Schon ift sie wieder hinausgehuscht, läuft sic über den Schloßhof zu
Fässer, dem Türhüter, der sein Guckfenster unter blutiger Hand aufzieht
und ihr wortlos einige Pakete reicht.
Sie streichelt kindlich seine,rauhe Hand wie zum Dank, schenkt ihm ihr
kleines Lächeln und sagt in Eile:
„Macht nur das Fenster zu Fässer! Heute am Christabend wird doch
niemand mehr sich melden — und wenn ich drinnen läuten lasse, wird
er mit seiner Frau antreten, verstanden?"
Das Fräulein — denkt er, schüttelt den grauen Kops — das Fräu-
lein! Immer noch wie ein Kind — und dabei so reizend und behend!
Aber gemütlich schließt er seinen Platz ab, prüft noch einmal die Riegel
des Tores und marschiert er hinüber zum Gebäude.
Die Droste ruft schon im Eingang dem Diener zu:
„Kerzen anzünden, August! Es ist soweit!", und als eS geschehen,
drückt sie dem Diener die Tischglocke in die Hand, hat sie schon aus dem
Tisch neben dem prangenden Baum ihre Pakete auSgeschüttet und steht
sie bei seinem Geläut mit gefalteten Händen starr wie eine geschnitzte
Heiligenfigur.
Erstaunt poltert der Freiherr die Treppe herab. Hinter ihm, im
gebührenden Abstand mit neugierigen Augen, kommt Schücking. Annettes
Schwester, eingeweiht in den heimlichen Plan, ordnet schnell noch selbst
das Silber auf dem gedeckten Tische — und hinter Laßbergs breitem
Rücken stehen nun die Bedienten: der Alte vom Einlaß mit seiner Frau,
die Magd, August, der Knecht.
„Was ist . ..", sagt Laßberg rauh .. . „Welch ein Firlefanz . .."
Doch bleibt ihm jedes weitere Wort in der Kehle stecken. Die tönende,
schmeichelnde Stimme seiner Schwägerin Annette beginnt init der Weih-
nachtSgeschichte aus der Heiligen Schrift, der schönsten Geschichte, die je
ein Dichter ersann .. . „Kaiser AugustuS sanhte ein Gebot auS.. .", und
während sie weiter spricht, zwingt die feierliche Schönheit ihrer Sprache,
das Leuchten über ihrem leicht geneigten Haupte auch den poltrigen alten
Freiherrn, die Hände zu falten, wie es seine Diener und seine Gattin
taten, tind selbst SchückingS ironisches Lächeln verliert sich wie fort-
gewischt aus seinem Antlitz. „Denn siehe, ich verkündige euch große
Freude ...", spricht Annette von Droste-Hülshoff unbeirrt zu Ende, und
eS wird Weihnachten in der Meersburg. Nach einem kleinen Schweigen
tvinkt sie jeden einzelnen heran. Nun kommt es heraus, was sie in diesen
Wochen soviel im Städtchen bei den Kaufleuten und Händlern zu tun
hatte. Fässer bekommt eine wollene Jacke für seinen Torwalterdienst.
Seine Frau knickst mit Tränen in den Augen, als Annette ihr ein schönes
buntes blmschlagetuch reicht. Für August ist eine neue Pfeife da, für
den Freiherrn ein seltenes Buch, das sie auö Stuttgart hatte kommen
lassen.
Als letzter ist Schücking nach. Er hat sich dem fröhlichen Schenken
abseits gehalten — als Bibliothekar weilt er erst wenige Wochen im
Hause. Eigentlich ist es ihm ein wenig peinlich, Zeuge der Familienfeier
zu sein, und schon will er sich zurückziehen, als Annette ihm ruft.
„Für Sie, Herr Schücking, habe ich dies, damit Sie uns nicht bei den
heftigen Winden um Meersburg über kalte Füße klagen brauchen —
ich habe meine Feder der ersten besten Gans an die Flügel gesteckt, meine
blauen Strümpfe ausgezogen und ganz ordinärweg ein Paar Pantoffeln
gestickt. Sie sollen ihnen beweisen, daß ich nicht nur nutzlos Gedichte
schreiben kann..."
