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Der Maisingersee H. Mayrhofer-Passau

„Ich bin Hausmeister und sichre die Besucher."

„So! bind kommen deren viele?"

„D ja! Tagtäglich."

Der Besucher drehte sich wieder um, und der Hausmeister begann mit
seinen üblichen Ausführungen.

„Hier in dieser Stube, mein Herr, wenn eS Sie interessiert — hat
Goethe beinahe fünfzig Jahre lang gearbeitet. Hier vollendete er den
,Faust'. Hier entstanden die Romane, die wissenschaftlichen Arbeiten und
viele Gedichte..."

Der Fremde unterbrach rasch: „Woher wissen Sie das?"

„Es ist überliefert — und außerdem gibt eS gründliche Biographien!"

„So ist also mancherlei über diesen Herrn von Goethe geschrieben
worden?" —

Der Hausmeister blickte unsicher umher und fuhr fort:

„Die Literatur über Goethe ist unübersehbar und wächst von Tag zu
Tag. Diese Stube hier würde nicht auSreichen, um die ungezählten
Bände, die über ihn geschrieben worden sind, auszunehmen!"

„Hm! Hm!" ließ sich der Besucher vernehmen und begann, in der
Stube auf und ab zu gehen, oder vielmehr, einen Rundgang um den
Tisch zu unternehmen.

„Welcher Natur sind diese Bücher alle?" forschte er weiter.

„Oh, sehr verschiedener Art! Das meiste ist wohl biographisch",
meinte der Gefragte, „außerdem ist Goethes Weltanschauung ..."

„Ah! Ich verstehe! Wie steht es denn aber mit der Würdigung der
wissenschaftlichen Arbeiten deS Herrn von Goethe?"

„Weniger gut! — Die Professoren sind der Ansicht, daß Goethes
Farbenlehre kein wissenschaftliches Werk ist — verzeihen Sie! —, sogar
auf gewissen Irrtümern beruht!"

Der Fremde, der mit sichtbar großem Interesse seine Frage gestellt
hatte, veränderte jäh seinen freundlich-aufmerksamen Gesichtsausdruck und
wandte sich stumm und verärgert ab.

„Der Herr ist wohl ein großer Goethekenner?" wagte der Haus-
meister zu fragen. Aber es dauerte einige Zeit, bis er zur Antwort
erhielt: „O ja, ich glaube!" —

Allmählich fand der Besucher seine Ruhe wieder und der Haus-
meister fuhr schwatzhaft fort:

„Die Forschungsarbeit über Goethes Lebensgeschichte dringt heute
schon in die kleinsten Details vor ..."

„Wie das?" unterbrach der Besucher erschrocken.

„Ach ja, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen der Merkwürdigkeit halber
erwähne, daß ein Studiosus der ärztlichen Zahnheilkunde in einer süd-

deutschen Universität unlängst eine Doktordissertation über das Thema
,Goethe und — seine Zahnschmerzen* zur Prüfung eingereicht hat!"
Unwillkürlich fuhr der Gast mit der rechten Hand schützend an die
Backe. —

„Und hat er den gewünschten GraduS erhalten?"

„Allem Anschein nach!"

Der Fremde schwieg und setzte sich schweigend in Bewegung, rund
um den Tisch herum.

Der Hausmeister nahm seine Führung wieder auf und erzählte in
leierndem Ton:

„Hier pflegte Goethe für gewöhnlich seinem Sekretär einige Stunden .
lang zu diktieren. Während der Arbeit hatte er die Angewohnheit, rund
um diesen Tisch zu marschieren ..."

„Wie ich es jetzt bellebe!" ergänzte der Besucher.

Der Hausmeister stockte und betrachtete den Besucher mit erstaunten
Augen. „Lassen Sie eS aber nun gut sein, mein Lieber!" sagte dieser
und drängte ihn auS der Stube hinaus. Im Gehen warf er einen
raschen Blick durch die offene Tür in das kleine Schlafgemach nebenan.
Der Hausmeister flüsterte: „In diesem Zimmer starb Goethe. Seine
letzten Worte waren ..." Aber der Gast unterbrach seinen rührenden
Bericht mit einem kühlen „Weiß schon!"

Der „Gast" begab sich ins „Iunozimmer". Der Hausmeister beeilte
sich, ihm zu folgen. Vor der Kolossalbüste der Juno blieb der Fremde
betrachtend stehen und sein ruhiges Auge glitt über das zeitloje Antlitz
der Göttin. — Das Tutgeräusch eines Autos auf der Straße störte ihn,
und er trat an eines der Fenster, schob den Stör zurück und blickte hinab.

„Aber was sind denn das für lackierte Chaisen, die sich von selbst
bewegen?" fragte er verwundert.

„Der Herr ist wohl ein Spaßvogel!" gab der Hausmeister lachend
zur Antwort, „oder sollten Sie wirklich nicht wißen, daß eS Autos gibt?

„Wie beliebt?" meinte der alte Herr in scherzendem Ton und bat
höflich um nähere Auskunft.

„Autos, AutoS, Kraftwagen, Motordroschken, Automobile!" rief der
Hausmeister laut lachend.

„Autos", flüsterte der Greis, „ah, ich verstehe! Also Wagen, die sich
selbst betreiben! Eine unglaubliche Erfindung — und ihre Geschwindig- ^
keit ist erstaunlich! Zum Exempel! In welcher Zeit fahren Sie mit
Ihrer Motordroschke von hier nach Rom?" —

„In knapp drei Tagen!"

„Erstaunlich!" rief der Fremde aus, „einst brauchte man für dieselbe
Strecke sieben ganze Wochen, fuhr in der elendesten Kutsche, einer ver-

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Hermann Mayrhofer: Der Maisingersee
 
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