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Aus der Vorstadt

Nachbauer

Die Mamba hat sieh mitten vor der Tür zu
Kniehöhe aufgerichtet. Als habe auch sie einen
Schmuck angelegt, isi der Hals unterhalb
des Kopses hellschimmernd ansgebläht. Der
peitschenschlanke Körper ruht in stillen Windun-
gen aus dem Fußboden; nur der gereckte Dorder-
leib schwingt ganz sachte hin und her. In wut-
gesteigerten Skalen wiederholt sich kurz nach-
einander züngelndes Fanchen. Die kleinen,
bösen Augen schießen ihre siechenden Blicke
mitten in AlinaS Llickzentrum hinein. Aus
Doppelarmlänge sieht Alina ihr gegenüber und
jetzt ersaßt ihren Körper von innen her ein
Beben, das zwanghast allmählich von dem
gleichen Rhythmus getragen wird, der die sich
leise wiegende Schlange bewegt. Es ist wie der
Anstakt zu einem unheimlichen ekstatischen Tanz
von Mensch und Reptil.

Dumpse Hitze herrscht in dem Raum. Doch
Alina friert. Eine wahnsinnige Angst läßt sie
den drohenden Gistbiß schon jetzt säst körperlich
fühlen. Bor ihren furchtfiebernden Augen
wächst der Schlangenleib, weitet seinen gierig
geöffneten Rachen, um sie hinunterzuwürgen
wie Frosch oder Dogel. Roch behütet sie der
Bannkreis der Erstarrung, die jeden Schrei, jede
gefährliche Bewegung unterdrückt.

Die OnbesieAten

Ich weiß ein Heer von unbesiegten Streitern,
Die nimmer weichen und die nimmer

wanken,

Sie stehn im Glied, die Wciffe?i hoch, die

blanken,

Und trotzen euern Schützen, euern Reitern.

Sie stürmen eure Wälle ohne Leitern
Und auf er stehn, so viel auch ihrer sanken,
Weil sie vom Born des ewgen Lebens

tranken —

An diesem Heer wird euer Heer-zerscheitern.

Schon gehn sie unsichtbar um eure Hallen
Und hauen euerm Löwen auf die Pranken
Und hauen euern Adlern auf die Krallen.

Ihr Schlachtruf donnert, und clie Throne

schwanken,

Ihr Heerscliild blitzet, und die Tempel

fallen —

Kennt ihr die Streiter? — Das sind die

Gedanken.

Ludwig Pfau (1821—1894)

2>n diesen entscheidenden Augenblicken werden
draußen Schritte und Worte laut. Die Mamba
wird unruhig. Hinter Alina, dicht am Fenster,
erscheint ein Gesicht — das Gesicht der Mi Pi,
die im Borübergehen eine inenschliche Silhouette
in ihrem Zimmer bemerkte. Zunächst erkennt
sie nur Alina mit der Halskette. Doch die selt-
same Starre des Mädchens hält sie davon ab,
gegen die Scheibe zu klopfen.

„Zentgraf, die Mamba!" hört Alina rufen
und hört die knurrige Antwort des BaS.

Die weiße Misst oder die schwarze Mamba,
denkt Alina, die Misii oder die Mamba...
Dann reißt sie mit einem blitzschnellen Ruck
ihre Schürze ab, wirft sie über den Kopf der
Schlange und springt über den Tisch zum
Fenster, das sie aufreißt, um bewußtlos hin-
auszusinken.

Hause fällt ein Schuß: ersterbendes

Fauchen, Flüche des BaS. Alina schlägt er-
schreckt die Augen aus und blickt in ein helles,
blondumrahmtes Gesicht. Die Misii lächelt
spöttisch und sagt: „Gefällt dir meine Hals-
kette, Alina? Du solltest sie aber besier doch
nicht anlegen — sie birgt einen schlimmen
Zauber." Auch Alina lächelt ein wenig. Sie
denkt an Dirk.

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R. H. Nachbauer: Aus der Vorstadt
Ludwig Pfau: Die Unbesiegten
 
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