Lachend nimmt auch Schücking die Gabe. Er beugt sich galant über
ihre weißschimmernde Hand mit dein durchscheinenden Geäder.
„Sogar mein Namenszug ist darin, wie ich sehe..."
„Nicht wahr? klnd auf dem zweiten Pantoffel zur Erinnerung an
Meersburg der meine: AD. Sonst würden Sie gar gleich die Spenderin
der mütterlichen Gabe vergessen ..."
„Keinesfalls!" kann Schücking sich nicht enthalten, zu erwidern. „Nur
— ich ge st eh's, dieses AD. erinnerte mich im ersten Augenblick an meinen
möglichen Abschied. Klingt es nicht wie ade? llnd wenn die Bibliothek
geordnet ist..."
„Zu Tisch!" unterbricht die Schloßherrin das Gespräch. „Nach dieser
erhebenden schönen Stunde darf man auch der guten nahrhaften Dinge
nicht vergessen. Der Freiherr hat sich sogar, wie ich sehe, entschlossen,
August in den Keller zu schicken und eine der angestaubtesten Rotwein-
flaschen heraufholen lassen ..."
Laßberg liest den Menschen mehr vom Munde ab, was sie sprechen,
als daß er's hört. Er verzieht sein Gesicht zu einer für seine Begriffe
und Art großen Freundlichkeit.
„Ja, ja, Schwägerin, so zwingen Sie mit ihrem herzlichen Glauben
und Kindersinn gar noch den früheren fürstenbergischen Regierungs-
direktor, die Weihnacht zu feiern! blnd wahrhaftig, es ist ein schönes
Bild: der harzige Baum des Waldes, bepackt mit Süßigkeiten und kleinen
Scherzen, strahlend in unserem alten Gemäuer! Da ist inan nun bald
an die Siebzig heran und lernt, daß alle Schönheit des Lebens, und am
wenigsten die stille, sich nie ganz ausbosten lassen wird."
Annette lächelt zu ihm hinüber und strengt sich an, lauf genug zu
sprechen:
„DaS ist schon wieder ein beinahe heidnisches Bekenntnis! Doch ich
bin glücklich, meinen Herrn Schwager nicht erzürnt zu sehen, ob meines
eigenmächtigen Arrangements, das einein gastfrei Aufgenommenen wie
mir nicht zusteht!"
Laßberg hebt das Glas.
„Zürnen? Gewiß — ich hatte die Absicht. Sie ist mir gründlich ver-
gangen vor Ihren schönen Augen, Schwägerin, blnd jetzt bin ich'ö, der
um Entschuldigung bittet: im Gelehrtenwinkel vergißt man gar zu leicht,
daS Leben. Und das Leben, das scheint mir der wahrhaftigste Dank an
die Göttlichkeit! Ihr Wohl, kleine schöne Schwägerin!"
Die Gläser klingen aneinander, auch Schücking hat sich erhoben und
sein Blick findet den Annettes. Er erschrickt vor dem innigen Feuer,
welches ihm entgegenstrahlt. Er fühlt etwas Geheimnisvolles aus diesem
Menschen sich um sein Herz weben und er wehrt sich mit all seinem
Willen dagegen.
„Heute hat Annette ganz gewonnen!" sagt ihre Schwester zärtlich.
Sie drückt einen Kuß auf die edle Stirn ihres Lieblings. „Ich bin so
froh, daß nun auch der Freiherr beginnt, sie ganz kennen und schätzen
zu lernen!"
Laßberg hat die Bewegungen ihrer Lippen genau verfolgt. Jetzt lacht
er gemütlich.
„Bei mir, der Burgruine, wie mich das Volk im Städtchen nennt,
hatte sie vom Tage ihres Erscheinens gewonnen!" Er wischt den Mund
Weihnachtsabend auf dem Wandbecker Schlosse 1796
(nach Theobald von Oers)
835
Fässer, dem Türhüter, der sein Guckfenster unter blutiger Hand aufzieht
und ihr wortlos einige Pakete reicht.
