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Richard schlecht flebf, iverdcn Sie ivohl an
seiner stotternden Aussprache deö Wortes ?luele
erkannt haben. Richard wird übermorgen den
Gashahn aufdrehen, um seinem Leben ein Ende
zu machen."

„Das ist allerdings betrüblich", meinte der
Herr über vier Etagen gleichgültig.

„Für Richard nicht so sehr. Denn Richard
hat nichts zu verlieren. Aber sür Sie, lv-erter
Herr! Sie können sich wohl keine Darstellung
machen, was Richards Entschluß für Sie
bedeutet? Vor allem haben Sie dann die Woh-
nung auf dem Hals. Und wer weiß, wann sich
wieder ein Mieter findet? In eine klnglücks-
wohnung, die einen Selbstmord zu verzeichnen
hatte, zieht niemand gern. Es gibt abergläubische
Leute, mein Herr! Sie selbst gehören wahr-
scheinlich dazu?"

„Und ob!" stöhnte der Hausherr auf.

„Dann sind Sie ja im Bilde. Aber das; Sie
dann die Wohnung unter Umständen zwei bis
drei Jahre leer stehen haben, ist noch das
kleinere Übel. Das ist nur ein Verlust von —
sagen wir — vier- bis sechstausend Schilling.
An das größere Übel haben Sie wahrscheinlich
noch gar nicht gedacht! Bitte, stellen Sie sich
einmal vor: Durch achtundvierzig oder zweiund-
sechzig Stunden strömt GaS aus. Niemand
kümmert sich um den armen Richard. Endlich,
eines Abends, fällt es einem Freund ein, nach
ihm zu sehen. Er betritt die Wohnung — eine
brennende Zigarette im Mund. Ein Krach —
ein Knall ..

„Hören Sie auf! Um alles in der Welt!
Das wäre ja eine Katastrophe!"

„Stimmt, mein Herr! Das wäre eine Kata-
strophe. Eine Explosion ist immer eine Kata-
strophe. Unter Umständen kann das ganze
HauS in die Luft fliegen, klnd Sie haben einen
Schaden von — na, ich will nicht übertreiben
— aber eine halbe Million Schilling werden's
schon sein."

„Mehr! Mehr!" stöhnte der Hausherr.

„Sehen Sie! Wenn Eie sich aber jetzt ent-
schließen könnten, meinem Freund Richard ein
kleines Darlehen von fünfhundert Schilling zu
geben, muß er nicht den Gashahn aufdrehen,
Sie haben keine Unglückswohnung und keine
Explosion..."

Der Hausherr kramte wütend fünfhundert
Schilling hervor und übergab sie Oskar, der
jetzt schon mit einer netten kleinen Summe den
nächsten Weg antrat.

Zum Gericht. Dort setzte er dem Vorstand
auseinander: „Wenn sich mein Freund Richard
umbringt, muß der Magistrat vor allem e'n-
mal die Verlassenschaft aufnehmen. Es ist
nichts da, aber ausgenommen muß es ja doch
lverden. Das kostet eine Menge Geld. Loial-
augenscheine kosten Geld. Die Obduktion der
Leiche kostet Geld. Alles kostet Geld. Und
mein Freund Richard hat nichts mehr davon.
Wenn sich das Gericht aber entschließen könnte,
Richard eine einmalige Aush'lfe von zwei-
hundert Schilling zu geben, würde er gern am
Leben bleiben und es gäbe gar keine Scherereün
und Kosten mehr."

er Vorstand, ein kluger Mann, gab die
einmalige Aushilfe von zweihundert Schilling.

Daran ersparte der Staat — gering gerechnet
— noch immer dreihundert.

Nächster Weg zum Magistrat, Abteilung
Leichenbestattung. „Nicht wahr, meine Herren,
wenn Richard durch Leuchtgas stirbt, müssen
Sie ihm ein Armenbegräbnis bewilligen. Darf
ich ergebenst fragen, wie hoch sich die Kosten
eines derartigen Begräbnisses belaufen?"

