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mit an t)en Tisch setzen. Man schenkte ihm ein. Alle anderen waren,
wie man so sagt, bereits „in Stimmung". Plötzlich stand der betrunkene
Arthur aus, wandte sich an Walter und begann eine Rede zu halten. Dan
„Frontkämpfer und Heimkrieg", „Vätern helfen Geld verdienen", „auf-
richtiger Freundschaft" und „ein herzliches ,Du* anbieten."

Der Frontsoldat Walter Baumann wurde grau im Gesicht. Er sprang
auf und schrie: „Mit Lumpen, Schiebern und Zuchthäuslern trinke ich
keine Brüderschaft!" Dann stürzte er sich auf Arthur. Der nahm eine
Sektflasche und schlug Walter Baumann den Schädel ein."

Der Wirt schwieg. Es war totenstill in der Gaststube. Meine Augen
starrten in das Halbdunkel des HinterzimmerS. Mir schien, als ob jene
blnterweltSgestalten leibhaftig am runden Tische säßen; ich wollte mich
auf sie stürzen.

Der Wirt mochte meine Erregung bemerkt haben. Ich fühlte den
beschwichtigenden Druck seiner Hand auf meinem Arm: „Lassen Sie
man; die haben alle ein trauriges Ende gefunden Ihnen allen hat der
liebe Gott die Rechnung präsentiert."

„Die Rechnung geht nicht auf. Es bleibt ein Rest", begehrte ich auf.

„Ein Rest? -— Was meinen Sie damit?!"

„Kamerad, die Menschheit lebt von ihrer Gedächtnisschwäche. Es
bleibt ein Rest: der Schwur, jene Zeit für alle Zeit niemals zu ver-
gessen!"

Auf der Straße stand mein Rad. Mochten die Leute gaffen und über
mein Aussehen Bemerkungen machen, ich begab mich hinaus und bog
die Acht auseinander. Dann schwang ich mich auf mein Stahlroß. Mir
war, als ritte ich an der Spitze einer Kompanie; das Pflaster dröhnte
unter den Tritten der Soldaten und Walter Baumann marschierte mit.

Abgeblitzt

Ein Alchimist schrieb ein umfangreiches Buch über die Herstellung
des künstlichen GoldeS und schickte ein Exemplar davon an Papst
Leo X.; er hoffte dafür von diesem freigebigen Beschützer der Wissen-
schaften und Künste ein ansehnliches Geschenk zu erhalten. Doch er
wurde arg enttäuscht. Der kluge und immer geistvolle Papst ließ ihm
nur einen großen leeren Beutel überbringen und ihm sagen, das Geld
dazu möge er sich selbst machen. ZU.

Russischer Diplomat

Hegenbarth

ZWÖLF AMERICAN GIRLS

„12 American Girls" trompeteten grellrote Lettern von den Plakat-
wänden und der einzigen Litfaßsäule in die verschlafene Provinzstadt,
12 American Girls, schlank, geradeaus, hohe Tschakos auf den Blvnd-
köpfchen, in verschnürten Paradeuniformen und weißen Hosen, die ihre
schlanken Beine enorm zur Geltung brachten.

12 American Girls. Sie waren, je zwei in einem Zimmer, im i. Stock
des Hotsls „Zum Kaiser Jjofef" untergebracht worden. Nach der Vor-
stellung, spät abends, sprangen sie lachend und plappernd die steile, rot-
belegte Treppe zu ihren sechs Zimmern empor und blieben bis zum
nächsten Mittag in ihren Betten.

Außer ihnen gab eS noch einen einzigen Logiergast im i. Stock: den
Archäologen Dr. Steinfuchs, der vor vierzehn Tagen gleichfalls im
„Kaiser 30fef" abgestiegen war, mit vier mächtigen Koffern voll Büchern
und Mappen, um im Aufträge der Akademie der Wissenschaften die
Leitung der im benachbarten Gföllgraben begonnenen Ausgrabungen aus
der Steinzeit zu übernehmen. Dr. Steinfuchs hatte den Einzug der
zivölf American Girls vollkommen übersehen und wunderte sich über die
plötzliche blnruhe im „Kaiser Josef": das Kichern, Schwatzen, Trällern
auf dem Gange, leichtfüßiges Treppauf-treppab, besonders nachts!

Dr. Steinfuchs war noch ein junger Mann, Junggeselle, dickbebrillt,
mit einem kleinen Bäuchlein und einem leisen, komischen Watschelgang.

Wenn er morgens ausging, mußte er nun an 12 Paar niedlichen
Schuhen vorüber, die vor den sechs Türen des i. Stockes standen, blnd
ein bisher unbekannter Duft lag über dem Gange. . .

- Er fragte die Resi, das Stubenmädchen. „Na, die Girls von Amerika",
sagte |ie wichtig. Unö dann blieb er draußen vor der Litfaßsäule stehen

und musterte sie durch seine scharfe Brille, die 12 American Girls in
Tschakos und verschnürten Paraderöcken. Verwundert schüttelte er den
Aopf: Komisch, die 12 Amerikan Girls auf dem Plakat da, sie liegen
jetzt in 12 Betten, auf demselben Gang wie ich, genau dieselben schlanken
12 American Girls. Niemand in der ganzen Stadt ist ihnen so nah wie
ich, Dr. Steinfuchs, der Ausgrabungsleiter. Eigentlich komisch . . .
„12 American Girls", bohrte es sich ihm in den Kopf und verdrängte
steinzeitliche Höhlengänge und Feuersteinäxte auS seinen Windungen.

Als er am nächsten Tag, später als sonst, noch schlaf- und traum-
trunken, die Tür öffnete, um seine Schuhe hereinzuholen, da, im gleichen
Augenblick ging auch schräg gegenüber eine Tür auf und eine schmale,
kleine Hand an einem ganz weißen, schlanken Arm griff nach dem einen
Paar reizend-niedlicher Schuhe . . . Dr. Steinfuchs warf erschrocken die
Tür zu.

Auf der Stiege stieß er zum erstenmal mit seiner Nachbarin — sagen
wir — mit Girl Nr. i zusammen. Er stammelte: „Die Stiege ist zu
eng", worauf sie „yes“ sagte, reizend lächelte und lveiterschwebte.

Das war ein Zeichen! Dr. Steinfuchs holte aus seinen vier Koffern
das englische Wörterbuch hervor und stoppelte 36 englische Phrcgen zu-
sammen, um ihr, das nächstemal, noch mehr zu imponieren!

Abends, nachts, lag er ununterbrochen auf der Lauer. Endlich, endlich
huschte eS im Trippeltrittchen an seiner Tür vorbei, zur Waperleitung
am Ende des Ganges. „2lh, da ist sie wieder." In einer kühnen Inspi-
ration ergriff er seine Wasserflasche und eilte ans Gangende. Entzückend
der Anblick: „Girl bei der Wasserleitung". Schmal, im kurzen Kleidchen,
im Dämmer des Ganges stand sie da, die reizende Hand leicht auf dem

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Josef Hegenbarth: Russischer Diplomat
W.: Abgeblitzt
Carl Weiselberger: Zwölf American Girls
 
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