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J U G

41. JAHRGANG

END

1 9 3 6 / N r. 8

OTTO DODERER:

ILIÜSTSIPIIE1L - P R IE MII IE R IE

3n i)en ersten fahren nach öem Krieg lebte
in einer großen Stadt ein schon älterer Herr,
der ein kleines Haus in einer stillen Garten-
straße besaß und ein ererbtes Bankkonto, das
chm, zumal seine Ansprüche bescheiden waren,
ein bequemes Wohlleben erlaubte. Da die
behäbige Lebensweise, die durch keinen -ent-
sprechenden Krästeauswand verzehrt wurde, sich
gleichsam wie die Jahresringe eines Baumes um
seinen Körper legte und er mehr und mehr an
Verfettung zu ersticken drohte, hatte ihm der
Arzt eindringlich Bewegung verordnet. Den
ärztlichen Rat gewissenhast befolgend, erging
sich Dr. Linck — so hieß er — nun auch jeden
vormittag mehrere Stunden in einem Park,
und schon wiederholt war er dort einer jungen
Dame begegnet, die sofort seine Aufmerksam-
keit erregt hatte. Die Bekanntschaft mit ihr
vermittelte das Hündchen, von dem sie sich
begleiten ließ — ein kleiner, dicker, sich offenbar
nur mühsam fortbewegender MopS —, und
zwar in einer an sich recht peinlichen Weise.
Gänzlich unerwartet hatte er eines Morgens
die Maske seines grimmigen Gleichmuts abge-
schüttelt, sich wütend mit gefletschten Jahnen
aus Linck gestürzt und eines seiner Hosenbeine
zersetzt. DaS hübsche Fräulein, das den in
seiner Leibesfülle schnaufenden Herrn und den
knurrenden MopS mit eingezogenen Hälsen sich
anlauern sah wie ein Ebenbild daS andere,
konnte nur mit Mühe ein Gelächter unter-
drücken, beeilte sich aber, ihr Bedauern über
den schnöden Angriff ihreö Köders eifrig st zu
beteuern. Don nun an kam Linck fast täglich
mit dem Fräulein inS Gespräch und machte
jetzt seine Spaziergänge nicht mehr lediglich um
der leiblichen Gesundheit willen, dafür mit um
so größerer Leidenschaft, so daß er sogar die
fällige Sommerreise ausgab. Sie hieß Siglinde
Müller, nur Müller, aber Siglinde, und als er
erfuhr, sie sei Schauspielerin, umkleidete er sie
mit einer Romantik, die seiner aus der Jugend
bewahrten fast heiligen Liebe zum Theater ent-
sprang. Da ihm klar war, daß er sie nicht
durch äußere Reize zu bestricken vermochte,
trachtete er, eS mit geistigen zu tun, und eS lag
nahe, sie auf ihrem eigensten Gebiet, dein
Theater, zu suchen. Er entsann sich eines
Dramas, das er als Primaner versaßt hatte,
und stöberte eS aus alten Papieren aus. Ob-
wohl seinem beschaulichen Wesen jede Dialektik
sernlag, ließ er sich also verführen, auS der
schönen Ruhe seiner dankbaren und naiven
BegeisterungSsähigkeit herauszutreten, um sich
eine schöpferische Ausgabe anzumaßen, zu der
ihm nicht die Eingebung deS Stoffes Nötigung
war, sondern die Sucht, sich ruhmvoll hervor-
zutun.

Er fand das Stück nach mehrmaligem Lesen
besser, als er es in Erinnerung gehabt hatte.
Es war ein Ritterdrama, in dem gewisser-
maßen ein Parzival und ein Götz von Berli-
chingen in daS Graf von Gleichen-Motiv ver-
wickelt waren. Es blieben nur einige stilistische
Verfeinerungen vorzunehmen, und vor allem
hielt Linck eS für nötig, den Liebeserklärungen
der beiden Nebenbuhler an die Heldin innigeren
Ausdruck zu verleihen. Schon nach wenigen
Tagen schrieb er daS Manuskript säuberlich ab
und überreichte eS dann auf einer Bank im
Park Fräulein Müller schamhaft und feierlich
in einem verschnürten Paket. Sie nahm eS
nicht ohne Verlegenheit zu sich, erschien aber
von diesem Tage an nicht mehr auf den
gewohnten Wegen im Park.

