Der Kater Kubin
„Es iDar Anfang Dezember 1916 — ich werde diese Zeit nie ver-
geben", begann -er und seine durch Rauch und Alkohol geröteten Augen
schienen ein Bild einzufangen, das ihn so bald nicht loslassen würde.
„Einige Monate vorher war ich „d. u." aus einem Lazarett entlassen
worden. Ich stand allein und war bei meinem Onkel, dem alten Bau-
mann, untergekrochen. Es war eine tolle Zelt. Sie werden die Revo-
lution damals sicher auch kennengelernt haben. Punkt zehn blhr abends
mußten die eisernen Rolläden heruntergelassen werden. Wer sich nach
dieser Zeit auf der Straße sehen ließ, konnte mit blauen Bohnen und
Handgranaten Bekanntschaft machen. Wer im Lokal zurückgeblieben
war, mußte bis zum nächsten Morgen „durchhasten".
Dort im Hinterzimmer am runden Tisch bei einer stinkenden Karbid-
lampe — das elektrische Licht ging ja meistens nicht — saßen sie immer:
Vater und Mutter Baumann, ihre Tochter Grete und die sogenannten
drei Getreuen, Arthur, Emil und Erna.
Die aufmarschierten Flaschenbatterien ersetzten die Uhr. Gegen Mitter-
nacht gab eS regelmäßig eine Gefechtspause. Arthur und Emil ver-
jpürten Hunger. Mutter Baumann legte dann die dicke Zigarre aus
der Hand und stemmt sich mit Händen am Tisch hoch. Sie war um
diese Zeit nicht mehr sicher auf den Beinen. Aus der Küche duftete es
bald darauf „wie im tiefsten Frieden". Waren die hinten herum besorgten
KotteletteS init Ei und Bratkartoffeln ausgetragen, begann ein banniges
Schmatzen. Ein Schwein hätte neidisch werden können."
Der Wirt machte eine Pause. Sein Gesicht war wie gewandelt. Die
schlaffen Züge hatten sich gestrafft. Über der Nasenwurzel stand eine
harte Falte. Die Augen waren klar. Seine Rede überraschte durch
Sicherheit und Haltung. Da saß ein anderer Mensch.
„Es war an einem Freitag", fuhr er fort, „ich weiß es noch wie heute.
Oie nächtliche Futterei war zu Ende. Die Männer hatten die Röcke auS-
gezogen. Sektslaschen lagen umher. Der alte Baumann goß sich Küm-
mel und Kognak ein. Arthur und Emil stritten sich wegen der Trab-
rennen. Baumann meinte protzig, im nächsten Jahre würde er mit einem
eigenen Wagen zum Rennen fahren. Mutter Baumann tbronte auf
ihrem Lehnstuhl und bemühte sich vergeblich, eine neue Brasil anzu-
stecken; sie hielt in ihrem Rausch das Streichholz viel zu weit entfernt.
Grete und Erna waren über ihre langweiligen Verlobten Arthur und
Emil sichtlich erbost; sie tuschelten zusammen und zogen ihre Männer
durch den Kakao. Baumann trank seine Mischung nun aus Diergläsern.
Die vom vielen Sekt aufgepulverte Grete fingerte plötzlich am Grammo-
phon herum, legte trotz drohender Patrouille eine Tanzplatte auf und
begann mit Erna einen Schieber zu tanzen.
Da, auf eimnal rasselte eS draußen am Rolladen. Man pochte.
Drinnen Schweigen. Wieder ein Pochen. Baumann brachte das Grammo-
phon zum Halten. Emil wollte die Karbidlampe auSpusten. Arthur
hinderte ihn daran und stöhnte feige: „Die Patrouille." — „Schmeiß sie
raus!" kreischte Grete. — „HaltS Maul!" fuhr sie der Vater an. —
„Gib doch jedem ein-e Pulle Wein", lallte Mutter Baumann.
