Zerstreutheit
Es ist über die Zerstreutheit der
Gelehrten mancherlei, vielleicht
schon z-nviel geschrieben Morden.
Immer wieder wird behauptet
daß der oder jener Mann der
Wissenschaft in diesem Punkte den
Vogel abschoß. Zu den Gelehr-
ten, von denen inan solches mit
Fug lind Recht annimmt, gehört
wohl auch der Historiker, der ein-
mal seine Pfeife an der Tischkante
ausklopfte und dabei — „Her-
ein! rief.
Die Gegengabe
Benjamin Franklin schrieb dem
englischen Staatsmann Sir Ro-
bert Walpole, Graf v. Oxford,
auf dessen Veranlassung man
allerhand Verbrecher in die ame-
rikanischen Kolonien schickte, die
dort in Strafniederlassungen an-
gestedelt wurden: „Wir iverden
Ihnen zuiii Dank für Ihre
Spende ebenso viele Klapper-
schlangen für die königlichen Gär-
ten senden!"
Engländer, Holländer, Deutsche wurden bei den Verwaltungsstellen
vorstellig, baten um Truppenentsendung — ein Lächeln, ein bedauerndes
Achselzucken. Niemand könne erwarten, daß Japan das kostbare Gut
seiner Soldaten in die Hölle der Berge entsende und dem ziemlich
sicheren Verderben ausliefere — um eines weißen Mannes wegen.
Telegramme gingen hin und her mit dem Erfolg, daß ein halbes
Dutzend Europäer, wohlausgerüstet, zusammentraf, um wenigstens den
Mönch aus den Klauen der Kopfjäger zu befreien. Mein Nachbar,
Waterstraat, der Teeplantagenbesitzer aus Rotterdam, Derdieu und
noch drei andere waren dabei!
Drei Wochen waren wir unterwegs. Das einstige Stammquartier
des Stammes war verlassen. Die Kopfjäger hatten die eigenen Hütten
rücksichtslos niedergebrannt und nur die typischen Überreste, ein paar
Skelette, zurückgelassen. An einem Baum befestigt fanden wir einen
Brief: „Der Herr hat mir die Pflicht und den Mut zum Opfer ein-
gegeben. So ihr mich findet, wird eö beim Stamnie der Tayal keinen
einzigen Kopfjäger mehr geben — ein letztes Opfer wird alle Schuld
sühnen!"
„Mein Gott!" sagte Derdieu. „Vor hundert Jahren hat ein japa-
nischer Mönch den Stamm Tso von der Kopfjagd auch durch ein
großes Opfer bekehren wollen. An bestimmter Stelle im blrwald sollten
die Jäger es finden — sie fanden einen in einen Sack genähten Menschen
und schlugen ihm den Kopf' ab. Es war der Japaner! Das Klima
macht hier ja selbst noch die Gelben verrückt!"
WaS soll ich Sie mit Einzelheiten des furchtbaren Kampfes mit dem
Klima, dem ürwald, dem unwegsamen Gebirge langweilen — genug,
am Ende eines Tagemarsches sahen wir Feuer durch die Bäume blitzen,
erblickten wir, näher schleichend, den Tanz widerlich bemalter Krieger.
Es dauerte eine Weile, bis wir heraus hatten, daß der Mittelpunkt
niemand anders als der Kirchenmann war, denn er begann plötzlich
mit lauter Stimme einen Choral zu singen. Alles von der Überraschung
eines Angriffs erhoffend, legten wir an — mehrmals knallten die
Peitschenschläge unserer Büchsen ins Lager. Für Minuten entstand eine
Panik — da reckte der Mönch den Arm und schrie den Eingeborenen
in ihrer Sprache etwas von einem Gottesgericht zu. Die Psychologie
dieser Menschenrasse zu erfassen wird uns Europäern nie gelingen.
Jedenfalls brüllten vier oder fünf Männer Befehle und plötzlich saßen
wir eingeklemmt zwischen dem Lager und seinen iin ürwald verteilten
Posten, und eS hagelte nicht nur Pfeile, sondern auch ganz nette kleine
Gewehrsalven, vor denen wir unS zurückziehen wollten — und, immer
nach vorn feuernd, einem Nebentrupp der Kopfjäger geradenwegs in
die Arme rannten.
