Manöver aussührt und einem plötzlich in den Nucken kommt. Sehen Sie,
Hoheit, jetzt habe ich mich gegen Ihren Angriff scheinbar nicht gewehrt,
jedoch mit dem Springer bin ich hinter Ihre Schlachtlinie vorgestoßen.
Geben Sie acht, sonst ist Hoheit bald schachmatt."
Joses zieht trotzig den Mund zusammen. „Ich lasse mich nicht
schlagen. Lieber tausche ich die Königin ab — ich tausche unbarmherzig
alle Figuren ab, aber ich gebe nicht nach!"
Der Pater nickt anerkennend. „Das war schön", sagt er über einen
Zug mit dem Springer.
Den Jüngling ermuntert das Lob. Er sieht, daß die schwarze Königin
schon sehr nahe an seinen Turm herangewagt hat, aber er vertraut
seinem Glück. Vielleicht übersieht es der Pater.
Der Pater übersieht es tatsächlich. Aber absichtlich. Er will keinen
leichten Erfolg erringen, ist doch das Spiel ohnehin für ihn gewonnen.
Er läßt den Turm aus der Mausefalle heraus.
Die kleine Hoheit lacht auf: „Sie haben einen Fehlzug gemacht, lieber
Pater."
Der Priester schüttelt den Kops: „Siehe, siehe, was eine kleine Un-
achtsamkeit nicht alles nach sich zieht. Ich war schon nahe am Ziel und
nun ist durch einen einzigen Zug meine ganze bisherige Mühe vergebens
gewesen. In der Politik und auch im Kriegführen begehen wir oft diesen
Fehler. Man darf niemals übermütig werden, Hoheit. Die guten und
edlen Menschen werden von hunderterlei Intrigen, Trug, Verrat und
Fallstricken bedroht. Der Gegner hat immer den Teufel zum Verbün-
deten. Unser größter Feind ist aber unsere — eigene Unachtsamkeit.
Wir glauben oft dem trügerischen Schein. Noch öfter den Schmeichlern
und falschen Beratern."
Der Knabe achtet kaum aus die tiefsinnigen Worte des Jesuiten. Er
will um jeden Preis gewinnen. Er riskiert den Austausch der Königin,
bemerkt aber nicht, daß er bei diesem Tausch einen Läufer verliert. Er
wird betroffen, da ist eS schon zu spät. Es gibt keine Entschuldigung!
Wieder wird der Pater die Partie gewinnen. Wie schlau, wie umsichtig
er doch vorzugehen versteht!
„Glauben Sie mir, Hoheit", spricht wieder Pater Paulus, „das ganze
Leben ist auch nichts anderes als ein Schachspiel. Wenn Sie dereinst den
glorreichen Thron Ihrer Ahnen besteigen, auch dann müssen Sie ewig
aus das Placieren der Figuren achten. Wenn Sie keinen scharfen Blick
haben, wenn Sie nicht vorsichtig und schlau Vorgehen werden, können
Sie das Spiel leicht verlieren. Lernen Sie es, Hoheit, auch beim
Regieren Schach zu spielen, damit Sie keine unerwarteten Über-
raschungen erleben."
„Sagen Sie, Pater Paulus, Sie verlieren niemals die Partie?"
Der Priester schrumpft in seiner Bescheidenheit und Untertänigkeit
ganz zusammen indem er erwidert: „D doch, Hoheit, ich verliere sehr oft.
Irren ist menschlich. Wenn ich aber auch eine Niederlage erleide, mein
Vertrauen und meinen Glauben an die Gerechtigkeit des Herrn verliere
ich niemals. Wir müssen jede Versuchung mit friedlicher Demut er-
tragen. Die Wege der göttlichen Vorsehung sind unerforschlich..."
