Auch jetzt, als seine Frau aus der Stube ge-
gangen war, saß er traurig da. Wir beobach-
teten ihn heimlich. Auf einmal sahen wir seine
Frau auf dem Platz vor dem Gasthof hin und
her gehen; sie ging schnell, wie nach einem vor-
gefaßten, bestimmten Plan, von der Tür etwa
zwanzig Meter weit bis zur Tanne und immer
wieder zurück. Dabei rauchte sie und man sah
deutlich ihre rotlackierten Fingernägel. Sie
ging immer auf und ab. Ihre Lippen beweg-
ten sich dabei, als ob sie redete, und die hohen
Absätze ihrer Halbschuhe, die sie auch hier trug,
bohrten mit einem knirschenden Geräusch kleine
Löcher in den nassen Sand. In der rechten
Hand hielt sie einen aufgespannten Regenschirm.
Sie wolle nicht dick werden, hatte sie Lore in
ihrem Kauderwelsch gestanden und deshalb liefe
sie nach jeder Mahlzeit tausend Schritte, wie
es ihre Sekte vorschriebe. Dabei hatte sie ein
Buch vorgezeigt mit Vorschriften und Sen-
tenzen, die sie fast alle auswendig hersagen
konnte. Lore hatte die kleine ältere und rund-
liche Frau mit dem energischen Gesicht stumm
angesehen und nicht einmal gelächelt. ^zch hatte
sie dafür gelobt und so war eS unS im Ge-
dächtnis geblieben.
Gerade als die Amerikanerin inS HauS zu-
rückging hörte es auf, zu regnen. Lore fragte
mich, ob ich schon einmal ein vierblätterigeS
Kleeblatt gefunden hätte.
„Bis jetzt noch nicht", antwortete ich, „ob-
wohl ich bei jedem Spaziergang danach gesucht
habe, blnd du?"
„Ich auch nicht", sagte Lore. „Aber wollen
wir nicht ein bißchen spazieren gehen? Ich bin
zimmermüde." Sie lachte laut, als ich etwas
von nassen Schuhen und nassem Gras und
Schnupfen in dieser Einsamkeit murmelte. Also
gingen wir loS. Mit dicken Nagelschuhen und
echten Lodenmänteln. Es war nicht hell ge-
worden, aber die Luft war sauber, wie wenn sie
eben aus dem Bad gestiegen wäre, und so klar,
daß man einfach nicht anders konnte, als sich zu
strecken, die Arme zurückzubiegen und tief einzu-
atmen. Es roch kräftig nach Sauberkeit und
Kräutern und Latschen. Wenn man unter den
Bäumen ging, regnete es manchmal noch; dann
hatte der Wind die nassen Äste geschüttelt und
die blitzenden, zitternden Tropfen stürzten lär-
mend auf einen nieder. Der lehmige Boden der
Waldwege war rot und glänzte wie Speck und
die Steine waren wie lackiert. Neben unS,
etwas tiefer, rauschte das wilde graugrüne
Wasser, selten sahen wir es durch eine Tannen-
lichtung Heraufschimmern. Noch immer wehten
graue und weiße lange Wolkenfetzen über unS
an den finsteren Bergwänden hin. Unsere
Schritte klangen dumpf zwischen den Bäumen
auf dem feuchten Lehm. Manchmal klirrten die
Nägel auf den Steinen. Lore behauptete dann,
Funken gesehen zu haben, seitdem sie einmal von
diesem Phänomen gehört hatte. Sie nahm den
Hut ab und sagte, ich solle ihn in die Tasche
stecken. Aber da sie groß war und hohe schlanke
Schenkel hatte, streiften ihre blonden Haare die
Zweige. Dann blieb sie hängen, miaute und
nestelte blind an ihrem Kopf herum. JedeSmal
schnellte dann der Zweig, befreit, in die Höhe
und begoß sie mit seinen tausend blitzenden
Regentropfen, die an ihm gesessen hatten. Ihr
Haar war schon ganz naß. Ich ging neben
Lore und jedeSmal, wenn sie, wie Absalom, von
dem Gestrüpp gefangen worden war, blieb ich
stehen und bückte mich und suchte im fett und
dunkelgrün glänzenden Graben nach Glücksklee.
Wir waren noch nicht weit gegangen, als ich
das erste vierblättrige Kleeblatt fand. Eigent-
lich hatte ich gar nicht gesucht, meine Hand
war einfach magnetisch angezogen worden.
