Alfred §,
runiva
Id:
DER MARQUIS UND DIE WÖLFE
Aus dem portal fiel das Licht auf den Schnee und in die Flocken des
Schnees, und das zierlich geschmiedete Torgitter warf einen ebenso zier-
lichen und noch dazu sich fortwährend bewegenden Schatten; denn es
lvar eine stürmische Nacht, und die Kerzen im Flur des Schlosses
bewegten sich auch.
'Sie bewegten sich besonders heftig und verloschen beinahe, als der
Lakai die GlaStüre öffnete und zur Seite trat, um den Marquis an sich
vorbeizulassen. Dieser, von schlankem Wuchs, war in einen dicken Pelz
gehüllt, dessen Haare nach innen gingen. Alles übrige an ihm bildete
zu diesem schwerfälligen Mantel einen Gegensatz: Der kleine Dreispitz,
seine scharf gebogene Nase, die allein von seinem schmalen Gesicht in
der Dunkelheit zu erkennen war, und das dünne Stvcklein in seiner Hand,
das oben in einem elfenbeinernen Kopf des MerkuriuS endete.
Der Lakai hatte ihn überholt und das Gitter ausgerissen, und nun
eilte er auch schon aus den Schlitten zu, um den Schlag zu öffnen. Die
Pferde, es waren glänzende Rappen mit langen dunkelroten Decken und
hellroten Federbüschen zwischen den Ohren, standen bis zu den Fesseln im
Schnee. Der Kutscher aber saß als eine riesige unförmliche Masse aus
dem Bock und schlief.
Der Marquis nahm nun Platz, der Lakai bedeckte ihn nochmals mit
einem Felle und schlug das ovale Türchen zu. Die Pferde zogen von
selber mit einem Ruck an, so daß Theophile, so hieß der Kutscher, ohne
seine hohe Rückenlehne gewiß nach hinten gefallen wäre. Obgleich der
Marquis gerade aus sah, verneigte sich der Lakai tief. Als aber der
Schlitten schon in einiger Entfernung war, schüttelte er den Kopf und
ging trotz der Kälte nur langsam wieder in das Schloß.
So glitt nun das Gefährt durch die Nacht, in der außer dem Schnau-
ben der Pferde, dem Ächzen der Kufen und des Leders und dem Klingen
der Glöckchen an Zügel und Zaum nichts zu hören, und außer den dicht
fallenden Flocken auch nichts zu sehen war. Denn daS Glas der Laterne
neben dem Bock war angelaufen und ihr Schein matt.
Der Weg führte in sanften Windungen durch den Wald, immer durch
den Wald, und die Pferde zogen, ohne vom Kutscher geleitet zu werden,
gleichmäßig weder langsam noch schnell dahin. Der Marquis lag zurück-
gelohnt und befand sich in seinem traumartigen Zustand schon am Ende
der Fahrt. Er hatte bereits die feine Musik in den Ohren, der Gras
unterhielt ein exzellentes Orchester, seine Augen schlossen sich vor den
vielen Kerzen in dem Saal, an dessen Eingang, aus einem kleinen weißen
Stuhle, umringt von dem Kranz ihrer Kavaliere, dem dicken Chapeau,
dem lächerlich steifen Docini, dem riesigen Belmonte und d'Ärgente, der
schlechte Verse machte und die Stimme eines Raben hatte — in deren
Mitte also er sie sitzen sah, die Dame des Hauses.
Er sprach ihren schönen Namen zweimal vor sich hin; und er wunderte
sieb, er, der doch gewiß kein Knabe mehr war, daß ihm das Herz dabei
Säger Ed. Braun
stärker schlug. Er wird rasch in den Saal treten, der Kran; der
Kavaliere wird sich öffnen, und sie wird ihm ihre schmale Hand reichen,
daß er sich darüber beuge, blnd wenn er sich wieder aufrichtet und sie
einen Augenblick lang einander ansehen, wird sie sagen: Mein lieber
Freund, eS ist schon, daß Sie gekommen sind.
Ihre Augen aber würden unendlich mehr sagen. —
DaS Sattelpferd mußte von etwas erschreckt geworden sein, denn es
tat einen Satz zur Seite und der Schlitten erhielt so einen Stoß nach
links und nach rechts. Der Marquis zog die Decke dicht um den Leib
und sah auf. Die Finsternis ließ ihn den breiten Rücken des Kutschers
übergroß erscheinen.