Während der Priester also spricht, betrachtet das Kind die neben dem
Schachbrett liegenden zwei Hände. Die eine Hand gehört ihm, die
andere seinem Erzieher. Die eine ist eine kleine, weiche, zarte, weiße
Hand — die andere knochig, hart, gewalttätig und behaart. Seine Hand
liegt leicht, mit geöffneten Fingern aus der Goldplatte des Tisches —
die des Paters geballt, gleichsam sprungbereit.
Die seingeschnitzten Elfenbeinfiguren stehen unbeweglich aus dem
Schachbrett. Josefs Blick bleibt auf ihnen haften: „Gibt es wirklich
keinen Ausweg, keine Hilfe? Muß ich zu meiner Schande auch dieje
Partie verlieren? Ihre Majestät, die Mama, wird wieder unzufrieden
mit mir sein, bind die Geschwister werden mich auslachen. Es ist wirk-
lich ärgerlich, daß ich den Pater Paulus nicht ein einziges Mal matt-
kriegen kann, bind welch eine Genugtuung wäre doch das dafür, daß
cr mich so oft und so salbungsvoll schulmeistert. Auch gestern bat mir
der Pater ein Buch weggenommen und mich bei meiner durchlauchtigsten
Mama verschwärzt, daß ich wieder Voltaire und Diderot gelesen habe.
Warum verbietet mir das der Pater? Ich lerne doch so viele interessante
Dinge daraus!"
Auf die Stimme des Paters schreckt er auf.
„Wollen wir die Partie fortsetzen, Hoheit?"
„Natürlich setzen wir sie fort", erwidert Joses. „Ich lasse mich nicht
schlagen!"
Pater Paulus lächelt gütig: „Drei Züge und ich habe gewonnen."
Die Lippen des Erzherzogs zucken trotzig. Sein Blick starrt forschend
auf die Stellung der Figuren. Er will nicht verlieren. „Ich muß etwas
tun, damit der Pater die Partie nicht gewinnt. Er schiinpft immer auf
Voltaire. Aber der Pater ist nicht im Recht. Voltaire ist: Verstand
und Gerechtigkeit! Wer Voltaire haßt, der haßt den Verstand und die
Gerechtigkeit, Und Verstand und Gerechtigkeit müssen doch siegen!"
Bei diesem Gedanken zuckt die Hand des jungen Thronfolgers heftig,
er stößt das Schachbrett um, daß die Figuren durcheinanderpurzeln.
„D, Hoheit!" ruft der Pater aus.
Erzherzog Josef wirft den Kops zurück und sagt: „Sehen Sie, Pater,
das Spiel kann auch ein solches Ende nehmen. Eine Handbewegung,
ein Erdbeben — und die Türme und Pferde, die Könige, Königinnen
wie auch die ganze, sorgfältig erdachte, präzise Aufstellung der Truppen
stürzen zusammen. Alle schlaue Taktik hat nicht viel Wert, wenn sich
eine Hand, eine Faust, die Revolution rührt — und das ganze Schach-
brett stürzt über den Haufen ... ."
Pater Paulus und der junge Erzherzog — der spätere Kaiser
Josef n. — haben tatsächlich den alles niederreißenden Sturm der
großen Revolution von 178g noch erlebt, bind Josef II. beherzigte die
Lehren seines jesuitischen Erziehers: er ließ die Klöster sperren und wies
die Jesuitenpatres aus Österreich.
Kein H e x e n m e i s te r
In einem kleinen französischen Städtchen wurde ein Mann, dem man
nachsagte, er treibe Zauberkünste, vor den Maire besohlen. „Ihr steht
mit dem Teufel im Bunde!" fuhr die Obrigkeit ihn an. „Alle Welt jagt,
Ihr wäret ein Hexenmeister!" — „Warum sich um das dumme Gerede
der Menschen kümmern!" erwiderte der Mann gelassen. „Von Euch,
Herr Maire, spricht man auch allerlei." — „Don mir?" g ng die Obrig-
keit hoch. „Was sagt man denn?" — „Man sagt, Ihr wäret kein
Hexenmeister."
