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J u G E

4 1. JAHRGANG

N D

1 9 3 6 / N R. 4

PFEIFENGESCHICHTE

QJon O^arl ahnmuIler

Am D^ad)mittag war Anton draußen gewesen im Wasenwald, wo eS
ein Scheibenschießen gegeben hatte, und nun schlenkerte er, hungrig und
eines unbestimmten Verlangens voll, heimwärts. Ein schöner Heller-
Schein war über die Straßen ausgegossen, den die Fensterscheiben und
die gläsernen Ladenschilder glitzernd Zurückgaben. Mitunter schob sich
aber ein weißes Wölkchen vor die Sonne, und dann wurde ein lochender
Schatten, ein dunkler Schleier über die Stadt gezogen, der den lichten
Glanz verlöschte. Er streifte auch Anton, der halblaut vor sich hin-
summte, und ließ ihn, den Vögeln gleich, stumm werden. Aber nicht
lange und das Gesinge begann von neuem.

Sein Gesicht war noch milchern und kindhaft, doch eS gab auch schon
Zeichen an ihm, daß er sich der Schwelle näherte, über die man ins
männliche Leben eingeht. Einstweilen benahm er sich freilich ganz nach
der Weise der Knaben. Er schlug sich mit der Haselnußgerte, die er
am Straßenrand geschnitten hatte, gegen die Hosen, setzte sich wie ein
störrischer Gaul, der die Nähe des Stalles wittert, in einen gelinden
Trab und bog geschwind in die Färbergasse ein. Die klappernde Stiege
hinauf nahm er drei Stufen auf einmal und stand dann heftig atmend
vor der Tür. Doch sie öffnete sich nicht.

Seine Eltern waren noch nicht zu Hause. Er hatte sie draußen vor-
dem SchützenhauS im mahlenden Gewühle verloren und, weil sich der
Wettkampf noch lange hinziehen konnte, nicht eben fleißig gesucht. Ein
klingendes Geschmetter hatte ihn dann zum Karussel hinübergelockt, das
mit seinen Tieren schwebend und flimmernd kreiste. RingS aber stieg
die sommerliche Lust auf ihre höchste Stufe. Rote und grüne Luft-
ballone schwebten über der treibenden Menge, und, von vielen Füßen
aufgewirbelt, erhob sich der Staub. Aus den Zelten drang das Ge-
lächter der Trinkenden. Junge Mädchen wiegten sich, und ihre hell-
gelackten Hütchen schaukelten an Anton vorüber, verschwanden und
tauchten als ferne Lichtpünktchen noch einmal auf. Don allem ange-
sprochen und berührt, schlenderte Anton dahin und verlor sich. Einmal
war es ihm vorgekommen, als habe er seine Eltern, schon sehr weit
weg, der Stadt zumarschieren gesehen. Etwas in ihm widersprach der
Pflicht, deren er sich wohl erinnerte, aber dunkel entschlossen blieb er
bei der Schiffsschaukel. Es war dort ein Mann, dem es gegeben war,
leichthin, mit einer kleinen Handbewegung nur, den sausenden Flug der
Schiffe hinauf und hinab zu hemmen. Fruchtlos schritt er in seiner
blauen Matrosentracht unter den gefährlich schwingenden Booten ein-
her, und er rauchte, wie wenn nichts weiter wäre, gelassen seine kleine
Stummelpfeife. Anton bewunderte ihn und seine Macht. Ein einziges
Mal, hatte er sich vorgenommen, wollte er noch abwarten und sehen,
wie jener die wildschaukelnden jungen Burschen bändigte und nicht ganz
hinaufsteigen ließ gegen das rot- und weißgestreifte Zeltdach, doch un-
widerstehlich festgehalten blieb er da. Er hörte die Glocke aus Messing
noch oft gellen, und viele Male bremste der Matrose den Flug. Knirr-
schend hielten die Schiffe an und begannen wieder und wieder ihre
Fahrt dem Himmel entgegen. Es ivar schwer gewesen, sich da endlich
loözubinden, aber eS mußt doch geschehen. In der Allee drehte er sich
oft herum und blickte rückwärts. DaS Gedudel und das Geschrei hing
ihm lange in den Ohren, die Melodien wollten nicht weichen, und sie
kamen ihm wie von selbst auf die Lippen. Er war ungern geschieden,
nun fand er das HauS leer und sich betrogen.