Es schneite und stürmte nun nicht mehr, und man konnte die Aste der
nächsten Bäume, die sich unter ihrer schweren bleichen Last senkten,
erkennen. Manchmal strich der Schein der Laterne über eine offene
Stelle, gleichsam ein Loch in dem dichten Gestrüpp, wo vielleicht eine
Sau durchgebrochen war. Dann wieder gab ein morscher Ast nach und
der Schnee siel, andere Äste durchbrechend und in der Stille umher mit
einem prasselnden Laut, zu Boden. Das wird wohl auch das Sattel-
pferd so erschreckt haben, sagte sich der Marquis, und überließ sich von
neuem seinen süßen Gedanken.
Er sah sich nun plaudernd mit ihr in dem Saal umhergehen, dessen
Spiegelwände ihm ihr Bild entgegenwarsen. Er fühlte, wie zwischen
dem nichtigen Spiel der Worte ihre Herzen die unsagbar seinen Fäden
schlugen, die doch stärker als die Ketten ziehen, an die man die Rüden
koppelt. Parbleu, sagte er laut, wie ich verliebt bin.
Seine gebogene Nase war von der Kälte ungemein rot geworden, und
er schneuzte sich eben, als diesmal das Zaumpserd scheute und einen
solchen Satz zur Seite machte, daß der Schlitten geradezu sprang. Der
Marquis fiel gegen die Rücklehne und streckte die Beine einen Augenblick
lang in die Höhe.
Auf so plötzliche Weise aus dem Gleichgewicht gebracht, umschloß er
sein Stöcklein wie ein Florett und sah vorsichtig um; denn er merkte
nun auch, daß sich etwas Gefährliches begeben würde.
Er erblickte, und diesen Augenblick lang stockte ihm der Atem und
der Mund blieb ihm offen, in der Spur des Schlittens zwei, drei oder
wieviele in der Finsternis kaum noch erkennbare Körper, Wölfe, die mit
der Nase am Boden einhertrabten. Sie liefen ähnlich wie Menschen, d:'e
in tiefe Gedanken versunken sind. Anscheinend war der Hunger über ihre
Feigheit noch nicht Herr geworden. DaS hinderte sie aber nicht, sich auf
alle Fälle dem Schlitten zu nähern.
Der Marquis berechnete rasch und klar, wie man in der Angst zu
denken pflegt, daß sie noch eine halbe Stunde bis zum Schloß der Gräfin
zu fahren hätten. Seit Jahren hatte sich kein Wolf mehr in der Gegend
gezeigt, nun mußte sie der Teufel wieder hersühren. Er trug nichts
WaffenähnlicheS bei sich, eS blieb also nur die Schnelligkeit der Pferde.
„Theophile" ries er den Kutscher zu, „wach aus, mein Sohn!" Aber der
riesige Körper aus dem Lock bewegte sich nicht, und die Pferde, so unruhig
sie waren, wurden es noch mehr dadurch, daß sie keine Hand über sich
fühlten.
„Theophile!" schrie er zum zweitenmal, „daß dich die Wölfe fräßen,
so wach endlich aus!" Als der Kutscher immer noch nicht hörte, beugte
er sich vor und erblickte im Schein der Lampe ein Gesicht, daS ihm nun
wieder einen Schreck in die Glieder jagte. Nicht weil es entstellt gewesen
wäre, im Gegenteil zeigte es die friedlichsten Züge. Theophile schlief in
der Tat, und der Geruch, den er. auSströmte, erinnerte stark an den von
Wein und Branntwein.
DaS erste, was der Marquis tat, war, daß er seinen Stock um-
kehrte und den elfenbeinernen Kopf des MerkuriuS in das breite Gesicht
des Kutschers sausen ließ. DaS lies zwar davon blau an; aber der
Mann selbst, nachdem er einen grunzenden Laut ausgestoßen hatte, ver-
fiel wieder in kräftiges Schnarchen und schien damit seine Entschlossen-
heit anzudeuten, sich von keiner Macht der Erde seinen seligen Schlummer
rauben zu lassen.
