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DAS GESTÄNDNIS

Als LUuicf) Teerborn, Bankangestellter, an
einem Sonntagnachmittag gegen drei Illhr ans
der Badewanne stieg und schlaff das linke Bein
über den Rand hob, fühlte er, daß er das
Gleichgewicht verlor. Er ruderte mit den
Armen durch die Luft. Es war zu spät. Ehe
der linke Fuß an den Steinen Halt finden
konnte, war schon der rechte in der glatten
Wanne auSgeglitten, und Teerbom fiel quer-
über einen Holzschemel. Die Hüfte schmerzte
ihn ein wenig, sonst aber hatte er sich nicht
verletzt. Der Schreck jedoch benahm ihm fast
den Atem. Er hatte für einen Augenblick das
Gefühl gehabt, von einer Brücke in eine unge-
heure Tiefe zu stürzen. Er riß das Tuch vom
Haken und begann sich hastig abzureiben. Wie
er seine Knie trocknete, bemerkte er, daß sie
leicht zitterten. Er streifte sich sein blaßblaueS
Sonntagshemd über.

Gerade als er die Knöpfe über der Brust
schloß, und das ging schwer, denn die Knopf-
löcher waren noch von Stärke verklebt — da
ertappte er sich, daß er fang. Er hatte das
Gefühl, schon seit längerer Zeit gesungen zu
haben. Er sprang zur Tür, schloß auf und
blickte auf den Korridor. Aber es war niemand
dort, der ihn hätte hören können. Teerbom zog
sich schnell die Hose an und lief in sein Zimmer.
Die Tür schloß er hinter sich ab. Das rvar-
feine Gewohnheit. Sonst hätte er sich im Zim-
mer nicht wohl gefühlt. Er setzte sich aufs
Bett. Das Buch eines Staatsanwalts, darin er
vor Jahren einmal flüchtig geblättert hatte,
begann mit dem Satz: „Alle ineine Mörder
sahen wie Engel oder wie unschuldige Kinder
aus." Diesen Satz hatte Teerbom auf einer
Walzermelodie mehrfach leise vor sich hingesun-

ennlnis

Ein Wind, gütig fächelnd,
läßt Blätter und Tränen verwehn.
Empfange einst lächelnd
Die weinend dir nachgesehn.

Gewesen, nicht vergessen;

Erinnert, doch verziehn.

Was uns Besitztum schien,
hat keins von uns besessen,
war höchstens nur geliehn.

Joachim Ringelnatz t

(aus dem soeben bei Rowohlt-Berlin
erschienenen Nachlaßband.)

gen. Er ging zum Spiegel an dem hohen
dunkeln Kleiderschrank. Lange blickte er sich ins
Gesicht. Es war glatt und von einer völlig
ausdruckslosen Schönheit. Auf dem Nacht-
tisch stand eine offene, grün lackierte Dose
mit Hautcreme. Teerbom stieß zwei Finger
hinein und schmierte sich einen dicken fetten
Strich quer über das Gesicht. Dann zog er
eine Jacke über und blickte erst unterS Bett,
bevor er sich darauf legte. Die defekte Feder
in der Matratze rasselte. Im Nebenzimmer
wurdc leise gesprochen. Im obern Stockwerk
spielte jemand Klavier. Teerbom kannte das
Stück schon auswendig. Eine Frauenstimme
sang: „In Santa Lucia .. ."

Im Korridor ertönte die Klingel einmal kurz
und dann lang. Das war Gretas Zeichen. Teer-
bom rührte sich nicht. „Jetzt halte ich es nicht
mehr aus", dachte er, „jetzt sage ich alles."
Seine Augen waren geschloffen, die Stirn lag
in Falten. Die Zunge spielte über die Lippen.

Er hörte, wie der Fußboden des Korridors
unter den Filzpantoffeln der Wirtin knarrte;
dann hörte er das Rascheln der Gardine, die
vor dem runden Fenster in der Wohnungstür
hing. Die Schlüssel klirrten. Greta lachte. Die
Wirtin sagte: „Ah!" An dem festen, ein wenig
knirschenden Geräusch von Gretes Schritten er-
kannte Teerbom, daß sie ihre hohen Stiefel
anhatte. Natürlich, draußen regnete es wohl
wieder. Teerbom hatte noch nicht daran gedacht,
aus dem Fenster zu blicken. Es klopfte. Er-
rief: Herein!" Aber Greta rüttelte vergeblich
an der Klinke. Die Tür war abgeschlossen.
Teerbom sprang auf und drehte den Schlüssel
um. Greta brachte einen Schwall Kälte mit
ins Zimmer. Auch ihr Mund war kalt. Sie
lachte, als sie den Fettstrich in TeerbomS Gesicht
sah, und wischte ihn init ihrem dünnen parfü-
mierten Taschentuch ab. Teerbom tat eS wohl,
daß sie über ihn lachte. Wie lange er heute
wieder mal geschlafen habe, fragte sie, eS fei ja
schon fünf blhr. Teerbom erschrak. So lange
also hatte er in seinem Dämmerzustand auf d-em
Bett gelegen.

„Ich denke, wir gehen ins Kino?" sagte
Greta. Teerbom war jetzt so weiß wie
die gekalkte Zimmerdecke, hielt sich aber straff
aufrecht. Die Hände hatte er auf den
Knien liegen. Irgendwo im Hause orgelte ein
Lautsprecher. „Was ist Pfingsten, Greta?"
fragte Teerbom. „blnsre Verlobung, das ist
doch ausgemacht", sagte sie. „Paß einmal
auf", sagte er, „in der vorigen Woche — du
erinnerst dich — hattest du abends noch etwas
vergessen. Es war schon spät, du wolltest nicht
mehr schellen und riefst unter dem Fenster
meinen Namen. Ich zog die Jalousie hoch und
blickte in die dunkle Straße hinab. Jemand, der
Interesse daran gehabt hätte, mich zu beseiti-
gen, hätte dich mit vorgehaltenem Revolver
zwingen können, so lange zu rufen, bis mein

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Winterlandschaft

H. Mayrhofer-Passau
Register
Hermann Mayrhofer: Winterlandschaft
Carl Conrad: Das Geständnis
Joachim Ringelnatz: Erkenntnis
 
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