ünd das Gemütlichste am Freudentaumel anläßlich unserer Gefangen-
nahme war, daß wir in einen Kreis von Kriegern eingeschlossen wurden,
deren Speerspitzen wie eine todbringende Mauer gegen uns gerichtet
waren. Der Mönch erzählte uns in kurzen Worten, daß er den fried-
lichen Teil des Stammes verlassen hatte, um sein Bekehr ungSwerk
nochmals bei den wilden TayaS zu beginnen. Sie hatten verlangt,
er solle ihnen als Sühneopfer den großen unsichtbaren Bären ausliefern,
dann würde niemals wieder eine Kopfjagd stattfinden. An dieser Auf-
gabe mußte er versagen und jetzt sollte er daran glauben, ünser Dazu-
kommen war geradezu ein Geschenk des heidnischen Gottes.
Soll ich Ihnen die gemütliche kleine Dorfolter schildern, der wir
allesamt auögesetzt wurden, indem man uns mit Speeren kitzelte, mit
brennenden Holzscheiten die Fußsohlen anwärmte — vermutlich, weil
Derdieu allmählich einen schrecklichen Schüttelfrost bekommen hatte?
Soll ich Ihnen auSmalen, wie mir zumute war, als der Häuptling
daran ging, zuerst dem Mönch, dann Derdieu, die von sechs Männern
gehalten wurden, glattweg den Kopf vom Rumpf zu trennen? In
einer weiteren Minute würde ich ebenfalls auf so unappetitliche Weise
und vollkommen unsymmetrisch halbiert auf dem Boden liegen und auS-
bluten!
Der Holländer und ich wurden zufolge einem geheimen Ritus für
eine Viertelstunde „zurückgestellt". Es begann ein entsetzlicher Tanz der
Eingeborenen um die Flammen — und dieser Tanz brach mit einem
Schlage ab. Namenloser Schrecken malte sich in den Mienen der
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Es ist über die Zerstreutheit der
Gelehrten mancherlei, vielleicht
schon z-nviel geschrieben Morden.
Immer wieder wird behauptet
daß der oder jener Mann der
Wissenschaft in diesem Punkte den
Vogel abschoß. Zu den Gelehr-
ten, von denen inan solches mit
Fug lind Recht annimmt, gehört
wohl auch der Historiker, der ein-
mal seine Pfeife an der Tischkante
ausklopfte und dabei — „Her-
ein! rief.
Die Gegengabe
Benjamin Franklin schrieb dem
englischen Staatsmann Sir Ro-
bert Walpole, Graf v. Oxford,
auf dessen Veranlassung man
allerhand Verbrecher in die ame-
rikanischen Kolonien schickte, die
dort in Strafniederlassungen an-
gestedelt wurden: „Wir iverden
Ihnen zuiii Dank für Ihre
Spende ebenso viele Klapper-
schlangen für die königlichen Gär-
ten senden!"
Engländer, Holländer, Deutsche wurden bei den Verwaltungsstellen
vorstellig, baten um Truppenentsendung — ein Lächeln, ein bedauerndes
Achselzucken. Niemand könne erwarten, daß Japan das kostbare Gut
seiner Soldaten in die Hölle der Berge entsende und dem ziemlich
sicheren Verderben ausliefere — um eines weißen Mannes wegen.
Telegramme gingen hin und her mit dem Erfolg, daß ein halbes
Dutzend Europäer, wohlausgerüstet, zusammentraf, um wenigstens den
Mönch aus den Klauen der Kopfjäger zu befreien. Mein Nachbar,
Waterstraat, der Teeplantagenbesitzer aus Rotterdam, Derdieu und
noch drei andere waren dabei!
