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J u G

41. JAHRGANG

ID II IE

Romantische Historie e

VON DI ER

I. Kampleven

(Sö mar das furchtbarste Eisenbahnunglück, daS man Ln der Gegend
vvn Kampleven jemals erlebt hat. ^)Nan hatte dort vor diesem nämlich
überhaupt noch niemals ein Eisenbahnunglück erlebt. Es Mar das
erjte und letzte Unglück der Heuscheede-Kamplevener Eisenbahn. Glück-
lichermeise hat es kein Menschenopfer gefordert. Ich sehe die Landschaft
noch lieblich vor mir liegen: ein Fußpfad führte durch die grünen Wiesen
in sanftem Schwung auf den fernen Heuscheeder Kirchturm zu. Sah
man den Pfad näher an, so bemerkte man bald, daß er auf einem
sogenannten Bahnkörper verlief. Die Fußgänger nahmen ihren Weg
von Schmelle zu Schmelle, wenn sie in den Markt- und Kirchort
mußten.

Zweimal täglich Matetc ein hochbeiniges Dampfroß durch das mögende
Gras. Dann traten die begegnenden Fußgänger beiseite. Wenn sie den
Zug überholten — aber daS taten wirklich nur junge Leute auf dem
Weg zum Heuscheeder Jahrmarktsball —, dann machten sie eben ein
paar lange Schritte durch die Wiesen. Der Zug Mar kurz. Die Loko-
motive zog nur zwei kleine Waggons hinter sich her. Im ersten standen
Milchkannen des Großbauern Pötter, im zweiten faß er manchmal
selber. Dann fuhr er in seinem Wagen hinter seiner Lokomotive auf
seiner Bahn — und auch über seine Brücke.

II. Die Brücke

Die Brücke mar ein ansehnliches Ding. Zehn Meter spannte der
Bogen. Graublau gestrichen und braun gerostet lag daS luftige Bau-
werk in endlosen Wiesen und Feldern verloren da. Die Fußgänger
waren böse auf die Brücke. Die Bohlen lagen meit auseinander, und
lver etma versuchte, seiltänzerisch auf einer Schiene dahinzuschreiten, ver-
stieß gegen eine amtliche Vorschrift. An beiden Enden der Brücke
standen Schilder mit der Aufschrift:

Fußgänger
Treppen benutzen!

(§17 PD. über d. Detr. a. d. HKE.)

In die Böschung Maren dürftige Stufen gehauen, die man herab-
zurutschen und Mieder emporzuklimmen hatte, menn man nicht im Zug
saß, mie Pötter. Don Treppe zu Treppe ging man über trockenen
Sand, durch einen Graben, der schon eher eine Grube mar. Es sah
nicht aus mie ein natürlicher Graben. Es roch nach luftigen Projekten
— es roch danach, daß die Brücke nur aus Spielerei gebaut und der
Graben eigens zu diesem Zweck ausgehoben war.

IH. Die Legende

PötterS zweiter Sohn hatte die Brücke gebaut. Zuerst hatte er nur
die Bahn gebaut, und das Städtchen und das Dorf hatten mit Staunen
gesehen, was so ein Pötterssohn Zuwege brachte. Aber der Dater hatte
nicht gestaunt. „WaS ist das wert —" hatte er gebrummt, „so ein
paar Schienen zu legen! Kannst du denn auch eine Brücke bauen?"

Und der Sohn hatte eine Eisenbahnbrücke gebaut. Der Dater hatte
sie bezahlt. Aber der Junge mar bald darauf nach Amerika gefahren.
„Weil ihm seine Brüder das Leben schwer gemacht haben — mit seiner
Brücke!" erklären die Nachbarn. Andere meinen, es märe ihm eine
Braut vor der Nase davongegangen, Und dann ist noch der schlaue

E N D

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HKE.

iner Kurz- und Kleinbahn

KS PAULUN

Harder zu hören, der einen glatten Unfug behauptet: „Er wollte

Bürgermeister von Heuscheede werden!"