Baumann schnaufte, nahm drei Flaschen Wein, setzte sie an die Tür,
zog den Rolladen hoch und öffnete zaghaft.
Die Weinflaschen klirrten. Ein Soldat drängte sich durch den Spalt.
Der Tornister flog mit Krach zu Boden, zugleich der Rolladen, dessen
Band dem Alten aus der Hand gerutscht war.
Sein Sohn Walter stand da. — Mutter Bau mann schrie auf, erhob
sich, torkelte, und fiel wie ein Sack ihrem Sohn zu Füßen. Da blieb sie
liegen und schüttelte sich vor Lachen. Die drei Getreuen gröhlten auf ein-
mal Hurra. Grete stürzte sich auf ihren Bruder und umarmte ihn stür-
misch, bis es dem zu viel wurde und er sich dem Vater zuwandte. Die
drei Getreuen hatten ein schweres Stück Arbeit, Mutter Baumann wie-
der in den Lehnstuhl zu bringen. Sie konnte sich immer noch nicht
beruhigen; zwischendurch schrie sie: „Mein Herzensjunge".
Nun begann das Ausfragen. Woher in aller Welt in dieser Nacht.
Die letzte Karte vom Regiment. Der Rückmarsch. Arthur schob gönner-
haft ein Glas Sekt hin, das Walter hastig auStrank. Seine Antworten
waren karg. Er sah elend aus und hustete. Plötzlich sing er an mit den
Zähnen zu klappern, schluckte ein paarmal, bekam starre Augen, stürzte
in seine Kammer, wo er in Schreikrämpfe verfiel. Schließlich wimmerte
er nur noch."
Mir war trocken in der Kehle, blnwillkürlich griff ich zum leeren
Schnapsglas. Der Wirt erhob sich und fragte: „Noch ein Korn
gefällig?" Ich bat darum und trank auf einen Hieb aus. Der Wirt
setzte sich wieder und sagte: „So ist Walter Baumann heimgekehrt."
Es dauerte eine Weile, bis ich zögernd fragte, wie es meinem Kame-
raden weiter ergangen sei. „Nicht gut, mein Herr", antwortete der
Wirt, „er ist, wie man damals absichtlich verbreitete, einem „Unfall"
zum Opfer gefallen. Auch daS will ich Ihnen noch erzählen.
Der junge Baumann mußte nach seiner Rückkehr einige Zeit fest liegen.
Aber er übersiand seine Krankheit und konnte dann im Geschäft seines
Vaters Mitarbeiten.
Unter Mittag war besonders viel zu tun. Die Gaststube und daS
Hinterzimmer waren voll von Gästen. Sie saßen zu zweien oder dreien
an den Tischen und sprachen eifrig aber leise. Im Anfang war Walter
Baumann froh, eine Beschäftigung zu haben und kümmerte sich nicht
um daS Drum und Dran. Erst allmählich begann er die Gäste genaue'
anzusehen. Er hatte bald heraus, daß diese kleine anständige Gastwirt-
schaft seiner Eltern inzwischen ein Schieberlokal geworden war, in dem
Arthur und Emil die Hauptmacher waren, und wo sein Vater fröhlich
mittat. Eine Börse für Schleichhändler und Diebesgut. Walter Bau-
mann war erschüttert.
Es mußte zu einer Entladung kommen. Eines Abends hatten sich die
drei Getreuen wieder einmal eingesunden und feierten den Abschlup eines
großen SacharingeschäfteS. Arthur hatte Grete einen Brillantring
geschenkt und Erna trug einen neuen echten Skunkspelz. Man hatte eS
ja. Man war ja so reich. Es wurde französischer Sekt getrunken. DaS
heißt, der alte Baumannn hatte vorher auf die Flaschen die diesbezüglichen
Schilder geklebt und echte Sektkorke in den Kühler geschmuggelt.
