Zeichnung von Rudolf Kriesch
«.(Alnion Cs aller:
Die tolle Faschingsnacht
Jener riesige Atelierraum aus Nummer 26
der Römischen Straße, der, mit seinem Gewirr
von Deckenbalken, verwinkelten Wänden und
gigantischen Vorhängen bereits Phantastik in
sich barg und dank primitiver Petroleumbe-
leuchtung auch in normalen Sagen romantisches
Gruseln vermittelte, war durch seine Dekoration
vollends zu unwirklichstem, alltäglicher Welt
völlig entrücktem Dasein gestaltet. Gleich beim
Passieren der Ateliertüre (vom steilen Treppen-
ausgang, in welchem rote Windlichter slackerten,
ganz zu schweigen!) grüßte ein riesiges Lampion,
dessen blaues Licht zwei Säulen bestrahlte.
Diese Säulen, klassisch in Form und Stil,
standen nebeneinander, zu ihren Füßen lagen
zerbrochene Tonkrüge und ein Winkelmaß, die
abgebröckelten Kapitäle jedoch zeigten sich von
Rosenguirlanden umwunden. Aus der Dunkel-
heit der verhängten Fensterecke reckte jich ein
überlebensgroßes Pferd, aus dessen Füßen sich
Stroh in dicken Bündeln drängte; und aus der
Galerie oben hingen drei Fledermäuse, jede ein
zartes Bilettdoux im Schnäuzchen. Niemand
hätte behaupten können, daß diese Dinge die
einzige Dekoration darstellten, denn schließlich
waren ja noch die Vorhänge da, aus deren
Falten nackte Arme winkten, und man konnte
auch Schnüre sehen, die in enger Reihenfolge
die Decke durchzogen, scheinbar zwecklos in ihrer
Art, und doch, da sie offenbar zu ganz be-
stimmten Verhältnissen zusammenliefen, mit zu
dem ganzen Bild gehörend. Es waren ferner-
vorhanden: erstens ein riesiges Büffet, voll-
beladen mit Speisen und Getränken, zweitens
Blumen, und zwar Blumen in Menge, Blumen-
buketts, in Papiere mit Spitzenmust-ern kunst-
voll hineingebunden >und überall verstreut lie-
gend, und drittens stand ein Spielautomat an
der Wand. Eine Art Jahrmarktorgel, die
mechanische Figuren zeigte und von aufstreben-
der Bodenbeleuchtung diskret erhellt wurde.
Der Hausherr erwartete in feierlichem
Schwarz seine Gäste und ein anmutiges Mäd-
chen in rosa Trikot beschäftigte sich hingebend
am Büffet, kam jedoch später nach vorn, um
mit die Honneurs zu machen. Die Eing-eladenen
erschienen zuerst tropfenweise, dann aber in
Rudeln. Durchwegs interessante Menschen,
eine Elite aus jenen Kreisen, die lieh wohl mit
106
Anstand langweilen können, aber um ein biß-
chen Zerstreuung genau so froh und dankbar
sind wie der einfachste Mann von der Straße.