Wohl lag der Schlüssel wie immer bei derlei Gelegenheiten, unter der
Fußmatte, aber dies besänftigte ihn wenig. Sein Hunger meldete sich
wieder, und als ihm dann in der Küche ein fetter Dunst in die Nase
stieg, wurde die Leere im Leib nur noch fühlbarer. Er zog zwei, drei
Schubladen auf, schob sie gedankenlos wieder zurück, schnitt sich dann

eine Kante vom Brotlaib und aß auch eine kalte Kartoffel, die vom
Mittagessen übrig geblieben war. Im Schrank stand eine Schale mit
Zucker, er wußte es wohl, doch er traute sich nicht recht heran. Miß-
mutig trat er in die Stube, die ihm nüchterner als je vorkam. Die
rote Plüschdecke lag wieder auf dem Tisch, die Stühle standen in peinlich
ausgerichteten Reihen, und alles hatte das reine und streng geordnete
Aussehen, daS sich für den Sonntagnachmittag geziemte. Es war
gefährlich, sich länger in dieser Ordnung aufzuhalten, die so leicht und
wie von selbst zergehen konnte. Unentschlossen lungerte er herum, hier
und da verweilend, ohne Ruhe. Er lehnte am Fenster, sah auf die
verlassene Färbergasse hinunter und dann wieder auf die Uhr, die so
träge tickte und nicht weiter kain. Er wartete. Er wartete auf dem
Sofa, legte sich lang hin, zog die Beine an den Leib und die Stiefel
aufs Polster, um gleich wieder aufzustehen, wie als fei er bei seinem
Frevel ertappt.

Schließlich wurde er seines Vaters Tabakspfeife gewahr, die an
einem Nagel über dem Sofa hing. Den Kopf schief auf die Schulter
geneigt, stand er davor und betrachtete sie eindringlich. Sie hatte einen
verrauchten Kopf, der aus Porzellan war. Es drängte ihn, daS selt-
same Ding, das er schon oft begehrlich angeblickt hatte, herunter und
in die Hände zu nehmen. Ein scharfer durchdringender Geruch war in
ihren Ouasten verfangen. Kühl hing ihm daS beinerne Mundstück
zwischen den Lippen. Er tat etliche kalte Züge, die ihm einen beißenden
Geschmack auf die Zunge brachten, allein, er hielt sich tapfer und zog
ein strenges und feierliches Gesicht. Er marschierte mit großen Schritten
in der Stube hin und her, seine Arme verschränkten sich vor der Brust,
die gewaltig anschwoll, und er kam sich gewachsen und älter vor.
Manchmal klappte er auch den silbernen Deckel auf und stopfte mit
dem Zeigefinger die eingebildete Glut weiter ins rußige Innere, wie er
eS bei dem Matrosen von der Schiffsschaukel gesehen hatte, blnd so-
lange sein närrisches Gehaben währte, hatte er nur eines vor den
Augen: den furchtlosen mächtigen Mann, der gelassen in Gefahren
ivar, der lächelte und seine Pfeife rauchte, wie wenn nichts weiter wäre.
Ihm trachtete er es gleichzutun. Anderen vielleicht wäre diese Gestalt
zweifelhaft und der Nachfolge unwürdig vorgekommen, Anton schritt
hinter ihr her mit dem traumhaften Vorsatz, nicht zu versagen. Kühn
geworden nach seinem Vorbild stieg er auf den Tisch, achtete nicht auf
die rote Plüschdecke und ließ die Lampe an ihren Schnüren schwanken.
Es klirrte das GlaS und sein Herz, doch im Gesicht rührte sich nichts.
Seine Phantasie aber löste sich und malte eine dichtgestaute Menge, er
lächelte ihr zu und empfing Bewunderung. Als er aber mitten in feinen
Taten jemanden die Treppe heraufkommen hörte, zuckte er heftig zu-
sammen, nahm die Pfeife auS dem Mund und wußte nicht wohin mit
sich und ihr.

Es war, als habe ihm eine geschwinde Hand die Maske vom Gesicht
genommen. Sein kindliches Antlitz kam wieder zum Vorschein und die
Angst, die eS erstarren ließ, machte auch seine Glieder regloS. Da stand
er, auf seinen Tisch gebannt, blickte ratlos zur Tür hinüber und wartete,
daß sie aufging. DieS geschah nicht, wiewohl eS ihm nicht ganz glaub-
haft scheinen wollte. Die Schritte gingen wirklich an seiner Tür vor-
über, er konnte aufatmcn, doch er wurde nicht froh. Nun, da eS ernst
gewesen war, hatte er sich keineswegs bewährt, er war nicht mutig
gewesen, daS war nun offenbar, und eine bedrängende Traurigkeit
bemächtigte sich seiner. Schon war er dabei, die Pfeife, die ihn ^verführt
und zu dieser Niederlage gebracht hatte, wieder an ihren Nagel zu
hängen, als sie ihm aus den unsicher gewordenen Fingern glitt. Allerlei
lag da auf dem Boden. Klopfenden Herzens neigte er sich über die

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Karl Bahnmüller: Pfeifengeschichte
 
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