Junger Abessinier 1 Vierthaler
760
Hoheit, jetzt habe ich mich gegen Ihren Angriff scheinbar nicht gewehrt,
jedoch mit dem Springer bin ich hinter Ihre Schlachtlinie vorgestoßen.
Geben Sie acht, sonst ist Hoheit bald schachmatt."
Joses zieht trotzig den Mund zusammen. „Ich lasse mich nicht
schlagen. Lieber tausche ich die Königin ab — ich tausche unbarmherzig
alle Figuren ab, aber ich gebe nicht nach!"
Der Pater nickt anerkennend. „Das war schön", sagt er über einen
Zug mit dem Springer.
Den Jüngling ermuntert das Lob. Er sieht, daß die schwarze Königin
schon sehr nahe an seinen Turm herangewagt hat, aber er vertraut
seinem Glück. Vielleicht übersieht es der Pater.
Der Pater übersieht es tatsächlich. Aber absichtlich. Er will keinen
leichten Erfolg erringen, ist doch das Spiel ohnehin für ihn gewonnen.
Er läßt den Turm aus der Mausefalle heraus.
Die kleine Hoheit lacht auf: „Sie haben einen Fehlzug gemacht, lieber
Pater."
Der Priester schüttelt den Kops: „Siehe, siehe, was eine kleine Un-
achtsamkeit nicht alles nach sich zieht. Ich war schon nahe am Ziel und
nun ist durch einen einzigen Zug meine ganze bisherige Mühe vergebens
gewesen. In der Politik und auch im Kriegführen begehen wir oft diesen
Fehler. Man darf niemals übermütig werden, Hoheit. Die guten und
edlen Menschen werden von hunderterlei Intrigen, Trug, Verrat und
Fallstricken bedroht. Der Gegner hat immer den Teufel zum Verbün-
deten. Unser größter Feind ist aber unsere — eigene Unachtsamkeit.
Wir glauben oft dem trügerischen Schein. Noch öfter den Schmeichlern
und falschen Beratern."
Der Knabe achtet kaum aus die tiefsinnigen Worte des Jesuiten. Er
will um jeden Preis gewinnen. Er riskiert den Austausch der Königin,
bemerkt aber nicht, daß er bei diesem Tausch einen Läufer verliert. Er
wird betroffen, da ist eS schon zu spät. Es gibt keine Entschuldigung!
Wieder wird der Pater die Partie gewinnen. Wie schlau, wie umsichtig
er doch vorzugehen versteht!
„Glauben Sie mir, Hoheit", spricht wieder Pater Paulus, „das ganze
Leben ist auch nichts anderes als ein Schachspiel. Wenn Sie dereinst den
glorreichen Thron Ihrer Ahnen besteigen, auch dann müssen Sie ewig
aus das Placieren der Figuren achten. Wenn Sie keinen scharfen Blick
haben, wenn Sie nicht vorsichtig und schlau Vorgehen werden, können
Sie das Spiel leicht verlieren. Lernen Sie es, Hoheit, auch beim
Regieren Schach zu spielen, damit Sie keine unerwarteten Über-
raschungen erleben."
„Sagen Sie, Pater Paulus, Sie verlieren niemals die Partie?"
Der Priester schrumpft in seiner Bescheidenheit und Untertänigkeit
ganz zusammen indem er erwidert: „D doch, Hoheit, ich verliere sehr oft.
Irren ist menschlich. Wenn ich aber auch eine Niederlage erleide, mein
Vertrauen und meinen Glauben an die Gerechtigkeit des Herrn verliere
ich niemals. Wir müssen jede Versuchung mit friedlicher Demut er-
tragen. Die Wege der göttlichen Vorsehung sind unerforschlich..."