Drei Wochen waren wir unterwegs. Das einstige Stammquartier
des Stammes war verlassen. Die Kopfjäger hatten die eigenen Hütten
rücksichtslos niedergebrannt und nur die typischen Überreste, ein paar
Skelette, zurückgelassen. An einem Baum befestigt fanden wir einen
Brief: „Der Herr hat mir die Pflicht und den Mut zum Opfer ein-
gegeben. So ihr mich findet, wird eö beim Stamnie der Tayal keinen
einzigen Kopfjäger mehr geben — ein letztes Opfer wird alle Schuld
sühnen!"
„Mein Gott!" sagte Derdieu. „Vor hundert Jahren hat ein japa-
nischer Mönch den Stamm Tso von der Kopfjagd auch durch ein
großes Opfer bekehren wollen. An bestimmter Stelle im blrwald sollten
die Jäger es finden — sie fanden einen in einen Sack genähten Menschen
und schlugen ihm den Kopf' ab. Es war der Japaner! Das Klima
macht hier ja selbst noch die Gelben verrückt!"
WaS soll ich Sie mit Einzelheiten des furchtbaren Kampfes mit dem
Klima, dem ürwald, dem unwegsamen Gebirge langweilen — genug,
am Ende eines Tagemarsches sahen wir Feuer durch die Bäume blitzen,
erblickten wir, näher schleichend, den Tanz widerlich bemalter Krieger.
Es dauerte eine Weile, bis wir heraus hatten, daß der Mittelpunkt
niemand anders als der Kirchenmann war, denn er begann plötzlich
mit lauter Stimme einen Choral zu singen. Alles von der Überraschung
eines Angriffs erhoffend, legten wir an — mehrmals knallten die
Peitschenschläge unserer Büchsen ins Lager. Für Minuten entstand eine
Panik — da reckte der Mönch den Arm und schrie den Eingeborenen
in ihrer Sprache etwas von einem Gottesgericht zu. Die Psychologie
dieser Menschenrasse zu erfassen wird uns Europäern nie gelingen.
Jedenfalls brüllten vier oder fünf Männer Befehle und plötzlich saßen
wir eingeklemmt zwischen dem Lager und seinen iin ürwald verteilten
Posten, und eS hagelte nicht nur Pfeile, sondern auch ganz nette kleine
Gewehrsalven, vor denen wir unS zurückziehen wollten — und, immer
nach vorn feuernd, einem Nebentrupp der Kopfjäger geradenwegs in
die Arme rannten.
ünd das Gemütlichste am Freudentaumel anläßlich unserer Gefangen-
nahme war, daß wir in einen Kreis von Kriegern eingeschlossen wurden,
deren Speerspitzen wie eine todbringende Mauer gegen uns gerichtet
waren. Der Mönch erzählte uns in kurzen Worten, daß er den fried-
lichen Teil des Stammes verlassen hatte, um sein Bekehr ungSwerk
nochmals bei den wilden TayaS zu beginnen. Sie hatten verlangt,
er solle ihnen als Sühneopfer den großen unsichtbaren Bären ausliefern,
dann würde niemals wieder eine Kopfjagd stattfinden. An dieser Auf-
gabe mußte er versagen und jetzt sollte er daran glauben, ünser Dazu-
kommen war geradezu ein Geschenk des heidnischen Gottes.
Soll ich Ihnen die gemütliche kleine Dorfolter schildern, der wir
allesamt auögesetzt wurden, indem man uns mit Speeren kitzelte, mit
brennenden Holzscheiten die Fußsohlen anwärmte — vermutlich, weil
Derdieu allmählich einen schrecklichen Schüttelfrost bekommen hatte?
Soll ich Ihnen auSmalen, wie mir zumute war, als der Häuptling
daran ging, zuerst dem Mönch, dann Derdieu, die von sechs Männern
gehalten wurden, glattweg den Kopf vom Rumpf zu trennen? In
einer weiteren Minute würde ich ebenfalls auf so unappetitliche Weise
und vollkommen unsymmetrisch halbiert auf dem Boden liegen und auS-
bluten!
Der Holländer und ich wurden zufolge einem geheimen Ritus für
eine Viertelstunde „zurückgestellt". Es begann ein entsetzlicher Tanz der
Eingeborenen um die Flammen — und dieser Tanz brach mit einem
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