Die Wölfe waren nun bereits nahe genug, daß nian ihre schrägen,
manchmal wie glimmenden Augen und ihren dampfenden Atem sehen
konnte. Die Pferde aber setzten sich in einen hastigen und doch gar nicht
runiva
Id:
DER MARQUIS UND DIE WÖLFE
Aus dem portal fiel das Licht auf den Schnee und in die Flocken des
Schnees, und das zierlich geschmiedete Torgitter warf einen ebenso zier-
lichen und noch dazu sich fortwährend bewegenden Schatten; denn es
lvar eine stürmische Nacht, und die Kerzen im Flur des Schlosses
bewegten sich auch.
'Sie bewegten sich besonders heftig und verloschen beinahe, als der
Lakai die GlaStüre öffnete und zur Seite trat, um den Marquis an sich
vorbeizulassen. Dieser, von schlankem Wuchs, war in einen dicken Pelz
gehüllt, dessen Haare nach innen gingen. Alles übrige an ihm bildete
zu diesem schwerfälligen Mantel einen Gegensatz: Der kleine Dreispitz,
seine scharf gebogene Nase, die allein von seinem schmalen Gesicht in
der Dunkelheit zu erkennen war, und das dünne Stvcklein in seiner Hand,
das oben in einem elfenbeinernen Kopf des MerkuriuS endete.
Der Lakai hatte ihn überholt und das Gitter ausgerissen, und nun
eilte er auch schon aus den Schlitten zu, um den Schlag zu öffnen. Die
Pferde, es waren glänzende Rappen mit langen dunkelroten Decken und
hellroten Federbüschen zwischen den Ohren, standen bis zu den Fesseln im
Schnee. Der Kutscher aber saß als eine riesige unförmliche Masse aus
dem Bock und schlief.
Der Marquis nahm nun Platz, der Lakai bedeckte ihn nochmals mit
einem Felle und schlug das ovale Türchen zu. Die Pferde zogen von
selber mit einem Ruck an, so daß Theophile, so hieß der Kutscher, ohne
seine hohe Rückenlehne gewiß nach hinten gefallen wäre. Obgleich der
Marquis gerade aus sah, verneigte sich der Lakai tief. Als aber der
Schlitten schon in einiger Entfernung war, schüttelte er den Kopf und
ging trotz der Kälte nur langsam wieder in das Schloß.
So glitt nun das Gefährt durch die Nacht, in der außer dem Schnau-
ben der Pferde, dem Ächzen der Kufen und des Leders und dem Klingen
der Glöckchen an Zügel und Zaum nichts zu hören, und außer den dicht
fallenden Flocken auch nichts zu sehen war. Denn daS Glas der Laterne
neben dem Bock war angelaufen und ihr Schein matt.
Der Weg führte in sanften Windungen durch den Wald, immer durch
den Wald, und die Pferde zogen, ohne vom Kutscher geleitet zu werden,
gleichmäßig weder langsam noch schnell dahin. Der Marquis lag zurück-
gelohnt und befand sich in seinem traumartigen Zustand schon am Ende
der Fahrt. Er hatte bereits die feine Musik in den Ohren, der Gras
unterhielt ein exzellentes Orchester, seine Augen schlossen sich vor den
vielen Kerzen in dem Saal, an dessen Eingang, aus einem kleinen weißen
Stuhle, umringt von dem Kranz ihrer Kavaliere, dem dicken Chapeau,
dem lächerlich steifen Docini, dem riesigen Belmonte und d'Ärgente, der
schlechte Verse machte und die Stimme eines Raben hatte — in deren
Mitte also er sie sitzen sah, die Dame des Hauses.
Er sprach ihren schönen Namen zweimal vor sich hin; und er wunderte
sieb, er, der doch gewiß kein Knabe mehr war, daß ihm das Herz dabei
Säger Ed. Braun
stärker schlug. Er wird rasch in den Saal treten, der Kran; der
Kavaliere wird sich öffnen, und sie wird ihm ihre schmale Hand reichen,
daß er sich darüber beuge, blnd wenn er sich wieder aufrichtet und sie
einen Augenblick lang einander ansehen, wird sie sagen: Mein lieber
Freund, eS ist schon, daß Sie gekommen sind.
Ihre Augen aber würden unendlich mehr sagen. —
DaS Sattelpferd mußte von etwas erschreckt geworden sein, denn es
tat einen Satz zur Seite und der Schlitten erhielt so einen Stoß nach
links und nach rechts. Der Marquis zog die Decke dicht um den Leib
und sah auf. Die Finsternis ließ ihn den breiten Rücken des Kutschers
übergroß erscheinen.