IV. Kommunalhistorie

Sicher gab eS mehrere Gründe. Mehrere Gründe für den Brücken-
bauer, daß er nach Amerika fuhr, aber auch schon mehrere Gründe für
den alten Pötter, Lahn und Brücke überhaupt zu bauen. Einen Teil
der Wahrheit kann man aus den Akten des GewerbevereinS von Heu-
scheede erfahren. Es läßt sich dort feststellen, daß vor fünfundzwanzig
Jahren ein Streit zwischen den beiden Gemeinden entbrannte, in den die
Provinzialregierung und der Landrat teils verschärfend, teils vermittelnd
eingriffen. Die Provinz wollte den Kamplever Kirchenweg zu einer
Straße ausbauen lasten. Die Stadt und das Dorf sollten je ein Drittel
der Kosten beitragen. Pötter mar damals Gemeindevorsteher und hatte
es bei seinen Leuten schon durchgesetzt, als das Gerücht umlief, daß der
Bürgermeister von Heuscheede nichts mit den Bauern von Kampleven
zu tun haben wollte. Er hätte gesagt, er wollte kein Geld dafür auS-
geben, daß noch mehr Pferdemist auf die Straße käme.

Da war es natürlich ausgeschlossen, daß die Bauern von Kampleven
irgend etwas für die Derbindung mit Heuscheede bezahlten. Alle Ver-
mittlungsversuche des Landrats und auch die freundschaftlichen Vor-
schläge des Heuscheeder GewerbevereinS, wo ein gebürtiger Kamplever,
ein Detter von Pötter, Vorsitzender war, wollten zu gar nichts fruchten.
Die Bauern verschwuren sich, ihr Leben lang zu keiner Straße nach
Heuscheede Geld zu geben und den Kirchenweg nicht mehr auSzubestern.

— Um) dann sprang plötzlich die HKE. aus dem Faß, in dem man so
lange herumgebuttert hatte:

V. Die Heuscheede-Kamplevener Eisenbahn

Jawohl, eS war Pötter — Pötter, der Reiche, Pötter, der Sohn des
Moorbauern, der den Sumpf ein wenig dräniert hatte, Pötter mit den
vierzig fetten Milchkühen. Er kaufte einen Streifen Grund von seinem
Detter in der Stadt und einen Streifen Grund von dem Schwager
dieses Detters — und dann konnte er eine Bahn bauen vom Heuscheeder
Staatsbahnhof bis zum Kamplevener See, ganz auf eigenem Grund
und Boden. Er baute. Vielmehr, er ließ bauen. Sein Sohn war
Eisenbahningenieur geworden und hatte ihn wohl auf den Gedanken
gebracht. „Deine Bahn!" soll der Dater gesagt haben, „dein Erbteils

— das Geld kam von der gestorbenen Mutter, sagen die Nachbarn.

Pötter gründete die HKE.-Betriebsgesellschaft. Wieder war es der

Gewerbeverein von Heuscheede und die Gemeinde Kampleven, die daS
Unternehmen trugen. Sie übernahmen für billige Pacht eine fertige
Eisenbahn samt Brücke, Lokomotive und Wagenpark (bestchend aus
einem Personen- und einem Güterwaggon).

Ob eS sich lohnte? Manche in der Stadt hielten Pötter für einen
Narren. Die Bauern fragten nicht. Pötter mußte es wissen. Er war
nicht der Ncann, sein Geld zu vertun. Die BetriebSgesellschaft war als
vorläufige Gründung gedacht. Ein Bauerndorf ohne Straße kann einer
Kleinbahn schon etwas zu verdienen geben. Es war ein Lokomotiv-
führer da, der alles Technische, und ein Schaffner, der alles Geschäft-
liche besorgte. Die Strecke hatte vier Haltestellen: Heuscheede-Bahn,
Heuscheede-Markt, Kampleven-Moor und Kampleven-Kamp, aber die
Strecke war nicht lang. Diele Kohlen fraß die Lokomotive nicht.

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Register
Dirks Paulun: Die HKE. Romantische Historie einer Kurz- und Kleinbahn
 
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