!" anwortete Rolf.

W. P.

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Hugo Troendle: Das Schiff
 
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