„Na, auf mindestens hunderlfünfzig Schil-
ling", antwortete der Beamte.

„Ausgezeichnet! Sie geben hundertfünfzig
Schilling aus, um Richard in die Erde zu legen.
Geben Sie hundert Schilling, um ihn auf der
Erde zu erhalten, und die ganze Wirtschaft mit
dem Armenbegräbnis erübrigt sich."

Wer hätte diesem Argument widersprechen
können? Der einsichtsvolle Beamte der Städti-
schen Leichenbestattung bestimmt nicht.

klnd dann zum Pfarrer. „Hochwürden! Ich
muß. Ihnen leider die traurige Mitteilung
machen, daß mein Freund Richard, ein Mann
aus Ihrem Pfarrsprengel, entschlossen ist, frei-
willig aus dem Leben zu gehen!"

Der gütige, alte Pfarrer erschrak und schlug
ein Kreuz: „Entsetzlich! Welche Sünde!"

„Gewiß, auch das. Aber bedenken Sie, was
noch alles dran hängt! Sie sind ein alter Herr,
Hochwürden! Das Wetter ist jetzt elend. Trotz-
dem lverden Sie meinem armen, schwer
geprüften Freund, ein christliches Begräbnis
nicht versagen wollen. Sie müssen aus den
Friedhof — bei diesem Wetter — und am Ende
erkälten Sie sich auch noch. Nachher die
Heilungskosten, die Medikamente. Hochwürden!
Wenn Sie sich entschließen könnten, meinein
Freund Richard aus irgendeinem Hilfsfonds
hundert Schilling anzuweisen..."

Der Pfarrer, zu Tod erschrocken, sagte
rasch: „Aber selbstverständlich! Selbstverständ-
lich! Hier haben Sie die hundert Schilling,
klnd grüßen Sie Ihren Freund Richard schön
von mir."

Ganz zuletzt rief Oskar die Parteien deS'
Hauses Bennogasse 6 zusammen.

„Meine Damen und Herren!" begann er
eine schwungvolle Ansprache. „Ihr Mit-
bewohner Richard lvill in Kürze den Gashahn
aufdrehen, um aus dem Leben zu scheiden. Ich
rede nicht von der Gefahr, in die er Sie dadurch
alle bringt. Ich rede nur von den Unannehm-
lichkeiten, um Sie nicht zu erschrecken. Sie
müssen natürlich einen Kranz spenden. DaS
kostet Geld. Sie müssen dem Leichenbegängnis
beiwohnen, das kostet Autos, Straßenbahnen,
bedeutet einen Verdienstentgang. Am Ende
müssen Sie sich auch noch schwarze Kleider
leihen, was schließlich auch nicht billig ist. Ich
berechne mir, daß jedem von Ihnen aus
Richards Ableben zwanzig Schilling Kosten er-
wachsen. Wenn Sie aber zehn freiwillig geben,
ersparen Sie sich den Weg zum Friedhof, weil
Richard ja am Leben bleibt lind ein glücklicher
Mensch werden kann."

Zwölf Wohnparteien gaben je zehn Schil-
linge, lvaS zusammen hundertzwanzig Schilling
macht. Zwanzig hatten die Gaswerke gegeben,
fünfhundert der Hausherr, zweihundert das
Gericht, hundertfünfzig der Magistrat und
hundert der Pfarrer. Machte zusammen I0g0
Schilling.

Für Richard ein unvorstellbares, beglücken-
des Vermögen. Er konnte sich eine neue Exi-
stenz gründen und wird vielleicht einmal ein
reicher Mann lverden.

Denn leben ist tatsächlich billiger als sterben,
klnd lvenn es alle wüßten, könnte manchem
geholfen werden.

Splitter

Viele, die einmal einen Gedanken hatten,
halten sich für Denker.

*

Der Mensch hat soviel Unnatur in sich
ausgenommen, daß er sie nicht selten für seine
w a h r e N a t u r hält.


Zirkusende

Rudolf Kriesch
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[nicht signierter Beitrag]: Splitter
Rudolf Kriesch (Kriz): Zirkusende
 
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