Walter Baumann war nicht dabei. Aber als er gegen elf Uhr aus
der Stadt zurückkam, mußte er sich auf Drängen von Vater und Mutter
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„Es iDar Anfang Dezember 1916 — ich werde diese Zeit nie ver-
geben", begann -er und seine durch Rauch und Alkohol geröteten Augen
schienen ein Bild einzufangen, das ihn so bald nicht loslassen würde.
„Einige Monate vorher war ich „d. u." aus einem Lazarett entlassen
worden. Ich stand allein und war bei meinem Onkel, dem alten Bau-
mann, untergekrochen. Es war eine tolle Zelt. Sie werden die Revo-
lution damals sicher auch kennengelernt haben. Punkt zehn blhr abends
mußten die eisernen Rolläden heruntergelassen werden. Wer sich nach
dieser Zeit auf der Straße sehen ließ, konnte mit blauen Bohnen und
Handgranaten Bekanntschaft machen. Wer im Lokal zurückgeblieben
war, mußte bis zum nächsten Morgen „durchhasten".
Dort im Hinterzimmer am runden Tisch bei einer stinkenden Karbid-
lampe — das elektrische Licht ging ja meistens nicht — saßen sie immer:
Vater und Mutter Baumann, ihre Tochter Grete und die sogenannten
drei Getreuen, Arthur, Emil und Erna.
Die aufmarschierten Flaschenbatterien ersetzten die Uhr. Gegen Mitter-
nacht gab eS regelmäßig eine Gefechtspause. Arthur und Emil ver-
jpürten Hunger. Mutter Baumann legte dann die dicke Zigarre aus
der Hand und stemmt sich mit Händen am Tisch hoch. Sie war um
diese Zeit nicht mehr sicher auf den Beinen. Aus der Küche duftete es
bald darauf „wie im tiefsten Frieden". Waren die hinten herum besorgten
KotteletteS init Ei und Bratkartoffeln ausgetragen, begann ein banniges
Schmatzen. Ein Schwein hätte neidisch werden können."
Der Wirt machte eine Pause. Sein Gesicht war wie gewandelt. Die
schlaffen Züge hatten sich gestrafft. Über der Nasenwurzel stand eine
harte Falte. Die Augen waren klar. Seine Rede überraschte durch
Sicherheit und Haltung. Da saß ein anderer Mensch.
„Es war an einem Freitag", fuhr er fort, „ich weiß es noch wie heute.
Oie nächtliche Futterei war zu Ende. Die Männer hatten die Röcke auS-
gezogen. Sektslaschen lagen umher. Der alte Baumann goß sich Küm-
mel und Kognak ein. Arthur und Emil stritten sich wegen der Trab-
rennen. Baumann meinte protzig, im nächsten Jahre würde er mit einem
eigenen Wagen zum Rennen fahren. Mutter Baumann tbronte auf
ihrem Lehnstuhl und bemühte sich vergeblich, eine neue Brasil anzu-
stecken; sie hielt in ihrem Rausch das Streichholz viel zu weit entfernt.
Grete und Erna waren über ihre langweiligen Verlobten Arthur und
Emil sichtlich erbost; sie tuschelten zusammen und zogen ihre Männer
durch den Kakao. Baumann trank seine Mischung nun aus Diergläsern.
Die vom vielen Sekt aufgepulverte Grete fingerte plötzlich am Grammo-
phon herum, legte trotz drohender Patrouille eine Tanzplatte auf und
begann mit Erna einen Schieber zu tanzen.
Da, auf eimnal rasselte eS draußen am Rolladen. Man pochte.
Drinnen Schweigen. Wieder ein Pochen. Baumann brachte das Grammo-
phon zum Halten. Emil wollte die Karbidlampe auSpusten. Arthur
hinderte ihn daran und stöhnte feige: „Die Patrouille." — „Schmeiß sie
raus!" kreischte Grete. — „HaltS Maul!" fuhr sie der Vater an. —
„Gib doch jedem ein-e Pulle Wein", lallte Mutter Baumann.