Nach mehreren Wochen, in denen seine
Sorge um Siglinde Müller sich durch die um
sein Drama verdoppelt hatte, erhielt Dr. Linck
durch die Post ein Schreiben. In ihm teilte ein
Herr Alexander mit, da er das durch Fräulein
Müller freundlichsi eingereichte Stück unter-
gewissen Voraussetzungen zur Uraufführung
erwerben möchte und damit das „Neue Schau-
spielhaus" zu eröffnen gedenke, das er für die

kommende Spielzeit gepachtet habe; er bäte
zunächst um eine möglichst baldige Unterredung.
Linck hätte vor Freude einen Hopser getan,
wenn ihn sein Gewicht nicht daran gehindert
hätte. Sogleich am nächsten Morgen machte
er sich klopfenden Herzens auf den Weg zu
dem ihm so wohlgesinnten Mann. Das Haus,
in daS er eintrat, ernüchterte ihn ein wenig,
weil er eine anspruchsvollere Umgebung er-
wartet hatte. Im vierten Stockwerk klingelte
er an einer Türe, an die neben anderen auch
eine Besuchskarte mit dem Namen Alexander
geheftet war. Linck stand dann in der engen,
noch ungeordneten Stube einem hemdsärmeligen
Herrn gegenüber, der im Begriff war, sich vor
dem Spiegel über der Waschkommode zu
rasieren. Ohne lange Umstände forderte dieser
ihn aus, auf dem Sofa Platz zu nehmen,
kramte, indem er sich mit der rechten Hand den
Seifenschaum ins Gesicht pinselte, mit der
linken Hand unter einem Stapel Zeitschriften
aus der anderen Sofaecke Lincks Manuskript
hervor, und während er sich daS Kinn vor dem
Spiegel schabte, setzte er auseinander, daß heute
Stücke in klassischer Form nicht mehr zögen,
die Schauspieler überdies Jamben zu sprechen
verlernt hätten, daß daS Publikum realistische
Sachen wünsche und infolgedessen das Stück
nur dann brauchbar wäre, wenn eö in Prosa
umgeschrieben sei. Direktor Alexander war erst
dabei, sich den Kragen anzuknöpsen, als sich
Linck, ohne eine nennenswerte Einwendung
gewagt zu haben, schon entlassen vor der Türe
wiedersand. DaS unverschämte Benehmen ent-
schuldigte er als Burfchikosität, aber es war
ihm doch betreten zumute.

Nachdem er einige Tage gezögert hatte,
machte er sich ächzend daran, dem Pathos seines
Dramas die Stelzen seiner Versfüße zu ent-
ziehen. Es kam dann eine Verabredung in
einem Cafe zustande. Dort erschien der Direktor
erst eine geraume Weile nach der festgesetzten
Zeit, schlürfte zunächst drei Tassen Kaffee, aß
hastig einige Stücke Kuchen dazu und bestellte
sich einen Kognak nach dem anderen und Ziga-
retten. Schließlich kam die Sprache auch aus
das Manuskript, das Linck aus der Rocktasche
zog. Alexander griff danach, und während er
darin blätterte, verzogen sich die tiefen Falten
um seinen Mund immer mehr zu einem
belustigten Grinsen. „Unmöglich" oder „gro-
tesk" murmelte er wiederholt und brach in ein
lautes Lachen aus. „So geht das nicht", sagte
er schließlich, „hören Sie selbst." Linck, der sich
den Schweiß von der Stirn wischte, erkannte
selbst, daß sein Werk unter einer derartigen
illusi'onslosen Kritik in der Tat komisch wirkte.
„Sie sollten ein Lustspiel daraus machen", sagte

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Register
Otto Doderer: Lustspiel-Premiere
A. Plank: Mutter und Kind
 
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