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GISI GRÖBER:

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Don den mit Seidentapeten bespannten Wänden des blauen Salons
im Schönbrunner Schloß lächeln Rokokodamen. Alles in diesem Raum
ist von der Sonne bestrahlt, alles duftig und heiter. Nur eines ist finster:
eine schwarze Kutte. Und eine rauhe knochige Stirne. Pater Paulus
hockt in einer Ecke.

Vor ihm steht ein kleiner Schachtisch, in Perlmutter -eingelegt, mit
Elfenbeinfiguren. Ihm gegenüber sitzt ein Knabe mit mädchenhaftem
Gesicht, in blauem Seidenrock mit Spitzenkrause: der fünfzehnjährige
Erzherzog Josef. Kirschrot sind seine Lippen, dick und üppig, der
Familienmund der Habsburger. Ein Zug an ihm ist aber fremdartig:
er ist hartnäckig, trotzig, energisch. Der Glanz der kindlich reinen,
unschuldigen Augen verwischt jedoch gleichsam diesen fremdartigen Zug.

Der Erzieher spielt mit seinem Zögb'ng Schach. Der fromme Diener
der die Seelen beherrschenden Kirche mit dein fünfzehnjährigen Thron-
folger, auf den ein purpurner kaiserlich-königlicher Thron und die treue
Huldigung von vierzig Millionen Untertanen wartet. Der Jesuitenpater
bemüht sich schon seit vier Wochen, den Erzherzog in die Geheimnisse der
Schachwissenschaft einzuweihen.

„Das Schachspiel schärft den Verstand, Hoheit", spricht der Pater
und schiebt langsam einen schwarzen Bauer vor. „Ich muß aber Hoheit
bitten, jedem einzelnen Zug vollste Aufmerksamkeit §11 widmen."

„Ich werde mich bestreben", erwidert der Jüngling, aber sein Zug
mit dem Springer verrät seine Unachtsamkeit.

Die Geduld des Paters ist unerschöpflich. Er stellt mit einem ver-
söhnlichen Lächeln die falsch gezogene weiße Figur wieder auf ihren Platz
zurück und sagt fast bittend:

„Schon ein einziger Unrechter Zug kann einen um den Sieg bringen.
Wenn Hoheit gewinnen wollen, dürfen Hoheit niemals einen unüber-
legten Zug machen."

„Soll ich mit dem Läufer Vorgehen?"

„Dann bringen Hoheit den Springer in Gefahr."

„Freilich, jetzt hätte ich beinahe einen ungeschickten Zug gemacht."

„Hoheit, bitte, nichts ohne bestimmten Plan zu machen. Jede Geste
muß ihren Grund und ihren Zweck haben."

„Ich werde den Springer abtaufchen."

„Sehr richtig. Hoheit gewinnen dadurch einen Bauer. Hoheit dürfen
immer nur dann ein Opfer bringen, wenn Hoheit daraus ein Nutzen
winkt", sagt der Pater, die sanften Worte gleich Gifttropfen aus ein-em
Arzneifläschchen fallen lassend.

Der Erzherzog bemerkt, daß er einen Turm schlagen könnte. Er greift
danach. Der Pater erfaßt seine voreilige Hand.

„Hoheit, wenn Sie meinen Turm schlagen, bleibt Ihre Königin unge-
schützt.

Der Jüngling schämt sich, er wird verlegen und schiebt ganz unnötiger-
weise einen Bauern vor. Der Pater schlägt den Bauer.

„Wenn Hoheit auf Ihre Bauern nicht besser aufpassen, berauben
Sie sich der wichtigsten Figuren der Verteidigung. Man muß mit den
Bauern immer behutsam umgehen. Ein kluger Kopf kann sie sehr gut
verwenden."

Das Kind starrte ratlos auf daö weiß- und schwarzgewürfelte
Schlachtfeld. Pater Paulus eilt ihm zu Hilfe.

„Ich habe Hoheit gelehrt, wie man mit dem Springer den Gegner
überlisten kann. Kennt der Partner die List nicht, muß er verlieren."

„Wenn er sie aber doch kennt?"

„Dann muß man eben eine andere List anwenden, präzise und kalt-
blütig."

Auf dein Schachbrett ist die Situation nun die, daß die weiße Königin
mit einem schlauen Seitenzug den Spieler der schwarzen Figuren täuschen
könnte. Der Erzherzog bemerkt die sich bietende Gelegenheit nicht. Dem
Blick des Paters entgeht aber nichts.

„Hoheit hätten mich jetzt überlisten können."

„Überlisten?"

„Warum denn nicht? Man muß den Gegner immer mit verschiedenen
Finessen irreführen, damit er blind in die Wolfsgrube stürzt."

Der Thronfolger inachte wieder einige voreilige Züge, klm so vor-
sichtiger und langsamer aber ist der Pater in seinem Angriff.

„Hoho!" ruft der Jüngling aus und hascht nach dem schwarzen
Springer, mit welchem der Pater einen regelwidrigen Zug gemacht hat.
Der Jesuit lächelt anerkennend:

„Ich war neugierig, ob Hoheit bemerken werden, wenn ich falsch
spiele. Es freut mich, daß es Ihrer hohen Aufmerksamkeit nicht ent-
gangen ist."

„Betrügen darf man aber nicht!"

„Nein. Höchstens so, daß man eö nicht bemerkt."

Der Erzherzog sinnt über diese Bemerkung nach und langt zerstreut
nach dem Turm.

„Aber, Hoheit", macht ihn der andere aufmerksam, „Sie lassen doch
den König ungedeckt, das ist das Gefährlichste. Alles trachtet nach dem
Leben des Königs. Manchmal sogar auch seine besten Freunde. Wenn
der König fällt, ist daS Spiel zu Ende."
en jungen
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Ludwig Wenban: Krailing bei München
 
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