M. CHR. WIELAND
Kein Dichter sattelt mehr den „Hippogrypher?,
Kein Hüon reitet singend in die Schlacht,
Auch Backenzahn und Barthaar des Kaliphen
Verloren längst die alte Zauberkraft.
Doch keine Macht der Erde kann verbriefen,
Daß in Abdera man nicht Streiche macht,
Falls sie den Esel in den Rat beriefen
Nicht Demokrit auf seinem Dache lacht!
1HI !I §T© IR II § C IUI IE
Goethe im Alltag
Der junge Goethe war, nach seiner Heimkehr von Leipzig ins elter-
liche Haus, wo er eine schwere Krankheit überstanden hatte, nach Straß-
burg gegangen, um dort seine Studien fortzusehen. Straßburg — die
an geschichtlichen Erinnerungen und altertümlichen Bauwerken überreiche
Stadt — übte auf das für alles Schöne leicht empfängliche Gemüt des
jungen Studenten einen großen Zauber aus. Die zum Himmel strebende
Gotik deS herrlichen Münsters hatte es ihm besonders angetan. —
Einmal stand er vor dem Hauptportal, in Bewunderung versunken,
da, als ein Karrenzieher, lustig sein Liedchen pfeifend, an ihm vorüber-
fuhr. Zürnend drehte sich Goethe um und gab dem verblüfften jungen
Kerl eine Ohrfeige mit den Worten: „Willst du staunen, Flegel?" und
wies mit der Hand zum Münster empor.
Der Minister
So großzügig sonst Goethe lvar, so hielt er doch streng auf Anstand
und Etikette. Am meisten ärgerte er sich über tölpelhafte und an-
maßende junge Leute.
Es war bei einer amtlichen Sitzung. Da poltert ein Referendar mit
klirrenden Sporen herein.
„Herr Referendar", sagt Goethe, der Minister, in liebenswürdigstem
Ton, „reiten Sie doch einmal gefälligst in die Registratur lind laßen
sich die Akten in Sachen Maier geben!"
Seitdem soll Goethe nie mehr über schlechtes und unvorschriftsmäßiges
Betragen junger Beamter geklagt haben.
Georg Schwarz
MroiAXTIRIUIETN
Man muß sich zu helfen wissen!
Der Kardinal Nikolaus von Cufa beging 1432 die blnvor-
sichtigkeit, in einer Schrift für das Jahr 1734 eine neue Sünd f l u t vor-
herzusagen und brachte, weil diese Prophezeiung nicht in Erfüllung ging,
die Kirche in eine peinliche Lage. Doch sie fand einen Ausweg zu seiner
Ehrenrettung. Sie versicherte in einer neuen Schrift den Gläubigen,
diese Sündflut sei nicht aus Mangel an Sünden, sondern aus
Mangel an Wasser linterblieben.
Aus Leipzig
Ich habe auf der Durchreise in Leipzig Zeit, in Ruhe eine Tasse
Kaffee zu trinken. Ich gehe also in eins der großen Cafes in der Nähe
des Bahnhofs. Da eS trotz der frühen Stunde sehr gut besucht ist, lassen
sich an meinem Tisch kurz hintereinander noch ein junges verliebtes
Pärchen und ein älterer Herr etwa Ende der Fünfzig nieder. Das
Pärchen tut seinen Gefühlen keinen besonderen Zwang an. Ich ziehe
mich diskret hinter eine Zeitung zurück, der alte Herr scheinbar auch,
aber ich merke bald, daß für ihn das vorgehaltene Lesezirkelheft nur ein
Vorwand ist, um die tastenden Fortschritte der jungen Liebe besser
beobachten zu können. Er rückt immer unruhiger hin und her, wirft mir
strahlende Blicke über seinen goldenen Kneifer zu, packt mich schließlich
überwältigt am Ärmel und flüstert mir heiser inS Ohr: „DaS mißen
Se doch selwr sahchn: 's gibd doch geene scheenre Zeid als wie de
Bubbrdäd!" " E.K.