Während der Priester also spricht, betrachtet das Kind die neben dem
Schachbrett liegenden zwei Hände. Die eine Hand gehört ihm, die
andere seinem Erzieher. Die eine ist eine kleine, weiche, zarte, weiße
Hand — die andere knochig, hart, gewalttätig und behaart. Seine Hand
liegt leicht, mit geöffneten Fingern aus der Goldplatte des Tisches —
die des Paters geballt, gleichsam sprungbereit.
Die seingeschnitzten Elfenbeinfiguren stehen unbeweglich aus dem
Schachbrett. Josefs Blick bleibt auf ihnen haften: „Gibt es wirklich
keinen Ausweg, keine Hilfe? Muß ich zu meiner Schande auch dieje
Partie verlieren? Ihre Majestät, die Mama, wird wieder unzufrieden
mit mir sein, bind die Geschwister werden mich auslachen. Es ist wirk-
lich ärgerlich, daß ich den Pater Paulus nicht ein einziges Mal matt-
kriegen kann, bind welch eine Genugtuung wäre doch das dafür, daß
cr mich so oft und so salbungsvoll schulmeistert. Auch gestern bat mir
der Pater ein Buch weggenommen und mich bei meiner durchlauchtigsten
Mama verschwärzt, daß ich wieder Voltaire und Diderot gelesen habe.
Warum verbietet mir das der Pater? Ich lerne doch so viele interessante
Dinge daraus!"
Auf die Stimme des Paters schreckt er auf.
„Wollen wir die Partie fortsetzen, Hoheit?"
„Natürlich setzen wir sie fort", erwidert Joses. „Ich lasse mich nicht
schlagen!"
Pater Paulus lächelt gütig: „Drei Züge und ich habe gewonnen."
Die Lippen des Erzherzogs zucken trotzig. Sein Blick starrt forschend
auf die Stellung der Figuren. Er will nicht verlieren. „Ich muß etwas
tun, damit der Pater die Partie nicht gewinnt. Er schiinpft immer auf
Voltaire. Aber der Pater ist nicht im Recht. Voltaire ist: Verstand
und Gerechtigkeit! Wer Voltaire haßt, der haßt den Verstand und die
Gerechtigkeit, Und Verstand und Gerechtigkeit müssen doch siegen!"
Bei diesem Gedanken zuckt die Hand des jungen Thronfolgers heftig,
er stößt das Schachbrett um, daß die Figuren durcheinanderpurzeln.
„D, Hoheit!" ruft der Pater aus.
Erzherzog Josef wirft den Kops zurück und sagt: „Sehen Sie, Pater,
das Spiel kann auch ein solches Ende nehmen. Eine Handbewegung,
ein Erdbeben — und die Türme und Pferde, die Könige, Königinnen
wie auch die ganze, sorgfältig erdachte, präzise Aufstellung der Truppen
stürzen zusammen. Alle schlaue Taktik hat nicht viel Wert, wenn sich
eine Hand, eine Faust, die Revolution rührt — und das ganze Schach-
brett stürzt über den Haufen ... ."
Pater Paulus und der junge Erzherzog — der spätere Kaiser
Josef n. — haben tatsächlich den alles niederreißenden Sturm der
großen Revolution von 178g noch erlebt, bind Josef II. beherzigte die
Lehren seines jesuitischen Erziehers: er ließ die Klöster sperren und wies
die Jesuitenpatres aus Österreich.
Kein H e x e n m e i s te r
In einem kleinen französischen Städtchen wurde ein Mann, dem man
nachsagte, er treibe Zauberkünste, vor den Maire besohlen. „Ihr steht
mit dem Teufel im Bunde!" fuhr die Obrigkeit ihn an. „Alle Welt jagt,
Ihr wäret ein Hexenmeister!" — „Warum sich um das dumme Gerede
der Menschen kümmern!" erwiderte der Mann gelassen. „Von Euch,
Herr Maire, spricht man auch allerlei." — „Don mir?" g ng die Obrig-
keit hoch. „Was sagt man denn?" — „Man sagt, Ihr wäret kein
Hexenmeister."
Junger Abessinier 1 Vierthaler
760