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ID IE IR UNFALL

Erzählung von Christian Gutenberg

Der. Sturz war harmlos. Zwar hatte sich das Vorderrad zu einer
Acht zusammengedreht und mein linkes Hosenbein war bis über das Knie
- aufgeschlitzt worden, sonst aber hatte eS nur ein paar unbedeutende
Hautabschürsungen und einen reichlich verschmutzten Anzug gegeben.

Die Aussicht zur Zielscheibe des Bedauerns oder einer schnoddrigen
Bemerkung der sich ansammelnden Leute zu werden, veranlaßte mich zu
rascher Flucht in die Nächstliegende Wirtschaft: „Baumann's Bierhalle".

Die Gaststube war leer. Mir war nach einem Schnapö zu Mute.
Ich klopfte auf die blechbeschlagene Theke. Aus dem Hinterzimmer
schlurfte der Wirt herbei.

„Ein Sturz mit dem Rad", sagte ich entschuldigend, weil ich einen
blitzschnell musternden, mißtrauischen Blick einfing; und hierauf —
wütend über das Gefühl aufgekommener Minderwertigkeit — verlangte
ich besonders barsch einen großen Korn.

Der Wirt schenkte gleichmütig ein: „Fünfzig Pfennige". Ich zahlte
und trank. Der Mann hinter der Theke forderte mich auf, Platz zu
nehmen. Ich setzte mich an einen Ecktisch und hielt blmschau. Sechs
bis acht grobe aber saubere Holztische ohne Decken. An den Wänden
Bierplakate und Speiseanpreisungen. Unmittelbar über mir zwei große
Bilder vom Führer und von Hindenburg. Darunter, in respektvollem
Abstand, ein drittes kleines Bild, ein unter Glas gesetztes halb ver-
blichenes Foto, fünf feldgraue Soldaten vor einem zerschossenen HauS.

Seltsam, dieses Bild hatte ich schon einmal gesehen! Ich betrachtete
eü genauer. Jawohl, der Feldgraue in der Mitte war ich selbst. Bei
dem Soldaten am weitesten b'nks war ein Pfeil angebracht, darunter
stand: Kriegsfreiwilliger Walter Baumann nach erfolgreicher Patrouille
feinen lieben Eltern, Flandern 1916.

Walter Baumann — Walter Baumann, ein mikriger, blasser Groß-
stadtjunge, aber schneidig und verbissen. Damals hatte er mir einen
unschätzbaren Dienst erwiesen. Ich erinnerte mich gut an ihn und an
jene nächtliche Patrouille. Seine Handgranaten räumten in dem für
mich so bedrohlichen feindlichen Trichter gründlich auf. Ich bekam Luft
und brachte eine wertvolle Meldung zurück. Am anderen Tag ließen
wir uns aus Übermut photographieren. Später verlor ich ihn aus den
Augen.

„Sagen Sie mal, Herr Wirt, wie kommt das Bild hier an die
Wand?!"

„Das ist noch vom Kriege her."

„Das sehe ich selbst."

Der Wirt stutzte, dann sagte er gelassen: „Da ist der Sohn des
früheren Inhabers darauf, Walter Baumann. Das Lokal heißt doch
, Baumann's Bierhalle*."

„Was ist auö ihm geworden ?— Ist er heil aus dem Krieg gekom-
men? — Lebt er noch?" stürmten meine Fragen.

Der Befragte schoß, wie bei meinem Eintritt, einen mißtrauischen
Blick gegen mich ab: „Warum wollen Sie denn das so genau wissen?"

Ich nahm daS kleine Bild von der Wand und führte es dem Arg-
wöhnischen vor Augen: „Sehen Sie, der mittelste auf dem.Bild bin ich."

Der Wirt unterzog mein Gesicht einer bedächtigen Prüfung: „Es
stimmt, tatsächlich, daS sind Sie."

Ich lächelte: „Meine Frage war also nicht unberechtigt."

Der Wirt hängte umständlich das Bild an die Wand; dann ließ er
sich neben mir auf einem Stuhl nieder.

l. i e g e n d e

Julius Hüther

Abstammungslehre

In einem Postamt schickt der
Postmeister einen jungen, neuein-
gestellten, und nicht gerade über-
mäßig intelligenten PostauShelfer
zu einem Beamten, der noch
immer den Fragebogen nach seiner
Abstammung nicht abgegeben hat,
weil er gewisse Schwierigkeiten
mit der Beschaffung der Unter-
lagen hatte. Sie sind auch noch
nicht eingetroffen, so daß der
junge Bote folgenden Bescheid
bringt: „Herr Sekretär B. bittet
um Entschuldigung, aber die Pa-
piere wegen seiner arabischen
Abstammung sind immer noch
nicht eingetroffen."

Liebe Jugend

Als wir noch unsere ange-
stammten Landesmütter hatten,
besuchte von Zeit zu Zeit die
Königin das größte Krankenhaus
der Hauptstadt. Einmal fiel ihr
in der Wöchnerinnenabteilung ein
neugeborenes Landeskind durch
seinen glutroten Haarschopf auf.
„Hat der Vater auch so rotes
Haar?" frug sie huldvoll die
junge Mutter. Die Antwort:
„Weeß nich, er hatt die Mütze
uff!"

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[nicht signierter Beitrag]: Abstammungslehre
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Julius Hüther: Liegende
Christian Gutenberg: Der Unfall
 
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