Die Dekoration löste durchwegs helles Ent-
zücken aus, und wem das Interieur nicht ganz
zusagte, der blieb bestimmt vor dem Büffet in
Bewunderung und Wohlgefallen stehen. Deren
Genüsse wurden in vorbildlicher Weise von An-
fang an nicht Vorbehalten und die Güte derselben
wirkte sich in angenehmster Form auS. Völlig
zwanglos begann auch die Eröffnung des
Balls. Die Orgel fing eben zu spielen an und
wer Lust hatte, tanzte auf längst verschollene
Weisen Walzer und ähnliches. Die unge-
zwungene Stimmung wurde durch die verbind-
liche Haltung des Hausherrn erhöht, er schenkte
ein, lachte und sagte den Damen tausend Ver-
bindlichkeiten, er veranlaßte das Mädchen im
Trikot auf die Wünsche Aller und Jeder zu
achten und allmählich wurde eS heiß im Raum
und die Stimmung mehr als ausgelassen. Etwa
um Mitternacht ließ nun der Gastgeber aus
den Schnäuzchen der Fledermäuse die bereits
erwähnten Briefchen fallen. Dieselben ent-
falteten sich dabei gleich den Jllusionspaketen
der Darieteezauberer, so daß ein wahrer Regen
von Zettelchen auf die überraschten Festteil-
nehmer fiel. Alle haschten danach und Einige
fingen ohne weiteres an, den Text derselben
laut vorzulesen, ließen aber nach den ersten
Worten betroffen davon ab. Ja, der Inhalt
schien sie derart zu bestürzen, daß sie nicht ein-
mal den Versuch machten, die Zettel Anderer zu
lesen, oder gar übrige, auf dem Boden liegende
aufzuheben und durchzusehen. Es fei hier immer-
‘ hin gesagt, daß in diesen Schreiben düstere
Prophezeiungen, sachliche Berichte von Schrek-
kenstaten und drohende Zitate von längst ver-
storbenen, berühmten Männern standen. Nicht
zu erklären ist jedenfalls die sonderbare Laune,
derartige „Scherze" zu unternehmen und
lächerlicher Weise die gefälligen, zartblauen
Papierchen obendrein mit starkem Parfüm zu
vevsehen. Einer Aufforderung des Veranstalters
entsprechend lagen schließlich alle Zettel in der
Mitte des Ateliers, ein ansehnliches Häufchen
Papier, das von ihm mit rigorosen Bewegungen
dem riesigen Pferd ins Maul gestopft wurde.
Nicht wenige unter den Gästen waren plötzlich
überzeugt, bei einem Verrückten zu weilen,
eine Vorstellung, die manchen Damen angenehm
über den Rücken rieselte, im übrigen jedoch
Unsicherheit und leichten Schreck verbreitete,
bim die Nerven zu beruhigen, folgte man all-
«.(Alnion Cs aller:
Die tolle Faschingsnacht
Jener riesige Atelierraum aus Nummer 26
der Römischen Straße, der, mit seinem Gewirr
von Deckenbalken, verwinkelten Wänden und
gigantischen Vorhängen bereits Phantastik in
sich barg und dank primitiver Petroleumbe-
leuchtung auch in normalen Sagen romantisches
Gruseln vermittelte, war durch seine Dekoration
vollends zu unwirklichstem, alltäglicher Welt
völlig entrücktem Dasein gestaltet. Gleich beim
Passieren der Ateliertüre (vom steilen Treppen-
ausgang, in welchem rote Windlichter slackerten,
ganz zu schweigen!) grüßte ein riesiges Lampion,
dessen blaues Licht zwei Säulen bestrahlte.
Diese Säulen, klassisch in Form und Stil,
standen nebeneinander, zu ihren Füßen lagen
zerbrochene Tonkrüge und ein Winkelmaß, die
abgebröckelten Kapitäle jedoch zeigten sich von
Rosenguirlanden umwunden. Aus der Dunkel-
heit der verhängten Fensterecke reckte jich ein
überlebensgroßes Pferd, aus dessen Füßen sich
Stroh in dicken Bündeln drängte; und aus der
Galerie oben hingen drei Fledermäuse, jede ein
zartes Bilettdoux im Schnäuzchen. Niemand
hätte behaupten können, daß diese Dinge die
einzige Dekoration darstellten, denn schließlich
waren ja noch die Vorhänge da, aus deren
Falten nackte Arme winkten, und man konnte
auch Schnüre sehen, die in enger Reihenfolge
die Decke durchzogen, scheinbar zwecklos in ihrer
Art, und doch, da sie offenbar zu ganz be-
stimmten Verhältnissen zusammenliefen, mit zu
dem ganzen Bild gehörend. Es waren ferner-
vorhanden: erstens ein riesiges Büffet, voll-
beladen mit Speisen und Getränken, zweitens
Blumen, und zwar Blumen in Menge, Blumen-
buketts, in Papiere mit Spitzenmust-ern kunst-
voll hineingebunden >und überall verstreut lie-
gend, und drittens stand ein Spielautomat an
der Wand. Eine Art Jahrmarktorgel, die
mechanische Figuren zeigte und von aufstreben-
der Bodenbeleuchtung diskret erhellt wurde.