„Loa" rief ich, „Loa sieh mal rasch, was ich
da habe," und ich hielt ihr daS Blättchen wie
eine Kostbarkeit zwischen Mittelfinger und
Daumen hin, während ich die linke Hand da-
runter hielt, als könnte ich eS verlieren und dann
nie mehr wiederfinden. Lore schaute miß-
traurisch, ob ich nicht lachte und fragte, wo ich
das gefunden hätte, ^zch lachte nicht und be-
schrieb ihr, wo und wie ich das Blatt gefunden
hatte. Sie nahm eS in die Hand und zählte vor-
sichtig und ungläubig die vier Blätter. Sie
sagte bloß: „Ach, wie wundervoll, Hermann."
Dann wurde sie ärgerlich, daß sie ständig mit
ihren Haaren hängen bliebe und zu nichts käme,
während ich Zeit zum Suchen hätte.
„Und zum Finden" sagte ich.
„Gib mir meine Mütze", sagte sie, „ich will
auch suchen."
Zch fühle fast so etwas wie Stolz.
„Das ist der erste Glücksklee, den ich in
meinem Leben gefunden habe, Loa," sagte ich,
„und den habe ich eigentlich nicht gesucht. Der
ist mir von allein in die Finger gewachsen."
Aber Stolz war eS nicht, fühlte ich dann, eS war
mehr eine Zufriedenheit mit dem wohlwollenden
Schicksal, das mir Glück bringen wollte.
Lore hörte schon nicht mehr. Sie saß da
irgendwo im Graben und suchte nach Glücks-
klee. Ich mahnte weiterzugehen, sie werde sich
bestimmt erkälten. Aber sie suchte weiter. Ich
ging langsam voraus. Sie kam mir nach,
ärgerlich und niedergeschlagen.
„Ich bin nicht neidisch", sagte sie mit hän-
gender Lippe, „aber das ist ungerecht. Du hast
nicht einmal gesucht und ich suche andauernd
und finde nichts."
Ich konnte ihr nicht zeigen, daß ich stolz auf
den Fund war, ich redete von gütigem Geschick
für unS beide, es sei doch schon viel, einen
Glücksklee zu finden, den ersten im Leben, und
den auf unserer ersten gemeinsamen Reise.
Dann bot ich ihr daS Blättchen an, indem ich
mich auf die Aussage unserer Amerikanerin
berief.
„Glück bringt so etwas erst", sagte ich
pathetisch wie die Sektiererin, „wenn man es
herschenkt! Hier, Liebste, bewahre und presse
es!"
Lore aber war schon wieder unter eine Tanne
gekrochen und suchte. Sie wollte das Kleeblatt
nicht geschenkt haben. Man dürfe das Glück
nicht herschenken, sagte sie, ich fei doch vorhin
der gleichen Meinung gewesen. Sie hatte recht.
„Die Amerikanerin hat auch zwei Glücks-
blätter heute gefunden", sagte sie verbissen und
suchte. Sie fand nichts. Wir gingen weiter.
Es gab große Pfützen, deren Wasser rot war
vom Lehm und die aussahen wie verschüttete
Farbe. Lore sah sie nicht an. Sie kümmerte
sich überhaupt um nichts mehr. Sie ging
stumm vor sich hin. Sie sah richtig vergrämt
aus, fand ich. Auf einmal blieb sie stehen. Nur
ihre rechte Stiefelspitze bewegte sich. Sie sah
auf den Boden.
„Hermann, komm schnell her", rief sie,
„siehst du das auch, was ich sehe?" Sie war
aufgeregt. Ich ging hinüber zu ihr und bückte
mich, um besser zu sehen.
„Nicht", sagte sie und stieß mich mit der
Stiefelspitze weg, „nicht!"
„WaS ist denn los?" sagte ich, „ich sehe ja
gar nichts."
„Wieso, ist das nichts?" sagte sie und zeigte
mir ein vierblättriges Kleeblatt, das sie eben
gepflückt hatte. Sie lachte.
„Siehst du", sagte ich, „man darf nicht
suchen, dann findet man!"
„Ach du mit deinem »siehst du, siehst duS
sagte sie ärgerlich, „wie ein Lehrer tust du.