Es schneite und stürmte nun nicht mehr, und man konnte die Aste der
nächsten Bäume, die sich unter ihrer schweren bleichen Last senkten,
erkennen. Manchmal strich der Schein der Laterne über eine offene
Stelle, gleichsam ein Loch in dem dichten Gestrüpp, wo vielleicht eine
Sau durchgebrochen war. Dann wieder gab ein morscher Ast nach und
der Schnee siel, andere Äste durchbrechend und in der Stille umher mit
einem prasselnden Laut, zu Boden. Das wird wohl auch das Sattel-
pferd so erschreckt haben, sagte sich der Marquis, und überließ sich von
neuem seinen süßen Gedanken.
Er sah sich nun plaudernd mit ihr in dem Saal umhergehen, dessen
Spiegelwände ihm ihr Bild entgegenwarsen. Er fühlte, wie zwischen
dem nichtigen Spiel der Worte ihre Herzen die unsagbar seinen Fäden
schlugen, die doch stärker als die Ketten ziehen, an die man die Rüden
koppelt. Parbleu, sagte er laut, wie ich verliebt bin.
Seine gebogene Nase war von der Kälte ungemein rot geworden, und
er schneuzte sich eben, als diesmal das Zaumpserd scheute und einen
solchen Satz zur Seite machte, daß der Schlitten geradezu sprang. Der
Marquis fiel gegen die Rücklehne und streckte die Beine einen Augenblick
lang in die Höhe.
Auf so plötzliche Weise aus dem Gleichgewicht gebracht, umschloß er
sein Stöcklein wie ein Florett und sah vorsichtig um; denn er merkte
nun auch, daß sich etwas Gefährliches begeben würde.
Er erblickte, und diesen Augenblick lang stockte ihm der Atem und
der Mund blieb ihm offen, in der Spur des Schlittens zwei, drei oder
wieviele in der Finsternis kaum noch erkennbare Körper, Wölfe, die mit
der Nase am Boden einhertrabten. Sie liefen ähnlich wie Menschen, d:'e
in tiefe Gedanken versunken sind. Anscheinend war der Hunger über ihre
Feigheit noch nicht Herr geworden. DaS hinderte sie aber nicht, sich auf
alle Fälle dem Schlitten zu nähern.
Der Marquis berechnete rasch und klar, wie man in der Angst zu
denken pflegt, daß sie noch eine halbe Stunde bis zum Schloß der Gräfin
zu fahren hätten. Seit Jahren hatte sich kein Wolf mehr in der Gegend
gezeigt, nun mußte sie der Teufel wieder hersühren. Er trug nichts
WaffenähnlicheS bei sich, eS blieb also nur die Schnelligkeit der Pferde.
„Theophile" ries er den Kutscher zu, „wach aus, mein Sohn!" Aber der
riesige Körper aus dem Lock bewegte sich nicht, und die Pferde, so unruhig
sie waren, wurden es noch mehr dadurch, daß sie keine Hand über sich
fühlten.
„Theophile!" schrie er zum zweitenmal, „daß dich die Wölfe fräßen,
so wach endlich aus!" Als der Kutscher immer noch nicht hörte, beugte
er sich vor und erblickte im Schein der Lampe ein Gesicht, daS ihm nun
wieder einen Schreck in die Glieder jagte. Nicht weil es entstellt gewesen
wäre, im Gegenteil zeigte es die friedlichsten Züge. Theophile schlief in
der Tat, und der Geruch, den er. auSströmte, erinnerte stark an den von
Wein und Branntwein.
DaS erste, was der Marquis tat, war, daß er seinen Stock um-
kehrte und den elfenbeinernen Kopf des MerkuriuS in das breite Gesicht
des Kutschers sausen ließ. DaS lies zwar davon blau an; aber der
Mann selbst, nachdem er einen grunzenden Laut ausgestoßen hatte, ver-
fiel wieder in kräftiges Schnarchen und schien damit seine Entschlossen-
heit anzudeuten, sich von keiner Macht der Erde seinen seligen Schlummer
rauben zu lassen.
Die Wölfe waren nun bereits nahe genug, daß nian ihre schrägen,
manchmal wie glimmenden Augen und ihren dampfenden Atem sehen
konnte. Die Pferde aber setzten sich in einen hastigen und doch gar nicht