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HI §TO RIS C H E M IN F A T R UIETN

Zerstreutheit

Lessing hatte einen Diener, dem er wenig Vertrauen entgegen-
brachte; die Umstande ließen vermuten, daß er ein Dieb war. Er beschloß
deshalb, ihn auf die Probe zu stellen. Eines TageS kam er zu einem
Freunde und erzählte ihm, er habe zu Haufe Geld auf dem Tisch liegen
lassen und werde nun sehen, ob sein Verdacht begründet sei. „Wieviel
hast du denn hingelegt?" fragt ihn der Freund. „Oh, ich habe ganz ver-
gessen, es zu zählen!" erwiderte der Dichter bestürzt.

Ein pfiffiger Philosoph

Der griechische Philosoph A r i s t i p p aus Kyrene, ein treuer An-
hänger des Sokrates, dessen Ruhm ihn nach Athen gelockt hatte,
sagte oft, dem rechten Philosophen könne eS niemals am Gelde fehlen.
Trotz dieser gewiß ehrlichen Überzeugung waren aber doch einmal seine
Taschen so leer, daß er sich gezwungen sah, an den Hof des Dionys
zu gehen und ihn um eine Unterstützung zu bitten! Dionys machte keine
Schwierigkeiten. Er fragte ihn nur lachend: „Seit wann hast du denn
aufgehärt, ein rechter Philosoph zu sein, Freund Aristipp?!" und zählte
große Geldstücke auf den Tisch hin. Der Bittsteller antwortete nicht
gleich, sondern wartete bis fein Gönner das letzte Geldstück aus den
Fingern gelassen hatte; dann steckte er die ganze Summe zufrieden in
die Tasche, klopfte darauf und antwortete: „Warum soll ich aufgehört
haben ein rechter Philosoph zu sein, fehlt eS mir etwa am Gelde?"

Boshaft

Josef Unger, Professor der Rechte in Wien, gab einst seinen Freun-
den folgendes Rätsel über einen bestimmten österreichischen Staatsmann
— nennen wir ihn schonend 3£. — aus: „Was ist der Unterschied
zwischen CincinnatuS und dem Herrn 3£.?"

Niemand kam darauf. Da gab Unger schließlich selbst die Antwort:
„Als CincinnatuS sich nach der Rettung deS Vaterlandes wieder von
den EtaatSgeschäften auf sein Bauerngut zurückzog, ging er hinter dem
Pfluge. Wenn Herr 3£. dasselbe tun wollte, müßte er vor dem Pfluge
gehen."

Bernard Shaw

Der Spötter Bernard Shaw hat selbstverständlich viele Gegner in
der englischen Gesellschaft. Gelegentlich eines Gartenfestes bei der Königin
trat ein ausländischer Diplomat an ihn heran und sagte: „Ah, Sie sind
Bernard Shaw? War Ihr Vater nicht ein kleiner Schneidermeister?"

„Sehr richtig", sagte Shaw.

Der Frager trieb seine Taktlosigkeit noch weiter und erkundigte sich:
„Warum sind Sie nicht auch Schneider geworden?"

Der Dichter lächelte. „Eine Gegenfrage", sagte er. „War Ihr Vater
nicht ein Gentleman?"

„Jawohl, das ist er noch."

„Und warum sind Sie nicht auch ein Gentleman geworden?"

Die Antwort ist nicht bekannt geworden, jedenfalls aber hatte
Bernard Shaw vor diesem Diplomaten Ruhe.

fl ammendes Ethos

Bei RackerS 8c Son war gerade
ein Großauftrag von Rom ein-
getroffen, auf allerhand KriegS-
lieferungen, als Roosevelt im
Capitol seine glühende Rede hielt
gegen daS blutige Geschäft ini
Krieg.

Rackers 8c Son saßen in ihrem
Kontor und hörten die Rede am
Radio. Der alte RackerS schien
von dem flammenden Ethos des
Redners tief ergriffen; er legte den
Auftrag zu den Akten und sagte:

„Er hat ja recht. Verzichten
wir auf das Geschäft, zumal eS
nicht gegen bar ist." hat.