Kein Dichter sattelt mehr den „Hippogrypher?,
Kein Hüon reitet singend in die Schlacht,
Auch Backenzahn und Barthaar des Kaliphen
Verloren längst die alte Zauberkraft.
Doch keine Macht der Erde kann verbriefen,
Daß in Abdera man nicht Streiche macht,
Falls sie den Esel in den Rat beriefen
Nicht Demokrit auf seinem Dache lacht!
1HI !I §T© IR II § C IUI IE
Goethe im Alltag
Der junge Goethe war, nach seiner Heimkehr von Leipzig ins elter-
liche Haus, wo er eine schwere Krankheit überstanden hatte, nach Straß-
burg gegangen, um dort seine Studien fortzusehen. Straßburg — die
an geschichtlichen Erinnerungen und altertümlichen Bauwerken überreiche
Stadt — übte auf das für alles Schöne leicht empfängliche Gemüt des
jungen Studenten einen großen Zauber aus. Die zum Himmel strebende
Gotik deS herrlichen Münsters hatte es ihm besonders angetan. —
Einmal stand er vor dem Hauptportal, in Bewunderung versunken,
da, als ein Karrenzieher, lustig sein Liedchen pfeifend, an ihm vorüber-
fuhr. Zürnend drehte sich Goethe um und gab dem verblüfften jungen
Kerl eine Ohrfeige mit den Worten: „Willst du staunen, Flegel?" und
wies mit der Hand zum Münster empor.
Der Minister
So großzügig sonst Goethe lvar, so hielt er doch streng auf Anstand
und Etikette. Am meisten ärgerte er sich über tölpelhafte und an-
maßende junge Leute.
Es war bei einer amtlichen Sitzung. Da poltert ein Referendar mit
klirrenden Sporen herein.
„Herr Referendar", sagt Goethe, der Minister, in liebenswürdigstem
Ton, „reiten Sie doch einmal gefälligst in die Registratur lind laßen
sich die Akten in Sachen Maier geben!"
Seitdem soll Goethe nie mehr über schlechtes und unvorschriftsmäßiges
Betragen junger Beamter geklagt haben.
Georg Schwarz
MroiAXTIRIUIETN
Man muß sich zu helfen wissen!
Der Kardinal Nikolaus von Cufa beging 1432 die blnvor-
sichtigkeit, in einer Schrift für das Jahr 1734 eine neue Sünd f l u t vor-
herzusagen und brachte, weil diese Prophezeiung nicht in Erfüllung ging,
die Kirche in eine peinliche Lage. Doch sie fand einen Ausweg zu seiner
Ehrenrettung. Sie versicherte in einer neuen Schrift den Gläubigen,
diese Sündflut sei nicht aus Mangel an Sünden, sondern aus
Mangel an Wasser linterblieben.
Aus Leipzig
Ich habe auf der Durchreise in Leipzig Zeit, in Ruhe eine Tasse
Kaffee zu trinken. Ich gehe also in eins der großen Cafes in der Nähe
des Bahnhofs. Da eS trotz der frühen Stunde sehr gut besucht ist, lassen
sich an meinem Tisch kurz hintereinander noch ein junges verliebtes
Pärchen und ein älterer Herr etwa Ende der Fünfzig nieder. Das
Pärchen tut seinen Gefühlen keinen besonderen Zwang an. Ich ziehe
mich diskret hinter eine Zeitung zurück, der alte Herr scheinbar auch,
aber ich merke bald, daß für ihn das vorgehaltene Lesezirkelheft nur ein
Vorwand ist, um die tastenden Fortschritte der jungen Liebe besser
beobachten zu können. Er rückt immer unruhiger hin und her, wirft mir
strahlende Blicke über seinen goldenen Kneifer zu, packt mich schließlich
überwältigt am Ärmel und flüstert mir heiser inS Ohr: „DaS mißen
Se doch selwr sahchn: 's gibd doch geene scheenre Zeid als wie de
Bubbrdäd!" " E.K.