Baumann schnaufte, nahm drei Flaschen Wein, setzte sie an die Tür,
zog den Rolladen hoch und öffnete zaghaft.
Die Weinflaschen klirrten. Ein Soldat drängte sich durch den Spalt.
Der Tornister flog mit Krach zu Boden, zugleich der Rolladen, dessen
Band dem Alten aus der Hand gerutscht war.
Sein Sohn Walter stand da. — Mutter Bau mann schrie auf, erhob
sich, torkelte, und fiel wie ein Sack ihrem Sohn zu Füßen. Da blieb sie
liegen und schüttelte sich vor Lachen. Die drei Getreuen gröhlten auf ein-
mal Hurra. Grete stürzte sich auf ihren Bruder und umarmte ihn stür-
misch, bis es dem zu viel wurde und er sich dem Vater zuwandte. Die
drei Getreuen hatten ein schweres Stück Arbeit, Mutter Baumann wie-
der in den Lehnstuhl zu bringen. Sie konnte sich immer noch nicht
beruhigen; zwischendurch schrie sie: „Mein Herzensjunge".
Nun begann das Ausfragen. Woher in aller Welt in dieser Nacht.
Die letzte Karte vom Regiment. Der Rückmarsch. Arthur schob gönner-
haft ein Glas Sekt hin, das Walter hastig auStrank. Seine Antworten
waren karg. Er sah elend aus und hustete. Plötzlich sing er an mit den
Zähnen zu klappern, schluckte ein paarmal, bekam starre Augen, stürzte
in seine Kammer, wo er in Schreikrämpfe verfiel. Schließlich wimmerte
er nur noch."
Mir war trocken in der Kehle, blnwillkürlich griff ich zum leeren
Schnapsglas. Der Wirt erhob sich und fragte: „Noch ein Korn
gefällig?" Ich bat darum und trank auf einen Hieb aus. Der Wirt
setzte sich wieder und sagte: „So ist Walter Baumann heimgekehrt."
Es dauerte eine Weile, bis ich zögernd fragte, wie es meinem Kame-
raden weiter ergangen sei. „Nicht gut, mein Herr", antwortete der
Wirt, „er ist, wie man damals absichtlich verbreitete, einem „Unfall"
zum Opfer gefallen. Auch daS will ich Ihnen noch erzählen.
Der junge Baumann mußte nach seiner Rückkehr einige Zeit fest liegen.
Aber er übersiand seine Krankheit und konnte dann im Geschäft seines
Vaters Mitarbeiten.
Unter Mittag war besonders viel zu tun. Die Gaststube und daS
Hinterzimmer waren voll von Gästen. Sie saßen zu zweien oder dreien
an den Tischen und sprachen eifrig aber leise. Im Anfang war Walter
Baumann froh, eine Beschäftigung zu haben und kümmerte sich nicht
um daS Drum und Dran. Erst allmählich begann er die Gäste genaue'
anzusehen. Er hatte bald heraus, daß diese kleine anständige Gastwirt-
schaft seiner Eltern inzwischen ein Schieberlokal geworden war, in dem
Arthur und Emil die Hauptmacher waren, und wo sein Vater fröhlich
mittat. Eine Börse für Schleichhändler und Diebesgut. Walter Bau-
mann war erschüttert.
Es mußte zu einer Entladung kommen. Eines Abends hatten sich die
drei Getreuen wieder einmal eingesunden und feierten den Abschlup eines
großen SacharingeschäfteS. Arthur hatte Grete einen Brillantring
geschenkt und Erna trug einen neuen echten Skunkspelz. Man hatte eS
ja. Man war ja so reich. Es wurde französischer Sekt getrunken. DaS
heißt, der alte Baumannn hatte vorher auf die Flaschen die diesbezüglichen
Schilder geklebt und echte Sektkorke in den Kühler geschmuggelt.
Walter Baumann war nicht dabei. Aber als er gegen elf Uhr aus
der Stadt zurückkam, mußte er sich auf Drängen von Vater und Mutter
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