Sie streichelt kindlich seine,rauhe Hand wie zum Dank, schenkt ihm ihr
kleines Lächeln und sagt in Eile:
„Macht nur das Fenster zu Fässer! Heute am Christabend wird doch
niemand mehr sich melden — und wenn ich drinnen läuten lasse, wird
er mit seiner Frau antreten, verstanden?"
Das Fräulein — denkt er, schüttelt den grauen Kops — das Fräu-
lein! Immer noch wie ein Kind — und dabei so reizend und behend!
Aber gemütlich schließt er seinen Platz ab, prüft noch einmal die Riegel
des Tores und marschiert er hinüber zum Gebäude.
Die Droste ruft schon im Eingang dem Diener zu:
„Kerzen anzünden, August! Es ist soweit!", und als eS geschehen,
drückt sie dem Diener die Tischglocke in die Hand, hat sie schon aus dem
Tisch neben dem prangenden Baum ihre Pakete auSgeschüttet und steht
sie bei seinem Geläut mit gefalteten Händen starr wie eine geschnitzte
Heiligenfigur.
Erstaunt poltert der Freiherr die Treppe herab. Hinter ihm, im
gebührenden Abstand mit neugierigen Augen, kommt Schücking. Annettes
Schwester, eingeweiht in den heimlichen Plan, ordnet schnell noch selbst
das Silber auf dem gedeckten Tische — und hinter Laßbergs breitem
Rücken stehen nun die Bedienten: der Alte vom Einlaß mit seiner Frau,
die Magd, August, der Knecht.
„Was ist . ..", sagt Laßberg rauh .. . „Welch ein Firlefanz . .."
Doch bleibt ihm jedes weitere Wort in der Kehle stecken. Die tönende,
schmeichelnde Stimme seiner Schwägerin Annette beginnt init der Weih-
nachtSgeschichte aus der Heiligen Schrift, der schönsten Geschichte, die je
ein Dichter ersann .. . „Kaiser AugustuS sanhte ein Gebot auS.. .", und
während sie weiter spricht, zwingt die feierliche Schönheit ihrer Sprache,
das Leuchten über ihrem leicht geneigten Haupte auch den poltrigen alten
Freiherrn, die Hände zu falten, wie es seine Diener und seine Gattin
taten, tind selbst SchückingS ironisches Lächeln verliert sich wie fort-
gewischt aus seinem Antlitz. „Denn siehe, ich verkündige euch große
Freude ...", spricht Annette von Droste-Hülshoff unbeirrt zu Ende, und
eS wird Weihnachten in der Meersburg. Nach einem kleinen Schweigen
tvinkt sie jeden einzelnen heran. Nun kommt es heraus, was sie in diesen
Wochen soviel im Städtchen bei den Kaufleuten und Händlern zu tun
hatte. Fässer bekommt eine wollene Jacke für seinen Torwalterdienst.
Seine Frau knickst mit Tränen in den Augen, als Annette ihr ein schönes
buntes blmschlagetuch reicht. Für August ist eine neue Pfeife da, für
den Freiherrn ein seltenes Buch, das sie auö Stuttgart hatte kommen
lassen.
Als letzter ist Schücking nach. Er hat sich dem fröhlichen Schenken
abseits gehalten — als Bibliothekar weilt er erst wenige Wochen im
Hause. Eigentlich ist es ihm ein wenig peinlich, Zeuge der Familienfeier
zu sein, und schon will er sich zurückziehen, als Annette ihm ruft.
„Für Sie, Herr Schücking, habe ich dies, damit Sie uns nicht bei den
heftigen Winden um Meersburg über kalte Füße klagen brauchen —
ich habe meine Feder der ersten besten Gans an die Flügel gesteckt, meine
blauen Strümpfe ausgezogen und ganz ordinärweg ein Paar Pantoffeln
gestickt. Sie sollen ihnen beweisen, daß ich nicht nur nutzlos Gedichte
schreiben kann..."