Aber du bist bloß neidisch, daß ich auch eins
gesunden habe."
jrf) lachte und ging auf sie zu, nahm sie in
(Fortsetzung S. 60)
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gangen war, saß er traurig da. Wir beobach-
teten ihn heimlich. Auf einmal sahen wir seine
Frau auf dem Platz vor dem Gasthof hin und
her gehen; sie ging schnell, wie nach einem vor-
gefaßten, bestimmten Plan, von der Tür etwa
zwanzig Meter weit bis zur Tanne und immer
wieder zurück. Dabei rauchte sie und man sah
deutlich ihre rotlackierten Fingernägel. Sie
ging immer auf und ab. Ihre Lippen beweg-
ten sich dabei, als ob sie redete, und die hohen
Absätze ihrer Halbschuhe, die sie auch hier trug,
bohrten mit einem knirschenden Geräusch kleine
Löcher in den nassen Sand. In der rechten
Hand hielt sie einen aufgespannten Regenschirm.
Sie wolle nicht dick werden, hatte sie Lore in
ihrem Kauderwelsch gestanden und deshalb liefe
sie nach jeder Mahlzeit tausend Schritte, wie
es ihre Sekte vorschriebe. Dabei hatte sie ein
Buch vorgezeigt mit Vorschriften und Sen-
tenzen, die sie fast alle auswendig hersagen
konnte. Lore hatte die kleine ältere und rund-
liche Frau mit dem energischen Gesicht stumm
angesehen und nicht einmal gelächelt. ^zch hatte
sie dafür gelobt und so war eS unS im Ge-
dächtnis geblieben.
Gerade als die Amerikanerin inS HauS zu-
rückging hörte es auf, zu regnen. Lore fragte
mich, ob ich schon einmal ein vierblätterigeS
Kleeblatt gefunden hätte.
„Bis jetzt noch nicht", antwortete ich, „ob-
wohl ich bei jedem Spaziergang danach gesucht
habe, blnd du?"
„Ich auch nicht", sagte Lore. „Aber wollen
wir nicht ein bißchen spazieren gehen? Ich bin
zimmermüde." Sie lachte laut, als ich etwas
von nassen Schuhen und nassem Gras und
Schnupfen in dieser Einsamkeit murmelte. Also
gingen wir loS. Mit dicken Nagelschuhen und
echten Lodenmänteln. Es war nicht hell ge-
worden, aber die Luft war sauber, wie wenn sie
eben aus dem Bad gestiegen wäre, und so klar,
daß man einfach nicht anders konnte, als sich zu
strecken, die Arme zurückzubiegen und tief einzu-
atmen. Es roch kräftig nach Sauberkeit und
Kräutern und Latschen. Wenn man unter den
Bäumen ging, regnete es manchmal noch; dann
hatte der Wind die nassen Äste geschüttelt und
die blitzenden, zitternden Tropfen stürzten lär-
mend auf einen nieder. Der lehmige Boden der
Waldwege war rot und glänzte wie Speck und
die Steine waren wie lackiert. Neben unS,
etwas tiefer, rauschte das wilde graugrüne
Wasser, selten sahen wir es durch eine Tannen-
lichtung Heraufschimmern. Noch immer wehten
graue und weiße lange Wolkenfetzen über unS
an den finsteren Bergwänden hin. Unsere
Schritte klangen dumpf zwischen den Bäumen
auf dem feuchten Lehm. Manchmal klirrten die
Nägel auf den Steinen. Lore behauptete dann,
Funken gesehen zu haben, seitdem sie einmal von
diesem Phänomen gehört hatte. Sie nahm den
Hut ab und sagte, ich solle ihn in die Tasche
stecken. Aber da sie groß war und hohe schlanke
Schenkel hatte, streiften ihre blonden Haare die
Zweige. Dann blieb sie hängen, miaute und
nestelte blind an ihrem Kopf herum. JedeSmal
schnellte dann der Zweig, befreit, in die Höhe
und begoß sie mit seinen tausend blitzenden
Regentropfen, die an ihm gesessen hatten. Ihr
Haar war schon ganz naß. Ich ging neben
Lore und jedeSmal, wenn sie, wie Absalom, von
dem Gestrüpp gefangen worden war, blieb ich
stehen und bückte mich und suchte im fett und
dunkelgrün glänzenden Graben nach Glücksklee.
Wir waren noch nicht weit gegangen, als ich
das erste vierblättrige Kleeblatt fand. Eigent-
lich hatte ich gar nicht gesucht, meine Hand
war einfach magnetisch angezogen worden.
