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Winterlandschaft

H. Mayrhofer-Passau

ID II IE SÄGE

Qon <oforils£h

(Deutsch von Geron)

Vorigen Herbst kam in unser Dorf eine
mechanische Holzsäge. Sie wurde aufgestellt
und bald setzte sie alle durch ihre Schnelligkeit
und die Sauberkeit ihrer Arbeit in Verwunde-
rung. Die Säge erweckte bei allen Holz-
arbeitern und Bauern der blmgegend großes
Interesse. Den ganzen Tag über, solange die
Säge in Betrieb war, wurde sie von einer
Menge Neugieriger umstanden, blm einen bln-
fall zu verhüten war die Säge unter die Auf-
sicht eines besonderen Wächters gestellt worden.

Am dritten Tage in der Mittagspause war
der Zulauf besonders groß. Die Säge arbeitete,
aber der Mechaniker hielt im Wachthäuschen
sein Mittagsschläfchen. Nur der Wächter
Tomka Sisych, den die Leute „blhu" nannten,
harrte auf seinem Posten aus. Die Holzknechte
mit den Äxten im Gürtel besprachen eifrig die
Vor- und Nachteile der Maschine. Ununter-
brochen rieselte ein goldener Schwarm von
Sägespänen von den erhitzten Zähnen der
Säge herunter.

„Wie die arbeitet!" rief begeistert ein kleiner
untersetzter Arbeiter in einer alten Pelzmütze.
„Da kann man drunterlegen, was man will,
die beißt alles durch! Wieso nur die Menschen
auf solche Ideen kommen ...?!"

„Die haben schon so ein Fach im Hirn."

„Die Fächer werden doch wohl bei allen die
gleichen sein."

„Was du nicht sagst! Nicht einmal zwei
gleiche Eier gibt eö, geschweige denn zwei gleiche
Menschen. Bei dem einen ist die Kraft in den
Händen, beim anderen im Kopf. Am schlauesten
sind die Deutschen, viel schlauer, als die Ameri-
kaner. Die sind sogar draufgekommen wie man
aus der Luft Zucker machen kann."

„Aus der Luft?"

„Jawohl! Der Deutsche nimmt einen
Schlauch her, eine Pumpe dazu, von der einen
Seite kommt Luft herein, auf der anderen rinnt
Kristallzucker heraus."

„Hast du das selbst gesehen?"

„Ich nicht, aber die Gefangenen haben es
erzählt."

„Warum machen wir denn das nicht nach?"

„Bei uns im Dorf hat eS einer ohnehin ver-
sucht, hat alles zusammengestellt, Pumpe und
Schlauch ..."

„Na und ...?"

„Verhaftet haben sie ihn. Statt Zucker ist
bei ihm Wodka herausgekommen."

Die blmstehenden grinsten. Eine Zeitlang
verfolgte man schweigend den regelmäßigen,
eiligen Gang der Säge. Die schweren Klötze
fielen mit unerhörter Geschwindigkeit, wie von
einem unsichtbaren, mächtigen Arm gestoßen,
heraus.

„Fichtenholz schneidet sie großartig", stellte
der Kleine fest. „Aber was wäre, wenn man

es mit einem Eichenstamm versuchen wollte?
Da würde sie wohl stecken bleiben."

„Aber wo!" sagte der Wächter Tomka. Er
war der Held deS Tages und ging stolz neben
der Säge auf und ab. „Für eine amerikanische
Säge ist eine Eiche eine Kleinigkeit."

„Ich denke aber, das wäre doch ein zu harter
Brocken für sie."

„Auch schon ein Denker! Was verstehst
denn du davon?" fragte Tomka ärgerlich und
war sichtlich gekränkt.

„Ein Eichenklotz ist zuviel", sagte skeptisch
ein anderer Arbeiter. „Da muß sie versagen.
Eine deutsche Säge wäre es vielleicht noch im-
stande, aber die da ..."

Die Leute schwiegen abwartend. Tomka war
tief getroffen. Er fühlte, wie der NimbuS, der
die wunderbare Maschine umgab und auch auf
ihn abfärbte, zu verblassen begann. Er zog die
Brauen zusammen und dachte angestrengt nach.

„Her damit!" sagte er plötzlich. „Schafft
einen Klotz her!"

Einige Mann schienen nur auf diese Worte
gewartet zu haben. Sie stürzten zum Lager-
platz und suchten dort den dicksten, ästigen
Stamm aus. Die Säge durchschnitt ihn ebenso
leicht, wie die Fichtenstämme.

„Herrliches Luder!" sagt der Kleine entzückt.
„Als ob es ein Grashalm wäre! Nimmt sie
die Wurzel auch?"

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A. Soritsch: Die Säge
Hermann Mayrhofer: Winterlandschaft
 
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