AA

Einst in der Türkei

Sultan Muhammed saß in tiefen Sorgen. Die Staatskassen waren
leer, und der Hashni-Khan, der Finanzminister, konnte ihm beim besten
Willen nichts Tröstliches erzählen.

Da kam der Sultan auf einen rettenden Gedanken. Er schickte den
Finanzminister in die Verbannung, in die Gärten von Aldis, daß er sie
nie mehr verlasse, und erhob zu seinem neuen Finanzminister den ältesten
und besten Märchenerzähler.

Don da an herrschte am Hofe deS Sultans eitel Wonne. t.

Besiegte Bosheit

Fürst Talleyrand, die verkörperte Bosheit, hat manchen satanischen
Streich auSgeheckt; einer davon ist ihm gründlich mißglückt.

Er saß bei einem Diner einer alten Dame von hohem Adel gegenüber,
die das Unglück hatte, sich beim Essen einen künstlichen Zahn auSzu-
brechen. Talleyrand rief gleich nach dem Essen ein paar Freunde zu-
sammen und teilte ihnen seinen Plan mit: er würde der Dame einen alten
Pferdezahn schicken, mit der Bitte, ihn an Stelle des verlorenen einzu-
setzen.

Tags darauf erhielt er ein Billett von der Beschenkten: „Verehrter
Fürst! Wir Alten, die wir noch einen Abglanz der goldenen Zeiten vor
1769 in der Erinnerung tragen, wissen gut, was Höflichkeit des Herzens
bedeutet. Es ist Ihrer guten Erziehung und Ihres feinen Geschmacks
gleich würdig, daß Sie, um meinen kleinen Verlust zu ersetzen, sich selbst
einen Zahn auöziehen ließen. Er ist mir ein wenig zu groß; aber ich
werde ihn in Gold fasten laßen und allen meinen Besuchern zeigen, als
Zeichen Ihrer bemerkenswerten Galanterie und Ihres ungewöhnlichen
Geistes." hat.

Gedächtnis bei Hofe

Der kluge d'Argenson war lange genug Minister Ludwigs XIV.
gewesen, um die Höflinge, die Seine Majestät umlagerten, zu kennen.

d'Argenson war es, der als einziger aufrechter Mann bei Hofe den
verwegenen Versuch machte, die Pompadour aus dem Sattel zu heben.
Es mißlang. Sie saß fest, Und d Argenson mußte erleben, daß er selber
rasselte....

Drei Stunden nach seinem Sturz hatte er einen Brief an einen Höf-
ling zu schreiben. Er begann ihn: „Falls Sie sich meiner noch erinnern
sollten" ... hat.

Das Hinterteil

Vor dem Kriege war in einer deutschen Residenzstadt ein lenkbares
Luftschiff stationiert, das den Namen der Erbprinzessin, sagen wir
„Marie Lou.'se" trug. Nun ging eS eines Tages beim Einbringen in die
Halle nicht ganz glatt ab. Eine Bö kam im kritischen Augenblick und
richtete ziemlichen Schaden an. Wir sprachen am nächsten Tag beim

Kaffee über das Unglück, wäh-



Vignette

Neureuther

rend gerade die gute, etwas schwer-
hörige, aber treu an der ange-
stammten Dynastie hängende
Tante Malwine zu Besuch da
war. Sie hatte noch gar nichts
von dem Unfall gehört, und wir
waren zunächst überrascht von der
tiefen Erschütterung, in die sie das
immerhin rein technische Unglück
versetzte. Bis sie sich endlich zu
der präzisen Frage durchrang:
„Was sagt Ihr? Das ganze
Hinterteil eingedrückt? Die arme,
arme Prinzessin! Da sind wohl
die Pferde durchgegangen?"

E. K.

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Register
T.: Einst in der Türkei
Christian Neureuther: Vignette
E. K.: Das Hinterteil
Hat.: Besiegte Bosheit
Hat.: Flammendes Ethos
[nicht signierter Beitrag]: Bernhard Shaw
[nicht signierter Beitrag]: Boshaft
[nicht signierter Beitrag]: Ein pfiffiger Philosoph
[nicht signierter Beitrag]: Zerstreutheit
Hat.: Gedächtnis bei Hofe
 
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