„Loa" rief ich, „Loa sieh mal rasch, was ich
da habe," und ich hielt ihr daS Blättchen wie
eine Kostbarkeit zwischen Mittelfinger und
Daumen hin, während ich die linke Hand da-
runter hielt, als könnte ich eS verlieren und dann
nie mehr wiederfinden. Lore schaute miß-
traurisch, ob ich nicht lachte und fragte, wo ich
das gefunden hätte, ^zch lachte nicht und be-
schrieb ihr, wo und wie ich das Blatt gefunden
hatte. Sie nahm eS in die Hand und zählte vor-
sichtig und ungläubig die vier Blätter. Sie
sagte bloß: „Ach, wie wundervoll, Hermann."
Dann wurde sie ärgerlich, daß sie ständig mit
ihren Haaren hängen bliebe und zu nichts käme,
während ich Zeit zum Suchen hätte.
„Und zum Finden" sagte ich.
„Gib mir meine Mütze", sagte sie, „ich will
auch suchen."
Zch fühle fast so etwas wie Stolz.
„Das ist der erste Glücksklee, den ich in
meinem Leben gefunden habe, Loa," sagte ich,
„und den habe ich eigentlich nicht gesucht. Der
ist mir von allein in die Finger gewachsen."
Aber Stolz war eS nicht, fühlte ich dann, eS war
mehr eine Zufriedenheit mit dem wohlwollenden
Schicksal, das mir Glück bringen wollte.
Lore hörte schon nicht mehr. Sie saß da
irgendwo im Graben und suchte nach Glücks-
klee. Ich mahnte weiterzugehen, sie werde sich
bestimmt erkälten. Aber sie suchte weiter. Ich
ging langsam voraus. Sie kam mir nach,
ärgerlich und niedergeschlagen.
„Ich bin nicht neidisch", sagte sie mit hän-
gender Lippe, „aber das ist ungerecht. Du hast
nicht einmal gesucht und ich suche andauernd
und finde nichts."
Ich konnte ihr nicht zeigen, daß ich stolz auf
den Fund war, ich redete von gütigem Geschick
für unS beide, es sei doch schon viel, einen
Glücksklee zu finden, den ersten im Leben, und
den auf unserer ersten gemeinsamen Reise.
Dann bot ich ihr daS Blättchen an, indem ich
mich auf die Aussage unserer Amerikanerin
berief.
„Glück bringt so etwas erst", sagte ich
pathetisch wie die Sektiererin, „wenn man es
herschenkt! Hier, Liebste, bewahre und presse
es!"
Lore aber war schon wieder unter eine Tanne
gekrochen und suchte. Sie wollte das Kleeblatt
nicht geschenkt haben. Man dürfe das Glück
nicht herschenken, sagte sie, ich fei doch vorhin
der gleichen Meinung gewesen. Sie hatte recht.
„Die Amerikanerin hat auch zwei Glücks-
blätter heute gefunden", sagte sie verbissen und
suchte. Sie fand nichts. Wir gingen weiter.
Es gab große Pfützen, deren Wasser rot war
vom Lehm und die aussahen wie verschüttete
Farbe. Lore sah sie nicht an. Sie kümmerte
sich überhaupt um nichts mehr. Sie ging
stumm vor sich hin. Sie sah richtig vergrämt
aus, fand ich. Auf einmal blieb sie stehen. Nur
ihre rechte Stiefelspitze bewegte sich. Sie sah
auf den Boden.
„Hermann, komm schnell her", rief sie,
„siehst du das auch, was ich sehe?" Sie war
aufgeregt. Ich ging hinüber zu ihr und bückte
mich, um besser zu sehen.
„Nicht", sagte sie und stieß mich mit der
Stiefelspitze weg, „nicht!"
„WaS ist denn los?" sagte ich, „ich sehe ja
gar nichts."
„Wieso, ist das nichts?" sagte sie und zeigte
mir ein vierblättriges Kleeblatt, das sie eben
gepflückt hatte. Sie lachte.
„Siehst du", sagte ich, „man darf nicht
suchen, dann findet man!"
„Ach du mit deinem »siehst du, siehst duS
sagte sie ärgerlich, „wie ein Lehrer tust du.
Aber du bist bloß neidisch, daß ich auch eins
gesunden habe."
jrf) lachte und ging auf sie zu, nahm sie in
(Fortsetzung S. 60)
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iijzii erfas
IflDech
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Deshalb
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