Lachend nimmt auch Schücking die Gabe. Er beugt sich galant über
ihre weißschimmernde Hand mit dein durchscheinenden Geäder.
„Sogar mein Namenszug ist darin, wie ich sehe..."
„Nicht wahr? klnd auf dem zweiten Pantoffel zur Erinnerung an
Meersburg der meine: AD. Sonst würden Sie gar gleich die Spenderin
der mütterlichen Gabe vergessen ..."
„Keinesfalls!" kann Schücking sich nicht enthalten, zu erwidern. „Nur
— ich ge st eh's, dieses AD. erinnerte mich im ersten Augenblick an meinen
möglichen Abschied. Klingt es nicht wie ade? llnd wenn die Bibliothek
geordnet ist..."
„Zu Tisch!" unterbricht die Schloßherrin das Gespräch. „Nach dieser
erhebenden schönen Stunde darf man auch der guten nahrhaften Dinge
nicht vergessen. Der Freiherr hat sich sogar, wie ich sehe, entschlossen,
August in den Keller zu schicken und eine der angestaubtesten Rotwein-
flaschen heraufholen lassen ..."
Laßberg liest den Menschen mehr vom Munde ab, was sie sprechen,
als daß er's hört. Er verzieht sein Gesicht zu einer für seine Begriffe
und Art großen Freundlichkeit.
„Ja, ja, Schwägerin, so zwingen Sie mit ihrem herzlichen Glauben
und Kindersinn gar noch den früheren fürstenbergischen Regierungs-
direktor, die Weihnacht zu feiern! blnd wahrhaftig, es ist ein schönes
Bild: der harzige Baum des Waldes, bepackt mit Süßigkeiten und kleinen
Scherzen, strahlend in unserem alten Gemäuer! Da ist inan nun bald
an die Siebzig heran und lernt, daß alle Schönheit des Lebens, und am
wenigsten die stille, sich nie ganz ausbosten lassen wird."
Annette lächelt zu ihm hinüber und strengt sich an, lauf genug zu
sprechen:
„DaS ist schon wieder ein beinahe heidnisches Bekenntnis! Doch ich
bin glücklich, meinen Herrn Schwager nicht erzürnt zu sehen, ob meines
eigenmächtigen Arrangements, das einein gastfrei Aufgenommenen wie
mir nicht zusteht!"
Laßberg hebt das Glas.
„Zürnen? Gewiß — ich hatte die Absicht. Sie ist mir gründlich ver-
gangen vor Ihren schönen Augen, Schwägerin, blnd jetzt bin ich'ö, der
um Entschuldigung bittet: im Gelehrtenwinkel vergißt man gar zu leicht,
daS Leben. Und das Leben, das scheint mir der wahrhaftigste Dank an
die Göttlichkeit! Ihr Wohl, kleine schöne Schwägerin!"
Die Gläser klingen aneinander, auch Schücking hat sich erhoben und
sein Blick findet den Annettes. Er erschrickt vor dem innigen Feuer,
welches ihm entgegenstrahlt. Er fühlt etwas Geheimnisvolles aus diesem
Menschen sich um sein Herz weben und er wehrt sich mit all seinem
Willen dagegen.
„Heute hat Annette ganz gewonnen!" sagt ihre Schwester zärtlich.
Sie drückt einen Kuß auf die edle Stirn ihres Lieblings. „Ich bin so
froh, daß nun auch der Freiherr beginnt, sie ganz kennen und schätzen
zu lernen!"
Laßberg hat die Bewegungen ihrer Lippen genau verfolgt. Jetzt lacht
er gemütlich.
„Bei mir, der Burgruine, wie mich das Volk im Städtchen nennt,
hatte sie vom Tage ihres Erscheinens gewonnen!" Er wischt den Mund
Weihnachtsabend auf dem Wandbecker Schlosse 1796
(nach Theobald von Oers)
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