Der Hausherr erwartete in feierlichem
Schwarz seine Gäste und ein anmutiges Mäd-
chen in rosa Trikot beschäftigte sich hingebend
am Büffet, kam jedoch später nach vorn, um
mit die Honneurs zu machen. Die Eing-eladenen
erschienen zuerst tropfenweise, dann aber in
Rudeln. Durchwegs interessante Menschen,
eine Elite aus jenen Kreisen, die lieh wohl mit
106
Anstand langweilen können, aber um ein biß-
chen Zerstreuung genau so froh und dankbar
sind wie der einfachste Mann von der Straße.
Die Dekoration löste durchwegs helles Ent-
zücken aus, und wem das Interieur nicht ganz
zusagte, der blieb bestimmt vor dem Büffet in
Bewunderung und Wohlgefallen stehen. Deren
Genüsse wurden in vorbildlicher Weise von An-
fang an nicht Vorbehalten und die Güte derselben
wirkte sich in angenehmster Form auS. Völlig
zwanglos begann auch die Eröffnung des
Balls. Die Orgel fing eben zu spielen an und
wer Lust hatte, tanzte auf längst verschollene
Weisen Walzer und ähnliches. Die unge-
zwungene Stimmung wurde durch die verbind-
liche Haltung des Hausherrn erhöht, er schenkte
ein, lachte und sagte den Damen tausend Ver-
bindlichkeiten, er veranlaßte das Mädchen im
Trikot auf die Wünsche Aller und Jeder zu
achten und allmählich wurde eS heiß im Raum
und die Stimmung mehr als ausgelassen. Etwa
um Mitternacht ließ nun der Gastgeber aus
den Schnäuzchen der Fledermäuse die bereits
erwähnten Briefchen fallen. Dieselben ent-
falteten sich dabei gleich den Jllusionspaketen
der Darieteezauberer, so daß ein wahrer Regen
von Zettelchen auf die überraschten Festteil-
nehmer fiel. Alle haschten danach und Einige
fingen ohne weiteres an, den Text derselben
laut vorzulesen, ließen aber nach den ersten
Worten betroffen davon ab. Ja, der Inhalt
schien sie derart zu bestürzen, daß sie nicht ein-
mal den Versuch machten, die Zettel Anderer zu
lesen, oder gar übrige, auf dem Boden liegende
aufzuheben und durchzusehen. Es fei hier immer-
‘ hin gesagt, daß in diesen Schreiben düstere
Prophezeiungen, sachliche Berichte von Schrek-
kenstaten und drohende Zitate von längst ver-
storbenen, berühmten Männern standen. Nicht
zu erklären ist jedenfalls die sonderbare Laune,
derartige „Scherze" zu unternehmen und
lächerlicher Weise die gefälligen, zartblauen
Papierchen obendrein mit starkem Parfüm zu
vevsehen. Einer Aufforderung des Veranstalters
entsprechend lagen schließlich alle Zettel in der
Mitte des Ateliers, ein ansehnliches Häufchen
Papier, das von ihm mit rigorosen Bewegungen
dem riesigen Pferd ins Maul gestopft wurde.
Nicht wenige unter den Gästen waren plötzlich
überzeugt, bei einem Verrückten zu weilen,
eine Vorstellung, die manchen Damen angenehm
über den Rücken rieselte, im übrigen jedoch
Unsicherheit und leichten Schreck verbreitete,
bim die Nerven zu beruhigen, folgte man all-